Der einzigartige “Michel”
– Ein “deutscher Michel” ist er gewiss nicht, obwohl ein Deutscher – und “Michel” nennen ihn alle, die zeigen wollen, dass sie mir ihm vertrauten Umgang haben, obwohl er Michael Krüger heißt, im Dezember 70 Jahre alt wurde & noch bis zum Jahreswechsel der geschäftsführende Verleger des C. Hanser-Verlages ist. Von Wolfram Schütte
Er verlässt den Münchner Verlag nicht aus eigenem freiem Willen, nachdem er (& einige andere mit ihm) das einst konservative Haus – erst als Lektor, dann als Verleger – zu dem neben Siegfried Unselds Suhrkamp Verlag führenden deutschen Verlag gemacht hatte. Es war für einen deutschsprachigen Autor ebenso wünschens- wie erstrebenswert, bei einem der beiden Verlage zu sein, weil sie die “Ersten Adressen” waren, bei denen man sich in der Gesellschaft der herausragenden, sprich: Großen Autoren der (aktuellen) Weltliteratur befand.
Unseld träumte (vergebens) davon, Krüger einmal als seinen Nachfolger zu sehen. Nach Unselds Tod 2002 ist Michael Krüger, an der Spitze eines der wenigen noch im Familienbesitz befindlichen großen deutschen Verlagsunternehmen (mit Zsolnay in Österreich & Nagel & Kimche in der Schweiz), unbestritten der weithin sichtbare “Leuchtturm” des deutschsprachigen Buch-Verlegertums geworden.
Aber das ehrfürchtige “Long goodbye”, das Michels Rückzug aus der Verlegerposition in allen Kulturmedien derzeit begleitet, ist ein erstaunlicher Vorgang: für den deutschen Sprach- & Kulturraum so singulär wie im nationalen & internationalen politischen Rahmen der Abschied von der “Ausnahme-Erscheinung” Nelson Mandelas.
Nur: dass Michel das Glück hat, die Fülle seiner “Nachrufe” schon zu seinen Lebzeiten hören & sehen zu können.
Die Hommagen, die ihm von Autoren, Kollegen, Journalisten – kurz von der gesamten literarischen Welt – dargebracht werden, gelten in der Tat einer verlegerischen Ausnahme-Person ebenso wie einem außergewöhnlichen Menschen.
Anders als Siegfried Unseld sind Michael Krüger keine Ehrendoktorhüte von deutschen Universitäten an- bzw. nachgetragen worden. Liegt das daran, dass der Bücherfreund in München nie eine akademische Karriere eingeschlagen hatte (wie der über H.Hesse promovierte Unseld)? Oder glaubte ihm niemand von den deutschen Akademikern “verpflichtet“ zu sein, bzw. dankbar sein zu müssen, weil der Hanser-Verlag in Krügers Ägide sein literarisches Qualitätsbewusstsein nicht aus akademischen Quellen speiste?
Aber derlei Akademismus kann “der Michel” leichthin verzichten. Immerhin hat man ihn aber nun, damit er nun nicht in eine Depression fällt, zum Präsidenten der Bayerischen Akademie der Schönen Künste gewählt. Da gehört er auch hin.
Er konnte mit (seinen) Autoren “auf Augenhöhe” verkehren, ist er doch selbst Erzähler, Lyriker & Essayist, also vollgültiger PEN-Bruder. Aber nicht seine eigene literarische Existenzführung ist es, die ihm nun in dieser Fülle des Nachhalls entgegenschallt; es sind sein immer bereiter Enthusiasmus für Literatur & Kunst, seine begeisterungsfähige, ressentimentlose Großzügigkeit & sein Genie der warmherzigen Freundschaft, die ihm nun als aufrichtige Bewunderung & verschämte Liebe von so vielen Großen & Kleinen, Nahen & Fernen dargebracht wird.
An dem großen Siegfried Unseld konnte man seinen Enthusiasmus für die Literatur auch noch mit der Sorge des Hausvaters um die Mehrung seines materiellen Eigentums als Verleger zusammendenken; während man an dem ewigen Verlagsangestellten Michel Krüger doch nur den Literatur-Enthusiasten in Reinkultur vor sich sah, ganz & gar “ins Gelingen verliebt” (Unseld ad se ipsum), gleichwohl nicht erd-, sprich: geschäftsenthoben. Sonst hätten ihn die, die ihn jetzt in den Ruhestand drängten, nicht so lange & erfolgreich wirtschaften lassen – zusammen mit seinen verlagsinternen Mitarbeitern & ihm verbundenen Lektoren.
Das Gerücht, er schlafe so wenig, damit er mehr Zeit habe, um zu lesen – möglichst alles, was im Verlag erscheinen soll –, mag zutreffen oder nur zu seinem gelebten Mythos gehören. Die Größe eines solchen Verlegers ist aber auch, zu wissen, wer ihm hilfreich zuarbeitet & furchtlos beisteht, um öffentlich nachhaltig wirken zu können. Auch darin war Krüger außergewöhnlich.
Seine vielstimmige, aber harmonische Verabschiedung ist auch deshalb einzigartig, weil alle ahnen, wo nicht sogar wissen, dass mit ihm eine glanzvolle Epoche des Büchermachens & -lesens zu Ende geht.
So mischt sich in die vielen lauten Trommelwirbel aufrichtiger Bewunderung für “den Michel” & sein großartiges Lebenswerk auch ein kaum vernehmbares Nebengeräusch. Es klingt wie das hohe, einsame “Pfeifen im Walde”. Und wer Ohren hat zu hören, kann verstehen: “So einen wie Dich, lieber Michel, werden wir nicht mehr sehen”.
Wolfram Schütte