Geschrieben am 16. November 2011 von für Kolumnen und Themen, Litmag

Zum Rücktritt von Silvio Berlusconi

Aus Sorge um Italien

– Soll man jetzt noch einmal in allen skandalösen und süffisanten Details das Besondere am Regierungsstil des Silvio Berlusconi ausbreiten? Was es für die politische Kultur eines Landes „inmitten von Europa“ bedeutet hat, für viele Jahre im Bann eines mal schlitzohrigen, mal kriminellen, mal senilen, mal potenzprotzigen Medienmoguls gestanden zu haben?

In den letzten Tagen, die auch seine – vermutlich – letzten Tage als „Primo Ministro“, als „Erster Minister“ in Italien gewesen sind, wurden in den Medien noch einmal alle über Berlusconi archivierten Nachrichten dem staunenden Publikum präsentiert. Über keinen Politiker und über keine „very important person“ wurde in Italien in den letzten Jahren so viel geschrieben, so viel recherchiert, so viel im Fernsehen und auch im Internet publiziert wie über Silvio, den „Mann der Vorsehung“, wie er sich ja selber einmal in der für ihn typischen Bescheidenheit bezeichnet hat.

Von „Product Placement“ verstand (und versteht) dieser Mann wirklich viel, sehr viel mehr jedenfalls als seine Kritiker und Feinde. Wenn der Name eines Produkts im Gespräch bleibt und sich in den Köpfen und Wünschen der potentiellen Käufer tief einprägt, ist die Werbestrategie erfolgreich, negative Schlagzeilen durchaus eingeschlossen.

Berlusconi ist diese Ego-Kampagne glänzend gelungen, auch wenn er damit das Image eines ganzen Landes ruiniert hat und manchmal grinsend über Leichen gegangen ist. „Es ist für einen Fürsten, der Großes vollbringen will, notwendig zu lernen, wie man Menschen betrügt.“ Macchiavelli dürfte zu den wenigen italienischen Klassikern gehören, die Silvio Berlusconi wirklich gelesen hat, vermutlich sogar mehrmals. Dass Berlusconi jetzt einfach vergessen wird, was er bei Macchiavelli gelesen oder von seinen politischen Freunden Putin, Lukaschenko oder Al-Gaddafi erfahren hat, ist unwahrscheinlich. Einer wie er wird niemals eine Niederlage oder ein Scheitern akzeptieren – das ist er schon den pralllippigen und vollbusigen Damen seiner diversen Eskorten schuldig.

Auch – und ganz besonders – diese geilen Seiten im Leben des Politikers Silvio Berlusconi wurden in den Medien schon seit Jahren in aller Breite und Schlüpfrigkeit ausgewalzt. Die Schlafzimmerneugierde vieler Zeitungsleser wurde von Journalisten und Kommentatoren mit immer neuen Petitessen vom Hofe Silvios bedient. Glanzlichter des kritischen Journalismus waren diese Berichte ganz gewiss nicht.

Verfallsprozess der Demokratie

Es gab und gibt jedoch unter den „Italien-Experten“ auch Berichterstatter und Kommentatoren, die sich weniger für die Vergnügungen alter Männer und junger „Nichten von Mubarak“, sondern für die oft traurigen Realitäten dieses angeblichen „Bel Paese“ interessieren. Stellvertretend seien hier Marcella und Hartwig Heine genannt, die schon vor Jahren in ihrem Blog „Aus Sorge um Italien“ (aussorgeumitalien.de) vor den Folgen des „Berlusconismus“ in Italien gewarnt haben:

„Ist Berlusconi italienische Folklore, wie noch immer einige deutsche Kommentatoren zu glauben scheinen? Leider nein, denn Berlusconi versucht, mitten in Europa ein autoritäres Regime zu errichten, in dem demokratische Prinzipien außer Kraft gesetzt werden. Es ist nicht ausgeschlossen, dass er damit Erfolg hat – wenn man ihn gewähren lässt …Wir wollen die Person Berlusconis nicht dämonisieren. Seine Regierungskoalition wurde von einer Mehrheit der Italiener gewählt, in Kenntnis seiner Person und seiner politischen Absichten. Insofern ist seine Herrschaft ein Krisensymptom der italienischen Gesellschaft, wozu auch die Schwäche und Zerspaltenheit der Opposition gehört. Unsere Sorge vermindert das nicht. Denn wir lieben nicht nur die Kultur, sondern auch die Menschen Italiens. Zumal in einem zusammenwachsenden Europa, das die Menschenrechte und die Demokratie achtet, unser Schicksal mit dem Schicksal Italiens durch tausend Fäden verbunden ist. Wenn sich in Italien ein autoritäres Regime etabliert, wird Europa insgesamt beschädigt.“

Und Marcella und Hartwig Heine haben es nicht dabei belassen, sich „Sorge um Italien“ zu machen, sondern sie haben seit gut drei Jahren Woche für Woche den Verfallsprozess der Demokratie unter Silvio Berlusconi mit großer Kompetenz und mit einer noch größeren Passion für die starken, liebenswerten Seiten dieses Landes beschrieben. Auch wenn Silvio Berlusconi jetzt nicht mehr nach seinem Gusto, vor allem für seine ganz egoistischen Interessen, die Politik in Italien bestimmen kann, bleibt die „Sorge um dieses Land“.

Carl Wilhelm Macke

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