Geschrieben am 11. Januar 2009 von für Musikmag

Animal Collective in concert – 18.01.2008, Berlin, Postbahnhof

Zeit unterwirft sich

Psychedelischer Jam, in dem alles nebeneinander existiert, jegliche Hierarchien über Bord geworfen werden, alle alles machen, alles zu jeder Zeit möglich ist… Von Tina Manske

An dieser Band kommt man in diesen Tagen und Wochen nicht vorbei. Nachdem sie buchstäblich jedes Feuilleton dieser Erde zu Begeisterungsstürmen über ihr neues Album „Merriweather Post Pavilion“ hingerissen haben, spielten sie Ende letzter Woche ihr einziges Deutschlandkonzert im Berliner Postbahnhof.

Die Erwartungshaltung war dementsprechend hoch. Und noch selten hat man solch lange Schlange vor dem Club gesehen. Gesprochen wurde beim Warten aber hauptsächlich englisch und französisch, anscheinend sind die Besucher aus aller Herren Länder angereist. Animal Collective haben seit acht Alben Fans angehäuft, aber erst jetzt, mit dem neunten, sind sie (so scheint’s, aber haha, s.u.) in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Das macht sich eben auch in der Schlange bemerkbar.

Der seltsame Humor der Band zeigt sich in der Auswahl des Openers. Da spielt ein obskurer Herr, dessen Songtexte hauptsächlich aus Vokalen besteht, und dessen „Iiii-uuuuh-iih-ah“ vom Publikum leicht hämisch kommentiert wird. (Obwohl seine Musik nicht übel wäre, würde er weniger jaulen. Coole Synthesizer-Samples hat er jedenfalls dabei.) Nach wenigen Stücken verlässt er freiwillig die Bühne und macht Platz für den Hauptact.

Und dann geht’s los: Geoglogist an den Synthesizern (und mit der obligatorischen Stirnlampe) nickt sich 80 Minuten lang einen Wolf wie ein bekifftes Eichhörnchen, während Sänger Panda Bear dem Publikum meist den Rücken zudreht, was nicht weiter stört, weil die wabernde Dunkelheit und die sehr spärliche Lichttechnik auch Avey Tare da oben sowieso halb verschluckt. „Das ist mir zu viel Ge-Jamme“, höre ich jemanden neben mir sagen, und tatsächlich machen es einem Animal Collective nicht halb so leicht, wie das die Mainstream-Medien mit ihrem plötzlichen Hype suggerieren – juhu! Was für eine Freude, wenn man sich auf diesen psychedelischen Jam einlässt, in dem alles nebeneinander existiert, jegliche Hierarchien über Bord geworfen werden, alle alles machen, alles zu jeder Zeit möglich ist – the drugs don’t work, weil man allein mit dem Sound völlig high wird. Das Publikum lauert auf die neuen Hits wie „My Girls“ und bekommt sie auch (obwohl diese Live-Version nicht ganz so packen kann wie auf dem Album), aber beeindruckender sind doch die Ausbuchtungen zwischendurch, wenn sich die Zeit der Macht dieser Band zu unterwerfen scheint und sich endlos zerdehnt oder gleich ganz stehenbleibt. Auch wenn der Sound im Postbahnhof zu wünschen übrig lässt, solche Klänge bekommt auch diese Halle nicht klein.

Vieles vom neuen Album ist dabei, aber natürlich spielen Animal Collective auch viele ihrer älteren Songs, lassen sie zerfasern in tausend eigenständige Partikel, um sie dann nach einer gefühlten Ewigkeit wieder zusammenzuführen. Bei einem Titel wie „Fireworks“ kann man vor allem live sehr gut belegen, wieviel Gemeinsamkeiten diese Musik mit Techno hat und wie leicht man sich mit ihr in einen Rausch begeben kann. Zusammen mit Antony & The Johnsons machen Animal Collective diesen Jahresanfang zu einem wahren Fest.

Tina Manske

Aktuelles Album: Merriweather Post Pavilion. Domino Records (Vertrieb: Indigo). Animal Collective bei MySpace