Geschrieben am 5. März 2011 von für Litmag, Porträts / Interviews

Zum Tod Friedhelm Kemps

Homme des Lettres

Jeder Alte der stirbt“, so heißt es in einem afrikanischen Sprichwort, „ist eine brennende Bibliothek“. Mit dem Tod des Übersetzers und Schriftstellers Friedhelm Kemp ist eine große Bibliothek verbrannt. Die Bibliothek in seiner Wohnung in der Münchner ‚Paradiesstraße’ (was für ein Straßenname für einen Freund der Weltpoesie…) muss grandios gewesen sein. Alle, die das Glück hatten, sie jemals gesehen zu haben, schwärmten anschließend in berauschenden Tönen von dieser legendären Sammlung an Büchern, vor allem von französischsprachigen Schriftstellern der Moderne, aber auch aus der neueren angloamerikanischen Literatur.

Hier, in der Wohnung von Friedhelm Kemp, war das gebildete, in der Antike ebenso wie in der Moderne beheimatete europäische Bildungsbürgertum zu Hause. Wenn man Kemp reden hörte, zuletzt häufig in der Münchner Akademie der Schönen Künste, bekam man noch eine Ahnung von einer Kultur, deren Repräsentanten heute immer mehr aus unserer Aufmerksamkeit verschwinden, einige von ihnen sogar von allen vergessen und vereinsamt. Friedhelm Kemps intime bis in die feinsten Nuancen hin souveräne Kennerschaft der französischen Sprache konnte man nur bewundern. Auch in der englischen Sprache bewegte er sich so traumhaft sicher wie in seiner deutschen Muttersprache.

Kemp hatte auch in sich eine Bibliothek angesammelt, an deren Lektüren er jeden Leser seiner unendlich vielen Übersetzungen aus dem Französischen, dem Englischen, gelegentlich auch aus dem Italienischen teilnehmen ließ. Vor seinem Wissen um die großen Schriftsteller der europäischen Moderne konnte man als kleines Licht mit bescheidener Schulbildung, aber großer Neugierde auf die Literatur jenseits der deutschen Sprachgrenze, eigentlich nur sprachlos staunend verharren. Aber der 1914 in Köln geborene und bis ins hohe Alter hinein auch bewundernswert aufrecht gehende Friedhelm Kemp, war auch ein Lehrer, ein ‚Homme des Lettres’, der gerne, wenn auch nicht ohne Strenge, die Jüngeren an seinem Wissen teilhaben ließ. Bis heute spürt man in dem Programm des Münchner ‚Hanser-Verlags’ den Geist von Kemp, der diesem Haus viele Autoren zuführte. Für die schwierigen Werke etwa von Philippe Jaccottet und besonders von Yves Bonnefoy war Friedhelm Kemp ein kongenialer Übersetzer.  Und im heutigen Lektorat des Verlags arbeiten Schüler und enge Freunde von Kemp.

In einer Rede zu seinen Ehren hat der Hanser-Verleger Michael Krüger Kemp als „den Besonderen unter den Besonderen“ genannt. „Warum? Weil er sich – nicht nur, aber vor allem – der Übersetzung von Poesie gewidmet hat. Er ist ein besonders schönes Exemplar eines weißen Raben. In den mehr als fünfzig Jahren, die Friedhelm Kemp mit der Literatur und für die Literatur gelebt hat, hat er nicht ein einziges Mal ein Buch übertragen, das er nicht gemocht hat, das ihm heute zuwider oder gar peinlich wäre.“

Bücher  lesen, die Werke von Schriftstellern, die man liebt, in die eigene Sprache übersetzen, Menschen für Literatur, vor allem für die Sprache der Poesie zu begeistern, kann wunderbare Glücksmomente vermitteln. In diesem Sinne war der Anfang März in München verstorbene Friedhelm Kemp ein glücklicher Mensch und wenn man ihm zuhörte oder seine Übersetzungen las,  sprang dieser leidenschaftliche Funke für die Aufklärung, die Literatur und vor allem für die Sprache der Poesie auch auf einen selber über.

Carl Wilhelm Macke