Geschrieben am 21. März 2022 von für Musikmag

Badezimmermusik

Angelika Koch-Schmid  / pixelio.de

Manchmal bin ich sehr, sehr dankbar für die neuen Medien. Es kommt immer wieder vor, dass nur die Recherchemöglichkeiten des Internets mich davor bewahren, in Verzweiflung zu geraten, weil ich ein schönes Musikstück höre, aber nicht weiß, was es ist. Klar, es gibt die App Shazam, die in meist weniger als einer Sekunde das Lied erkennt, wenn man das Handy vor die Geräuschquelle hält. Was aber, wenn man grade kein Handy zur Hand hat?

So geschehen die Tage, als ich morgens in meiner Badewanne lag. Es gibt wenige Orte, zu denen mich mein Handy nicht begleitet, das Bad gehört dazu. Nun lebe ich aber in einer sehr hellhörigen Altbauwohnung, und just, als ich mich in der Wanne langgemacht hatte, schaltete mein Nachbar sein Radio an. Mein Glück will es, dass mein Nachbar kein Heavy-Metal-Fan ist, sondern gern klassische Musik und die entsprechenden Sender hört. Die Dünne der Wände lässt es zudem zu, dass ich manchmal ganze Wortbeiträge mithören kann. Deutschlandfunk Kultur (dachte ich) ist so sein Haussender.

Jedenfalls atmete ich entspannt aus, als ich wirklich wunderbare Klaviermusik hörte – wirklich wunderbar. Ein herrlich naives, fast krude und eckig gespieltes Stück, das eine melancholische Heiterkeit ausstrahlte. Als Berlinerin fühlte ich mich in meiner Altbaubude in die 20er-Jahre zurückversetzt – zu sowas mochten Aimée und Jaguar engumschlungen getanzt haben, vielleicht genau in so einer Wohnung. Was war das? Ach, vielleicht würden sie es ja gleich noch einmal sagen, mal genau hinhören. Nach einer Zeitspanne, die mir weniger als zwei Minuten lang schien, hob die Moderatorin zu sprechen an. Doch ach, in diesem Moment zog gleichzeitig meine Waschmaschine in der Küche Wasser und stieg der Nachbar in die Dusche und drehte den Hahn auf. Keine Chance, den Namen des Stückes zu erhaschen. Alles, was ich verstanden zu haben glaubte, war der Name Anthony Gray – war das der Komponist oder der Interpret? Keine Ahnung, aber immerhin war der Name leicht zu merken. Zur Sicherheit versuchte ich mir auch die – zugegebenermaßen leichte – Melodie einzuprägen für den Fall, es Shazam vorsingen oder -pfeifen zu müssen (haha, hat noch nie geklappt!)

Gleich nach dem Baden gab ich „Anthony Gray“ in YouTube Music ein – ja, den gibt’s, aber seine Titel heißen „SapioSexual“ oder „Cruise Control“, der wird es also nicht gewesen sein. Also mal mit „Antony Gray“ versuchen. Aha, das ist schon mehr in der richtigen Liga. Der Mensch ist Pianist und spielt Sachen von Brahms und Bach, sehr gut! Seine neuesten Alben drehen sich um die Kompositionen von Camille Saint-Saëns, einem Musiker und Komponisten der Romantik des 19. Jahrhunderts, Schöpfer von „Karneval der Tiere“ und der Oper „Samson und Dalila“.

Wir kommen der Sache näher, ich durchforste die neuen Alben nach kurzen Zwei-Minuten-Stücken, aber die sind es alle nicht. Hm, vielleicht doch mal in die Playlist von Deutschlandfunk Kultur schauen? Was haben die denn in der letzten halben Stunde gepielt? Leider ergibt diese Recherche kein Ergebnis, da der Sender offenbar keine Playlist zur Verfügung stellt. Bin ich aufgeschmissen?

Mir fällt ein, dass es vielleicht doch eher Deutschlandfunk ohne Kultur ist, das mein Nachbar hört. Wie sieht es da aus? Ein paar Sekunden später traue ich meinen Augen kaum: DF hat tatsächlich fast eine halbe Stunde lang Gray-Stücke in der betreffenden Zeit, in einer Sendung namens „Die neue Platte“. Eines scheint mir aufgrund seiner Kürze besonders plausibel: „Improvisation aus dem Album du Gaulois“ heißt es da, 1:22 Minuten Spielzeit, das kommt gefühlt hin. Ach nein, das ist es nicht. Was haben wir denn noch? Ah, hier: „Tango, aus Lola op. 116“. Tango, natürlich! Das muss es sein – und das ist es auch! Hurra! Die kleinen detektivischen Freuden des Stadtmenschen!

Tina Manske