Einspruch
Von Wolfram Schütte
In zwei Nachbetrachtungen des SZ-Feuilletons (14.1.15) zu den Charlie-Hebdo-Morden zeigt Sonja Zekri sich besorgt über die Probleme der europäischen Muslime & Lothar Müller lässt sich zwar von dem derzeitigen „Charlie-Hebdo“- (Ersatz-) Chefredakteur dazu bewegen, den Ausdruck eines „laizistischen Fundamentalismus“, der bislang in der SZ des öfteren pejorativ unter dem Titel eines „Aufklärungs-Fundamentalismus“ kursierte, künftig zu meiden, findet aber den „aggressiven Laizismus“, mit dem ein ehemaliger Chefredakteur der deutschen Satire-Zeitschrift „Titanic“ jetzt sagte, „man sollte jeden Glauben verachten“, auch nicht akzeptabel: „Gnade uns Gott“, beschließt Müller mit ironischem Ernst seine Betrachtung, „wenn die Verteidigung der Pressefreiheit als Feldzug gegen jegliche Religiosität geführt wird“. (Aber gegen gnadenlose Gottgefälligkeit hilft gelegentlich nur frohgemute Respektlosigkeit, damit Vernunft & Pragmatismus gegen Glauben & Irrationalität sich behaupten kann).
Dabei hatte der Ex-„Titanic“-Chef sich unausgesprochen dem ersten in der heutigen Moderne von aggressiver Religiosität verfolgten Schriftsteller, nämlich Salman Rushdie, nur angeschlossen. Rushdie, der wie kein zweiter heute weiß, was der zu gewärtigen hat, der dem Islam als Glauben kritisch, satirisch, künstlerisch entgegentritt, hat zu dem Pariser Massaker gesagt: “Ich stehe an der Seite von Charlie Hebdo – wie wir das alle tun müssten, um die Kunst der Satire zu verteidigen, die immer eine Kraft der Freiheit und gegen Tyrannei, Unehrenhaftigkeit und Dummheit war. >Respekt für die Religion< ist zu einem Codewort geworden, das bedeutet >Angst aus Religion<. Religionen, wie auch andere Ideen verdienen Kritik und, ja, unsere furchtlose Missachtung“.
Dieser „fearless disrespect“ Rushdies nannte Voltaire „écrasez l´infame“ & richtete seine Aufforderung damit damals gegen die katholische Kirche. (Voltaires Drama „Mahomet“, das Goethe noch in Weimar aufführen ließ, wagt heute keiner mehr auf eine europäische Bühne zu bringen.) Beim preußischen Kant hieß „Aufklärung“ ebenso vornehm wie unmissverständlich: „Ausgang des Menschen aus selbstverschuldeter Unmündigkeit“ – was wohl ohne „fearless disrespect“ gegenüber jeglicher „L´infame“ nicht möglich ist.
Sonja Zekri, die meines Wissens keine Muslima ist, aber so verständnisvoll & besorgt wie eine solche sich in die subtilsten der vielfältigen Identitäts- & Loyalitätssituationen europäischer Muslime hineinversetzt, findet deren bedauernswerte existenzielle Situation „ziemlich präzise“ in einer Bemerkung „getroffen“, die jetzt am Rande der Pariser Großdemonstration von einem Muslim geäußert wurde. Sie lautet: „Ihr seid einen Tag Charlie, wir sind jeden Tag Gaza“.
Das ist, mit Verlaub, ein starkes Stück! Der Satz ebenso wie seine Behauptung für richtig & zutreffend zu halten.
Denn mit „Gaza“ soll selbstverständlich die „Opferrolle“ der Palästinenser im Bombenhagel der israelischen Luftwaffe gemeint sein & keineswegs das drakonische Regiment der Hamas & ihrer ebenso ineffektiv-lächerlich wie zynisch kalkulierten selbstmörderischen Nadelstiche mit den provozierenden Raketen nach Israel. Und es soll damit eine moralische Überlegenheit der muslimischen Dauer-Klage über kriegsbedingten Tod & Verderben in Palästina gegenüber dem einmaligen Pariser Anschlag gegen Charlie-Hebdo ausgesprochen sein – wobei quasi naturbedingt die fast gleichzeitige Ermordung der vier französischen Juden in der Pariser Banlieu gar nicht erst von dem über Gaza dauertrauernden französischen Muslim erwähnt wird.
Seine schamlose Opfer-Übertrumpfung brauchte er jedoch gar nicht, um seine tiefere „muslimische“ Betroffenheit zu rechtfertigen – im Angesicht der innerfranzösischen Massaker durch jene, die in Allahs Namen mit Kalaschnikows wider „Ungläubige“ beten – seien es freche Satitiker oder „koscher“ einkaufende Juden in Frankreich. Denn unter seinesgleichen Allah-Gläubigen rund um die Welt fände er genug & numerisch weitaus mehr Gründe, in Trauer & Wut, Empörung & Empathie über deren Untaten zu fallen & demonstrierend auf die europäischen Straßen zu gehen (wie das die Kurden für ihre Belange tun)! In Nigeria, Mali. Afghanistan, Pakistan oder dem Vorderen Orient & der arabischen Halbinsel gäbe es übergenug Anlässe dazu. Im Namen eines Glaubens, der sich auf Mohammeds Allah beruft, werden da & dort Kinder & Mädchen beschnitten, vergewaltigt & hingemordet, „Sünder“ gesteinigt oder geköpft – & dafür wird „Respekt“ verlangt?
Wo sind die Muslime, die sich von Rushdies satirischem Roman „Satanische Verse“ beleidigt gefühlt hatten, ohne ihn gelesen zu haben, danach je gewesen – als in ihrem muslimischen Umfeld im Namen ihrer „sanftmütigen Religion“ die scheußlichsten Verbrechen an ihresgleichen Gläubigen begangen wurden? Wo ist da ihr angeblich religiös fundiertes außergewöhnliches Mitgefühl (& wäre es auch nur für ihresgleichen) jemals hervorgetreten? Wo haben die europäischen Muslime jemals uns Un-& Nichtgläubigen öffentlich gezeigt, dass sie verurteilen, missbilligen & verabscheuen, was in ihres „Allahs Namen“ an Menschen verübt wird, die nicht unterm Schutzschirm einer laizistisch-ungläubig-demokratischen Gesellschaft leben – aus der sich z.B. augenblicklich Erdogans Türkei unter islamischer Begleitmusik entfernt, hin zu einem autoritären, modernen „Kalifat“, das jetzt schon so „lupenrein demokratisch“ ist wie die Putinsche gelenkte Demokratie in Russland?
Kein Glaube kann für sich „Respekt“ verlangen, so lange Denken, Vernunft, „Unglaube“ nicht von Gläubigen respektiert wird!
Wolfram Schütte