Geschrieben am 13. September 2013 von für Kolumnen und Themen, Litmag

Wolfram Schüttes „Petits riens (VI)“: USA, der taumelnde Goliath

Wolfram Schütte über die große Enttäuschung Barak Obama, die USA als tobender, ohnmächtiger, taumelnder militärischer Goliath, vorgeführt von zwei Davids und über Cees Nootebooms deutsche Übersetzerin Helga van Beuningen.

Barack ObamaObama revised.

Man scheut sich, es zuzugeben: der derzeitige usamerikanische Präsident ist für alle, die mit ihm sympathisiert haben, die größte Enttäuschung auf diesem Posten in diesem Jahrhundert. Der Verdacht, er sei nur wiedergewählt worden, weil die Republikaner so dumm & verbohrt waren, einen bereits schon wieder vergessenen politisch-gesellschaftlichen Extremisten ihres rechten Flügels zu nominieren, ist nicht von der Hand zu weisen. Bei seiner ersten Wahl wurde der Schwarze, der Liberale, der Redner gewählt; bei seiner Wiederwahl wurde er nur noch gewählt, um die katastrophale personelle republikanische Alternative zu verhindern. Übrigens ist strukturell das Gleiche in Bonsaiform bei der Oberbürgermeisterwahl kürzlich in Frankfurt a.M. geschehen: Am Main wurde der nahezu unbekannte, farblose, bislang repräsentationsscheue SPD-Kandidat Feldmann, ein “unbeschriebenes Blatt”, einem allzu vollgeschriebenen CDU-Blatt, nämlich dem rechten Ordnungspolitiker Boris Rhein, vorgezogen. Feldmann agiert ebenso rhetorisch & faktisch ängstlich wie Obama, der den Friedensnobelpreis schon erhalten hat, bevor er etwas dafür hätte tun können.

Im Gegenteil: er ist ein “Kriegspräsident” geworden wie sein Vorgänger George W. Bush jr.- nur dass Obamas Kriegszüge heimtückischer, geheimer ablaufen, wenn man an die Drohnen-Exekutionen oder die weltweite Internet-Spionage NSA denkt. Auch lügt Obama, wenn nötig, so skrupellos wie sein Vorgänger. Wo dieser Texaner (wie in John Fords “Liberty Valance”) als rabiater Bandit agierte – als “Liberty Valance” – führt sich Obama, schlank wie James Steward, als Ransom Stoddard auf, der rhetorisch vollmundig Recht & Gesetz in dem namenlosen Wüstenstädtchen Fords einführen will wie der US-Präsident sich als Weltenrichter der globalen Politik aufspielt.

Obama, der politische Zögerer, setzte sich selbst eine “rote Linie“, ab der er eingreifen will, bzw. muss, wenn Assad sie überschritten habe. Aber dem potentiellen “Verbrecher gegen die Menschheit” droht er nicht mit dessen Vernichtung oder wenigstens damit, ihm seine Verbrechensmittel zu zerstören, sondern nur mit symbolischen ”Vergeltungsschlägen”. Weder hat er dazu ein UN-Mandat, noch sind solche Handlungen – die an Prügel auf die Hände von Delinquenten in Schulstuben erinnern – im internationalen politischen Handel vorgesehen oder erlaubt.

Nachdem das britische Parlament seinen großmäuligen Premierminister – Obamas engsten politischen Kompagnon in ihrer gemeinsamen “Bestrafungsaktion” – zurückgepfiffen hat (peinlicherweise sogar mit Hilfe aus den eigenen Reihen), sieht sich der US-Präsident einer vergleichbaren Blamage nahe. Weil auch in den USA außer republikanischen Falken dem Präsidenten mit seiner selbstgefälligen symbolischen Militärpolitik niemand fraglos folgen & zustimmen will, schon gar nicht das eigene Volk.

Offenbar aber ist Obama von seinem Drohnenkrieg (der de facto eine staatliche Form des Terrorismus ist) derart fasziniert, weil der auch keine eigene Menschenleben kostet, dass er seinen Drohnenkrieg mit Cruise Missiles in Syrien fortsetzen möchte. Aber nun darf er noch nicht einmal öffentlich dankbar dafür sein, dass der ungeliebte Putin – womöglich in geheimer diplomatischer Absprache? – ihm den einzigen noch gangbaren Ausweg aus seiner Selbstschussfalle gewiesen hat! So könnte Obama, chinesisch gesprochen, sein Gesicht gerade noch wahren – & Assad für sich den Statusquo erhalten, nachdem er begriffen hat, dass ihm seine Chemiewaffen zum Machterhalt weniger nützen als der diplomatische & militärische Beistand seiner Sympathisanten & Verbündeten.

Freilich: wer zieht ihn wegen seines Verbrechens zur Verantwortung, sollte nachweisbar sein, dass seine Truppen (& nicht Agents provocateurs der Rebellen) das Giftgas gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt haben? Die Regierungen Russlands & Chinas schweigen heute dazu so nachdrücklich wie es die USA taten, als Saddam Hussein im ersten Golfkrieg (1980/88) gegen den Iran & die Kurden sein Giftgas benutzte. Hat die weltweite Öffentlichkeitswirkung des Internets aus dem gleichen Kriegsverbrechen einen präsenteren Skandal gemacht als vor mehr als 3 Jahrzehnten Saddam Husseins Handlung, die ungeahndet blieb (weil sein Angriff auf den Iran Chomeinis “dem Westen” zupass kam?)

Sicher ist aber: nichts könnte für alle Seiten (wie immer deren jeweilige Zukunft sein mag) friedensnäher sein als eine international vorgenommene Dekomposition vorhandener Giftgasbestände. Auch die von den USA gedemütigte Weltmacht Russland & die aufsteigende Weltmachtpotenz China haben daran ein Interesse, dass das von ihnen unterstützte Syrien Assads sie nicht mit seinen Gaswaffen erpressbar macht oder sie als seine derzeitigen politischen Paten in den Augen der Weltöffentlichkeit desavouiert.

US-Präsident Obama, der “Kranke Mann am Potamac“, kann froh sein, dass er dabei noch als dritter im Bunde mitwirken darf. Außenpolitisch & diplomatisch sind die USA unter seiner Ägide in rasantem Abstieg begriffen. Bradley Manning & Edgar Snowden haben aller Welt offenbart, in welchem Zustand der um seine Dominanz fürchtende Hegemon sich bereits befindet: ein tobender, ohnmächtiger, taumelnder militärischer Goliath, vorgeführt von zwei mutigen Davids.

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Vergesst die Zöllner nicht. – Brecht hat in einem seiner schönsten Gedichte den Zöllner gerühmt, der dem Philosophen Laotse die Niederschrift seiner Erkenntnisse im Tao te king „abverlangt“ hat. Brecht, der ja viele (Frauen) für sich & seine poetische Produktion arbeiten ließ (wie ein Ausbeuter), hat gewusst, wovon er spricht. Wenigstens er hat an die namenlosen Helfer gedacht – & ihnen in seinem Gedicht der “Legende von der Entstehung des Buches Tao te king” ein Denkmal gesetzt. Denk mal, hab ich mir jetzt über unsereins gedacht, als in unseren Zeitungen anlässlich des 80. Geburtstags des niederländischen Schriftstellers Cees Nooteboom hymnisch georgelt wurde; denn es waren in der Tat die Deutschen, die den niederländischen Reiseschriftsteller in seiner Heimat auch als Romancier bekannt machten. Darauf können wir Leser stolz sein. Aber keiner seiner deutschen Jubilierer hat auch nur ein Wort daran gewendet, Nootebooms deutsche Übersetzerin Helga van Beuningen zugleich ein Dankes-Kränzchen zu widmen. Ohne sie & ihre jahrzehntelange Übersetzertätigkeit würden wir ja alle Nooteboom überhaupt nicht kennen! Man müsste es schofel nennen, dass sie nun nicht auch mitbedankt wurde, wenn es nicht eher der Vergesslichkeit der Nooteboom-Verehrer zuzuschreiben wäre – was aber nicht weniger unhöflich, ärgerlich & unverzeihlich ist.

Wolfram Schütte

Foto: Official White House Photo by Pete Souza, Public Domain, Quelle.

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