Geschrieben am 2. Juni 2005 von für Musikmag

Albert Ayler Trio: Live on the Riviera

Spirituelle Einheit

Keine Verschwörung: Gerade die Live-Aufnahmen aus Frankreich vom Juli 1970 zeigen Albert Ayler ironischerweise noch einmal in sehr guter Form.

Im November 1970 wurde Albert Aylers Leiche aus dem East River gefischt. Verschwörungstheoretikers Lieblingsdebatte, ob er ermordet wurde oder nicht, wollen wir hier nicht aufwärmen. Er ist schlicht und einfach ertrunken und Selbstmord ist die wahrscheinlichste Ursache. Acht Jahre lang hatten die Platten des Saxophonisten aus Cleveland, Ohio die Jazzwelt durcheinandergewirbelt. Aus dem großen Zertrümmerer und gleichzeitigen Innovator war am Ende eine schlechte esoterische Kopie seiner selbst geworden. Obwohl: Gerade die Live-Aufnahmen aus Frankreich vom Juli 1970 zeigen ihn ironischerweise noch einmal in sehr guter Form. Zwar bietet er zusammen mit Allen Blairman (dr) und Steve Tintweiss (b) nichts aufregend Neues, aber sein Saxophonspiel klingt wieder gewohnt kraftvoll, unkonventionell, hymnisch, schräg und tief in Blues, Gospel und Volkslied verhaftet. Die seit 1968/69 unvermeidlich gewordene Mary Maria, die nicht einmal einen Hauch Jeanne Lee verströmen konnte, ist mit ihrer ewigen »Music-is-the-healing-force-of-the-universe«-Litanei, die Aylers Musik in den Jahren zuvor fast lächerlich gemacht hatte, deutlich zurückgedrängt und nervt nur in noch erträglichen Maßen.

Autoritativ, nicht autoritär

Wie genial Ayler aber wirklich war, können wir bestens an „Spiritual Unity“ verfolgen, eingespielt 1965, sozusagen eine noch reifere Version von „Spirits“ (1964). Zusammen mit Gary Peacock (b) und Sunny Murray (dr) demontiert Ayler da folgerichtig jede Hierarchie und Standardfunktion der Instrumente, errichtet die totale, frei bestimmte Kommunikation anhand langgeschwungener Bögen und anscheinend simpler Melodien, und organisiert diese neu gewonnen Freiheiten eben nicht als Solotrip, als Auseinander- oder Kaputtspielen, sondern gelangt zu einer „spirituellen“ Einheit, wie skeptisch gegenüber einem solch vagen Begriff man auch sein mag. Und er prägte einen Sound auf seinem Tenorsaxophon, so groß, so mächtig, so schräg und doch so individuell und autoritativ (nicht autoritär!). Ein großer Umbruch im Jazz, oft und oft kläglich kopiert, doch nie erreicht. Albert Ayler war ein Gigant, eine Schlüsselfigur. Und ein gescheitertes Genie. Man muss diese Produktion kennen.

Thomas Wörtche

Albert Ayler Trio: Spiritual Unity (ESP 1002); Live o­n the Riviera (ESP 4001).