Ein geistesgegenwärtiger bürgerlicher Konservativer
Von Wolfram Schütte
Auch wer manchen seiner vielfältigen Aktivitäten reserviert gegenüberstand, kam nicht umhin, das außerordentliche Talent Frank Schirrmachers, den deutschen Kultur-Journalismus aufzuwirbeln, mit Respekt (auch im Widerspruch) anzuerkennen. Er war außergewöhnlich; weniger als Literaturkritiker, denn als hellwacher, passionierter Redakteur & Intellektueller.
Er ist sehr früh sehr viel geworden, war der jüngste Herausgeber der FAZ & bald schien er der einzige – so sehr überstrahlte seine allgegenwärtige Aktivität die älteren neben ihm. Schirrmacher: das war „die FAZ“ – zumindest jene FAZ, die wahrhaft „geistesgegenwärtig“ & up-to-date war. Was nicht bloß „modern“ heißt – wie ja überhaupt Vieles, was einmal kontrastiv-unversöhnlich schien, durch die gesamtmondialen technisch-politischen Entwicklungen diffus & ambigue geworden ist.
Schirrmacher hat solche Entwicklungen als erster erahnt & sie befördert. Er war ein Kondottiere-Typ, unter ihm zu arbeiten & abhängig von ihm zu sein, wird gewiss kein Honigschlecken in der FAZ/S gewesen sein.
Aber zweifellos war er der innovativ-antreibende Kopf der Redaktion & des ganzen Hauses, der schnell mit der Macht umgehen & sie mehren konnte, nachdem sie ihm im Feuilleton der FAZ zugefallen war. Eher skrupellos als skrupulös, verstand er sie im Haus & in der Öffentlichkeit stetig auszubauen. Er hatte – flapsig gesagt – den „richtigen Riecher“ für das Kommende & setzte sich als dessen „Türmer“ an die Spitze der gesellschaftspolitischen Entwicklungen – indem er sie mit schnell gestrickten Büchern einflussreich thematisierte. Ob es z.B. die Altersentwicklung in unseren Wohlstandsgesellschaften war oder die unabsehbaren Kollateralschäden des Internets für unsere Welt waren: der Autor Frank Schirrmacher war schon präsent, als alle anderen Kollegen noch gar nicht wussten, wovon er handelte.
Und er handelte: indem er, was unter den seriösen Vertretern der Printpresse, als boulevardesker „Kampagnenjournalismus“ im Verruf war & scheel angesehen wurde, zu einem konzentrierten Debatten-Forum über die substantiell-existentiellen Fragen der Gesellschaft nobilitierte. So konnte z.B. die erklärte Kommunistin Sarah Wagenknecht sich ganzseitig in der FAZ äußern.
Frank Schirrmacher war kein (insgeheimer) Linker. Er war ein aufmerksamer, phantasievoller bürgerlicher Zeitgenosse. Seine (soweit ich sehe: unausgesprochene) Angst war es, dass das Gesamt bürgerlicher „Errungenschaften“ in allen gesellschaftlichen, kultur-politischen Bereichen sowohl durch die technischen Entwicklungen & den sich daraus ergebenden Möglichkeiten als auch durch die Inkompetenz der demokratisch gewählten Machthaber leichtfertig verspielt & welchem „Großen Bruder“ auch immer kampflos übergeben werden würde. Gut vorstellbar, dass ihn ein Krisen-, wo nicht gar Apokalypse-Bewusstsein vergleichbar dem des Philosophen Günter Anders („Die Antiquiertheit des Menschen“) zu seinen erstaunlich weitreichenden intellektuellen Eingriffen motivierte, ja: mobilisierte.
Sein früher Tod ist nicht nur eine irreparable Katastrophe für die FAZ & FAS, deren journalistisches Profil & intellektuelle Innovationskraft er bestimmte, sondern auch ein schwerer Schlag für den gesamten deutschen Qualitätsjournalismus.
Wer neidlos ist (was manchen, die neben ihm zurückblieben, schwerfallen dürfte), wird aber anerkennen, dass Frank Schirrmacher – nehmt alle nur in allem – doch wohl unter uns der hellste Kopf war – zumindest was dessen Ohren anging: Weil er das Gras wachsen hörte & vor allen andern dabei war, sein „il faut cultiver le jardin“ in die Tat umzusetzen. Er war aber auch souverän genug, den Richtigen den öffentlichen Platz (in der FAZ) zu verschaffen & nicht nur an sich zu denken. Das ist eine klassische Redakteurstugend. Das (& manches andere) wollen wir ihm nicht vergessen – bei allem Wider- & Einspruch. Er wird uns, seinen Zeitgenossen, fehlen. Ein bitterer Verlust, ein noch so junger Mann, der sich leidenschaftlich in seinem Beruf verzehrt hat. Er wurde noch gebraucht.
Wolfram Schütte
Foto: Wikimedia Commons. Quelle, Autor Magnus Manske