Geschrieben am 1. September 2017 von für Musikmag

Martin Aston: Breaking Down the Walls of Heartache. How Music Came Out

aston_coverAnekdoten ohne Klatsch und Tratsch

“Bop bopa-a-lu a whop bam boo
Tutti Frutti, oh Rudy
Tutti Frutti, oh Rudy
Got a girl named Sue, she knows just what to do…”

… so beginnt “Tutti Frutti”, einer der berühmtesten Rock’n’Roll-Songs aller Zeiten. Geschrieben anno 1955 von Little Richard, unzählige Male gecovert, von Elvis Presley und seinem Hüftschwung unsterblich gemacht. Dass es in diesem Stück nicht wirklich um Obstsalat, sondern um andere süße, saftige Dinge geht, sollte selbst streng katholischen Priesteranwärtern klar sein – aber auch nur wenige aufgeschlossene Rock’n’Roll-Fans kennen den ursprünglichen Text, in dem Little Richard unverhohlen schwulen Sex propagiert. Natürlich konnte Mitte der Fünfziger keine Platte mit diesem Text herauskommen: „Tutti Frutti, good booty / If it don’t fit, don’t force it / You can grease it, make it easy“… Die umgedichtete Version war zwar durchaus zweideutig, aber immerhin nicht schwul, ein unsagbarer Begriff damals, auch wenn viele Stars – Little Richard war nur einer davon – „as gay as a daffodil“ (um Freddie Mercury zu zitieren) waren und auftraten. Liberace zum Beispiel: Der amerikanische Pianist mit polnisch-italienischen Wurzeln schmückte sich selbst mit Federn und Brillanten und sein Klavier mit prächtigen Kandelabern, und hielt doch jahrzehntelang die Mär von seiner Heterosexualität aufrecht, die ihm viele sogar abnahmen – weil es die schwule Realität, paradiesvogelhaftes Auftreten hin oder her, einfach nicht geben durfte.

„Closeted“, verschlossen, ist daher auch das Schlüsselwort in Martin Astons überbordender Geschichte schwuler, lesbischer, respektive queerer PopmusikerInnen, „Breaking Down the Walls of Heartache. How Music Came Out“. Erzählt wird von tragischen HeldInnen, befreienden Outings (z.B. Rob Halford, Sänger von Judas Priest – kein leichter Schritt im Heavy Metal) und unaufgelösten Schwebezuständen (siehe Dusty Springfield), closeted gays, funny fairies und Klischees à la, „no one loves a fairy when she’s forty“.
Aston, britischer Musikjournalist und Autor von Büchern über Björk, Pulp, und das Label 4AD, breitet in „Breaking Down… “ ein schier unglaubliches Detailwissen über queere (Pop-) Musik seit Anfang des 20. Jahrhunderts bis zur Jetztzeit aus – Aston kennt die obskursten Platten, KünstlerInnen, Label, Auftrittsorte; hat hunderte Interviews geführt und liebt Anekdoten, ohne sich allein an Klatsch und Tratsch zu weiden. Ihm geht es um Sichtbarmachung, und darum, homosexuellen MusikerInnen, Trans*- und Queers den Platz in der Popgeschichte zu geben, der ihnen gebührt. Er schreibt über das lesbische Rockabilly-Trio Roc-A-Jets, Jazzsängerin Frances Faye (und ihren ikonischen Song, „gay, gay, gay, is there any other way?“), Bruz Fletcher, den vergessenen Sonnyboy der „pansy age“, der ewig eindeutig-uneindeutige David Bowie hat natürlich seinen Platz, ebenso die Stars der 1980er, als Pop dank der Vorbereitung durch die hedonistische Disco-Ära endgültig „out of the closet“ kam. Einzelne Beispiele aus dieser Materialfülle herauszugreifen, scheint angesichts der unzähligen Namen beinah ungerecht, Astons Botschaft wird aber in jeder Zeile deutlich: Die Verleugnung schwuler, lesbischer, queerer KünstlerInnen ist so unmenschlich wie sinnlos. Ohne fairies kein Pop – eine schlichte Wahrheit, die sich auf alle Bereiche modernen Lebens ausweiten lässt. Ohne fairies vor allem kein spannender, schillernder, fantasie- und lustvoller Pop – aber das ist Interpretation meinerseits.

Auch wenn „Breaking Down the Walls…“ stolze 600 Seiten umfasst, ist es kein hermetisch abgeschlossenes Werk; Aston legt Spuren zum Weiterverfolgen aus, zum Beispiel:

a_queer noises„Queer Noises – From the Closet to the Charts“ heißt eine von Jon Savage zusammengestellte CD-Compilation (erschienen bei Trikont) – viele der von Savage präsentierten MusikerInnen kommen in Astons Buch vor: Polly Perkins, Jobriath, Rod McKuen, Sylvester, The Kinks und die Ramones mit „53rd & 3rd“, dem Song, der von Dee Dees Vergangenheit als Strichjunge handelt – die an den Knien aufgerissenen Jeans der Ramones verwiesen auf die Bereitschaft für Blowjobs. So offen in punkto Homosexualität beziehungsweise Sex überhaupt waren nur wenige Punks, die zumindest anfangs eine zuweilen zynische Asexualität an den Tag legten; Johnny Rotten/John Lydon bezeichnete Sex als „nur wenige Minuten dauernde schmatzende Geräusche“; Aktivist Tom Robinson mit seiner Schwulenhymne „Glad to be Gay“ und Transfrau Jayne County sind echte Ausnahmen der frühen Punkjahre; Germs-Sänger Darby Crash nahm sich tragischerweise das Leben: Schwule fanden auch im US-Punk keinen Platz.

Expliziter ging es zu Disco-Zeiten zu, wenn auch mit teilweise paradoxen Phänomenen: a_echolsfast alle gay disco anthems werden von Frauen gesungen – und von schwulen Männern vereinnahmt/vergöttert, z.B. „I Will Survive“ von Gloria Gaynor, „Love to Love You Baby“ von Donna Summer, etc.pp), nachzulesen in Alice Echols Disco-History „Hot Stuff“ (W.W. Norton, 2010).

Kurzum: „Breaking Down the Walls of Heartache“ ist eins der wichtigsten Musikbücher der letzten Jahre, das die gesamte Popgeschichte in lavendellila Licht taucht.

 

 

 

Martin Aston: Breaking Down the Walls of Heartache. How Music Came Out (Constable/Little Brown, 2016)
ISBN: 978-1-4721-2244-5
www.littlebrown.co.uk

Jobriath: I’maman

Dusty Springfield: I only wanna be with you