Geschrieben am 20. Juni 2012 von für Kolumnen und Themen, Litmag

Kommentar: Wolfram Schütte über Martin Mosebach

Wenn der „Reaktionär“ träumt

– Mit wessen Hilfe Martin Mosebach ein Blasphemie-Verbot in Deutschland wünscht. Von Wolfram Schütte.

Wenn man dem Frankfurter Schriftsteller Martin Mosebach seine religiöse Neigung nicht als seinen persönlichen Tick nachsehen wollte, dann könnte man ihm unterstellen, dass er seinen streng katholischen Glauben wie kein zweiter unserer Autoren in der Öffentlichkeit zu seinem „Alleinstellungsmerkmal“ gemacht hat. „Chacun à son gout“ sollte man kommentierend, aber als Liberaler solcher ausgestellten religiösen Bekennerlust eher ironisch hinterherrufen.

Mosebach, dessen literarische Fiktionen aber erkennbar weniger (um nicht zu sagen gar nicht) von seinem katholischen Glaubensbekenntnis geprägt sind – anders als z. B. die des liberaleren Katholiken Heinrich Böll –, hält sich seit längerem etwas darauf zugute, dass er gar nicht „konservativ“ sei, sondern „reaktionär“. Die Reformen, die der „gute Papst“ Johannes XXIII. an der katholischen Liturgie vorgenommen hat, sind Mosebach wie den Pius-Brüdern und anderen „reaktionären“ Katholiken ein schierer Graus. Insofern schwimmt Mosebach auf Ratzingers ideologischer Welle – rückwärts obenauf.

Und da heute faktisch, politisch & ideologisch einst eindeutige Begriffe wie „konservativ“ & „fortschrittlich“ ein diffuses Aussehen bekommen haben, das weder eindeutig im Politischen noch im Gesellschaftlichen lokalisier- & identifizierbar erscheint, kann man des konservativen Mosebachs Präferenz für das „Reaktionäre“, als Kennzeichnung für seine geistige Option oder Heimat durchaus verstehen. „Wenn schon, denn schon“ mag seine Devise sein – abgesehen davon, dass ihn ein solches öffentliches Bekenntnis unter seinesgleichen Kollegen einzigartig erscheinen lässt, wird ihm eine solche „inkorrekte“ Behauptung vom linksliberalen Milieu auch nicht als dosierte Provokation übel genommen. Es gehört ja auch nur „Gratismut“ dazu, sie als amüsante Selbstbeschreibung in die Welt zu setzen und damit auch einen werbewirksamer Instinkt für die Reizwäsche öffentlicher Exposition zu zeigen.

Jetzt aber hat der selbstzufriedene Reaktionär Martin Mosebach seinem ideologischen Steckenpferd, auf dessen Rücken er schon bis zum Georg Büchner-Preis (nach dem weiß Gott unbezweifelbaren politischen Revolutionär) gelangt war, aber die Sporen gegeben. Es scheint so, als wolle Mosebach seiner spielerischen Adaption des Reaktionären nun tatsächliche Äußerungen folgen lassen, auf dass der Begriff mit der Sache gut hegelisch eins sei & er wirklich ein Reaktionär mit Haut & Haar werde.

In einem Text, der auf einem Workshop an der Universität Duisburg-Essen als Vortrag gehalten & nun in der FR (19.06.12, hier) publiziert wurde, fantasiert Mosebach über den „Wert des Verbietens“ & behauptet „warum es der Kunst und dem sozialen Klima dient, wenn Blasphemie wieder strafbar ist“.

Mosebach plädiert also ernstlich dafür, einen Blasphemie-Paragraphen in die deutsche Verfassung wieder einzufügen. Und zwar zum einen, weil es in der Präambel des Grundgesetzes lautet, es sei „im Bewusstsein der Verantwortung vor Gott und den Menschen“ formuliert worden; zum anderen sei der in Artikel 1 gebrauchte Begriff der „Menschenwürde“ ohne „christliche Inspiration nicht vorstellbar“. Deshalb müsse, nach Mosebach, „der deutsche Staat ein genuines Interesse daran haben, Blasphemie in der Kunst und der veröffentlichten Meinung zu verbieten und dieses Verbot mit Strafe zu bewehren“. Es läge sogar „eine Pflicht des Staates“ vor, „jenen Gott, auf dessen Geboten er seine sittliche Ordnung aufbauen will, vor Schmähung zu bewahren, die dieser sittlichen Ordnung auf Dauer den Respekt entziehen würde“.

Mosebach kehrt hier einen bekannten altgriechischen Spruch (gewissermaßen „demokratisch“) um, indem er verlangt, quod licet Bovi, licet Jovi, zu Deutsch: Was jedem Menschen zusteht, nämlich Schutz & Verteidigung seiner Würde, das muss auch für Gott gelten.

Man wird dieser Mosebach‘schen Argumentationspointe im Lichte eines amüsanten Geistesblitzes eine voltairesche Hochachtung nicht absprechen können. Aber ernstlich nur dann wird man darin keinen Taschenspielertrick sehen, wenn man sich von der Rousseau-Anekdote einschüchtern lässt, die Mosebach zur Begründung heranzieht.

Jean-Jacques Rousseau, dieses menschliche Paradox par excellence, habe ein Runde „blasphemisch spottender Libertins“ dadurch „zum Schweigen gebracht“, dass er die (was Mosebach nicht erwähnt) offenbar gesittetzivilisierten Gotteslästerer anfuhr, wenn es schon niederträchtig sei, zu schweigen, wenn über abwesende Freunde schlecht gesprochen werde, „um wie viel schäbiger ist es, wenn das über Gott geschieht, der doch anwesend ist“.

Hübsch gesagt, aber schlecht gedacht

Auch das ist hübsch gesagt, aber schlecht gedacht. Der an Gott Glaubende mag sich über die Spötter derlei denken, aber die Ungläubigen wird er weder damit fairerweise belästigen noch vernünftigerweise damit zu ehrfürchtigem Schweigen bringen.

Der reaktionäre Katholik Martin Mosebach hat aber noch ein wahrhaft hinterfotziges Argument parat, mit dem wieder „Musik in die Sache gekommen“ sei. Seitdem in Deutschland nämlich eine starke islamische Minorität lebe, sähen sich „unversehens Integrationsbefürworter in den deutschen Parteien mit Menschen konfrontiert, die in Hinsicht Blasphemie keinen Spaß verstehen“. Wie bereits in Großbritannien, wo schon aufgrund muslimischer Massenproteste ein „blasphemischer Film“ von dem Amerikaner Martin Scorsese verboten worden ist, würde „auch in Deutschland eine strafrechtliche Ächtung der Blasphemie vor dem Hintergrund eines wachsenden deutschen Islam wieder Bedeutung bekommen“.

Man bemerkt hier richtiggehend, wie der Christ Mosebach hofft, dass im tiefen, womöglich blutvollen Schatten aufgebrachter Muslim-Massen & fanatisierter „Gotteskrieger“, die das Objekt ihres mörderischen Hasses meist nur vom Hörensagen kennen, die strenge Morgenluft der Blasphemie-Bestrafung auch für antichristliche Verstöße zu erwittern sein würde. Es müsse ja endlich auch Schluss damit sein, dass die Christen bei uns geradezu verpflichtet seien, „die Schmähung ihres Glaubens klaglos hinzunehmen“.

Riefen einst die Briten bei der imperialistisch-europäischen Niederschlagung des chinesischen Boxeraufstands: „Germans to the front! “, so hofft heute der deutsche Katholik, die deutschen Muslime, angestachelt von rechtgläubigen Imamen, würden das heilsame Blasphemieverbot in Deutschland schon mit ihrer Massengewalt durchboxen.

In diesem Zusammenhang will Mosebach vorauseilend auch „nicht verhehlen, dass ich unfähig bin, mich zu empören, wenn in ihrem Glauben beleidigte Muslime blasphemischen Künstlern (… ) einen gewaltigen Schrecken einjagen“.

Nun, von nur einem „gewaltiger Schrecken“ kann ja nicht die Rede sein, wenn (wie in Dänemark) von „beleidigten Muslimen“ mit Äxten „argumentiert“ wird & nur deshalb kein Blut geflossen ist, weil das ausersehene Opfer nicht erwischt wurde. Oder wenn Scharias, wie einst gegen Rushdie, seine Übersetzer & Verleger ausgerufen (& in Norwegen & Japan mit tödlichem Folgen exekutiert) wurden. Auch nicht, wenn wie erst jüngst wieder in Iran, ein Rapper mit Mord bedroht wurde, der sich der Nachstellung nur durch die Flucht an einen geheimen Ort in einem westlichen Lande entziehen konnte, wo Blasphemie noch nicht verfolgt wird. Ganz zu schweigen von jenen wahnwitzig Tollkühnen, die in einer Gesellschaft von gottesfürchtigen Muslimen, sei‘s zu einer anderen Religion wechseln, sei‘s sich zur Ungläubigkeit bekennen wollen & damit quasi automatisch ihr Todesurteil wg. Blasphemie provozieren (z. B. in Afghanistan).

Natürlich würde der christliche Gotteskrieger Mosebach derlei muslimischen Furor nicht wollen, aber doch wohl die bürokratische Verfolgung von Blasphemie, wie sie derzeit in Russland gegen eine Frauengruppe praktiziert wird. Jedoch kann man es dem Freund einer Blasphemie-Verfolgung in Deutschland nicht durchgehen lassen, deutlich zu markieren, wen er als nützliche Idioten dafür rekrutieren will: muslimische Fanatiker …

Überhaupt wird an Mosebachs Plädoyer deutlich, dass es nicht der an- oder abwesende Gott ist, der „geschmäht“ wird, sondern wahrhaft ungöttliche religiöse Menschen, deren Glaube angeblich von anderen Menschen verunglimpft worden sein soll, worauf sie aufs Teuflischste erbost reagieren & die Bezweifler – angeblich an Gottes Stelle & mit seinem Willen – aus der Welt schaffen.

Selbst wenn Blasphemiker, nach Mosebachs Wunsch, „nur hinter Gitter gehörten“ – wie im wilhelminischen Deutschland der Autor Oskar Panizza wegen seines „Liebeskonzils erst ins Gefängnis & dann ins Irrenhaus gesperrt wurde“ –, wäre das eine unerträgliche Anmaßung der Religiösen & ein kapitaler Rückschritt der Gegenaufklärung.

Der Frankfurter Reaktionär träumt auch davon, dass der Ernst Jünger zugeschriebene ästhetizistische Gedanke, wonach Zensur den Stil verfeinere (vulgo: Was verboten ist, macht uns erst scharf), durch ein Blasphemie-Verbot sowohl der deutschen Literatur als auch der Gesellschaft zugutekomme als auch beide verbessere.

Martin Mosebach wird aber ernsthaft nicht annehmen, dass sich noch irgendjemand, der bei Verstand ist, für sein Gedanken-Spiel mit dem Feuer erwärmt – vielleicht außer fanatisierten muslimischen Gotteskriegern. Aber als selbst erklärter „Reaktionär“ hat er offenbart, wie‘s in seinem hasserfüllten Kopf spukt. Für diese Kenntlichkeit seien wir ihm erkenntlich.

Wolfram Schütte

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