Geschrieben am 24. April 2013 von für Musikmag, Porträts / Interviews

25 Jahre Int. Jazzfest Gronau (25.4. – 5.5.)

jazzfest-gronau-2013Wider die Jazzpolizei

– Wie man die Mutter aller Musik am Leben hält. Christiane Nitsche hat sich mit den Organisatoren des Gronauer Jazzfestivals unterhalten.

Das Wort fällt mehrmals: „Jazzpolizei“. Otto Lohle, der letzte der vier Gründungsväter des Gronauer Jazzfestes, der heute noch als Macher dabei ist, fühlt sich mitunter in die Defensive gedrängt von Puristen, für die der Jazz etwas ist, das es zu verteidigen gelte gegen populäre Aufweichungen. Doch Lohle hält es mit Klaus Doldinger, den er schon zweimal in Gronau begrüßen konnte: „Es kommt alles aus’m Jazz.“ Und welche Mutter wollte ihre Kinder verleugnen? Also finden sich 2013 im Programm des „Internationalen Jazzfest Gronau“ (25.4. – 5.5) Interpreten wie Max Herre und Flo Mega und Bands wie „Earth, Wind & Fire“. Funk, Soul, HipHop, Rap, Latin, Weltmusik, Blues, Dixie und sogar Pop –  die Kinder schlüpfen der großen, alten Mama Jazz noch einmal unter ihre Fittiche, zeigen ihre Wurzeln und demonstrieren, wie fruchtbar das ist: Jazz.

25 Jahre alt wird das „Internationale Jazzfest Gronau“ in der Grenzstadt in der westmünsterländischen Provinz. Lange vom Rest der Republik unbeachtet, hat es sich zu einem Top-Event gemausert – Jazzpolizei hin oder her.

Otto Lohle

Otto Lohle

Es kommt alles aus’m Jazz

„Mir muss kein Purist mehr kommen“, sagt Lohle selbstbewusst. „Die müssen sich nur Montreux oder North Sea Jazz angucken: Da gibt’s Pop jede Menge.“ Das Selbstbewusstsein kommt nicht von ungefähr.  In den letzten Jahren gaben sich Al di Meola, John McLaughlin, Marcus Miller,  Jan Garbarek und Klaus Doldinger die Klinke in die Hand, aber bereits in den Anfangsjahren liest sich das Programm streckenweise wie eine Hall of Fame des internationalen Jazz: B. B. King war hier, Fats Domino, Pat Metheney, Mr. Acker Bilk, Barbara Thompson, Candy Dulfer. Man könnte ewig weitermachen.

Dabei war anfangs längst nicht klar, dass das Jazzfest eine Zukunft haben würde. Gronau, einstmals eine Hochburg der westfälischen Textilindustrie lag in den späten 80er-Jahren wirtschaftlich am Boden. Die Arbeitslosigkeit betrug rund 20 Prozent. Weitläufige Industrieanlagen lagen brach – mitten in der Stadt. Das kulturelle und soziale Leben ebenso. Die Idee von vier musikbegeisterten Gronauern, vor diesem Hintergrund ein Jazzfest zu organisieren, erntete erstmal eine Menge Kopfschütteln.

„Der Akzent lag von Anfang an sehr nah am lokalen Publikum“, erklärt Lohle. Es sei vor allem darum gegangen, ein Fest zu feiern, „den Jazz zu feiern“. Es sei nie darum gegangen, Avantgarde zu präsentieren oder neue Trends im Jazz aufzuzeigen. Die lokale Szene und eine Reihe Kontakte in die benachbarten Niederlande legten den ersten Schwerpunkt nahe: Dixieland.

Thomas Albers

Thomas Albers

Musikalität und Mut

Dabei sorgte einer der Jazzfest-Väter, Theo Eimann, dafür, dass die Qualität immer stimmte: „Wir nehmen keine Telefonkapellen“, war die Losung, die er ausgab – sprich: keine auf Abruf zusammengetrommelten Combos. Lohle: „Er hat damals schon den Grundstein dafür gelegt, dass das Niveau stimmt.“ Inzwischen habe das Festival einen Namen. „Wenn hier jemand auftritt, hat er auch Format. Und dann ist es egal, ob er modernen Jazz macht oder Funk und Soul.“

Neben der Affinität zu gut gemachter Musik sind es wohl Mut, Pioniergeist und eine Portion Glück, die es möglich machten, ein solches Festival auf „Brachland“ zu etablieren und über 25 Jahre am Leben zu halten – bei steigenden Zuschauerzahlen und wachsendem Renommée. Rund eine halbe Million Zuschauer waren im Laufe der Jahre dort, um über 8.000 Musiker zu sehen und zu hören. Das Budget stieg im Jubiläumsjahr auf satte 350.000 Euro – finanziert zu etwa zwei Dritteln aus Sponsorengeldern. Ob das immer so weitergeht, ist allerdings die Frage.

„Heute wäre das alles undenkbar“, kommentiert Thomas Albers die Anfänge des Festivals. Allein die Sicherheitsauflagen ließen Konzerte in der „Jazzfabrik“, wo in einer der aufgelassenen Textilfabriken die ersten Festivals stattfanden, nicht zu. Wo damals die Bühne war, hat heute Albers sein Büro. „Wir sehen uns die Struktur genau an“, sagt der Geschäftsführer der städtischen Kulturbüro Gronau GmbH, die seit 2003 das Jazzfest organisiert. Inzwischen hat Gronau weit über die Region hinaus einen Namen als Musikstadt und das längst nicht nur, weil Udo Lindenberg hier geboren wurde. Das Rock’n’Popmuseum, 2004 eröffnet, gilt in Europa als einzigartig und wurde kürzlich erst offiziell zu einem von 111 kulturhistorischen Schätzen NRWs gekürt.

„Ich frage mich, ob die Gedanken zur Errichtung eines solchen Museums überhaupt geboren wären ohne das Jazzfest – und natürlich Udo“, überlegt Albers.

jazzfest2013-aljarreau2Für Lohle aber steht fest: „Über die Musik ist für die Stadt eine neue Identität geschaffen worden.“  Ihm sei wichtig, dass sowohl das heimische Publikum dem Festival die Treue gehalten hat als auch Auswärtige zunehmend kommen, um Main Acts wie etwa 2012 Stefanie Heinzmann oder Max Mutzke zu sehen. „Das ist ein Publikum, das kriegst du sonst nie“, sagt er. Und darum stehe er auch dazu, dass Max Herre & Co. das Jazzfest bereichern. „Da bin ich schon komisch angeguckt worden, aber das heißt dann für mich erstmal: prima, die Leute gucken sich an, was wir hier machen.“ Der wirtschaftliche Mehrwert, den die Stadt dadurch bekomme, sei nicht zu beziffern, sagt Albers. „Aber er ist unbestritten da.“ Lohle nickt: „Wenn sie nicht hier übernachten, essen und trinken sie doch hier. Das ist für die Stadt ein Riesengewinn.“

Im Jubiläumsjahr weist das Line-up Größen wie Al Jarreau, Ian Anderson und Richard Galliano aus, dazu mit Götz Alsmann den national unangefochtenen „König des Jazz-Schlagers“. Der Publikumszuspruch dürfte also auch im Jahr 2013 wieder stimmen.

Christiane Nitsche

Mehr Infos hier: Jazzfest Gronau

Tags : , , , , , ,