Geschrieben am 18. Februar 2015 von für Kolumnen und Themen, Litmag

Wolfgang M. Heckel: Die Kultur der Reparatur

Heckl_ReparaturEine Reise in die Welt des geplanten Verfalls, unter Würdigung der Widerstandsbewegungen

– Es ist „nur“ ein Taschenbuch, das hier besprochen wird, ein Hardcover aus dem Hanser Verlag von 2013, noch einmal nutzbar, billiger und damit zugänglicher gemacht. Ein Vorgang gewiss ganz im Sinne seines Autors. Wolfgang M. Heckl ist Physiker und Generaldirektor des Deutschen Museums in München, sein wiederverwendbares Buch heißt „Die Kultur der Reparatur“. Es stellt die Frage: „Kaufst du noch oder reparierst du schon?“ Von Alf Mayer

Huh? Schlafen Ihnen gleich die Füße ein? Wieder solch ein Predigtthema? Wo nicht einmal die Grünen eine weltweite Bewegung wie ifixit.org (Ich reparier’s) mit der Rohrzange anfassen. Das Manifest der Selbstreparatur? „The Pledge“, sich selbst versprechen, einmal im Jahr beim Wegwerfen zu zögern? Nachhaltigkeit? War da was? Wir brauchen Konsum und Wachstum. Arbeitsplätze. Mülldeponien.

Warum sich mit so etwas wie Reparieren aufhalten? Wo uns das doch längst ausgetrieben wurde, von einer weltweiten, allumspannenden milliardenschweren Gehirnwäsche, Werbung genannt, von Servicewüsten aller Art, Hotlines mit Nirwanaschleifen, Werkstattpreisen zum Ohnmächtigwerden. Von Produkten, die nicht in sich hineinschauen und sich nicht öffnen lassen, von Verkäufern und dem eigenem Konsumverhalten, das uns alle lieber zum neueren Produkt greifen lässt, anstatt dem alten noch einmal eine Chance zu geben.

Als ich aufwuchs, in den 50ern, auf einem Dorf im Allgäu, gab es nicht nur den Dorfschmied, der Pferde und Traktoren neu beschlug, es gab auch einen, es war der Vater eines Freundes, der jedes, aber wirklich beinahe jedes Ding reparieren konnte. Radios, Föhns, Küchengeräte, Wasserpumpen, Plattenspieler, Tonbandapparate, sogar Fernseher. Geräten lag damals nicht nur eine Bedienungsanleitung, sondern auch der Schaltplan bei, sogar einen Automotor konnte jeder mit ein wenig Werkzeug selbst aus- und wiedereinbauen. Dieser Bruno, wie ihn alle nannten, fiel mir kürzlich wieder ein, als meine Frau sich – nach über 40 Jahren und erst nach langem Zureden, weil mir die Weihnachtsplätzchen zu gefährlich produziert wurden – von ihrem heißgeliebten orangefarbenen Krups „3 MIX 3000“ verabschiedete, der seit 1974 zuverlässig surrte. Die Drähte am Stecker lagen bloß. Bruno hätte sicher eine Lösung für die nächsten 20 Jahre gefunden. Dieser Text ist ihm gewidmet, meinem Helden im Drachenkampf gegen die Obsoleszenz.

handlungsreisenden_Auf nach „Füllhornhausen“

Die Reise in die Welt der Obsoleszenz – zu diesem Wort gleich mehr – führt zu 50 Millionen wegwerfbarer Hemdenkragen und einer Glühbirne, die seit jetzt 114 Jahren brennt. Erst einmal aber zu Willy Loman: „Einmal im Leben möchte ich etwas richtig besitzen, bevor es kaputt ist. Immer ist es bei mir ein Wettlauf mit der Schuttabladestelle. Habe ich endlich den Wagen bezahlt, da pfeift er schon aus dem letzten Loch. Der Kühlschrank frisst Ventilatorriemen wie ein Verrückter. Sie machen das Zeug gleich auf Zeit. Sie richten es so ein, dass es hin ist, wenn man eben die letzte Rate bezahlt hat.“ Willy Lomans Klage in Arthur Millers „Tod eines Handlungsreisenden“, 1949 erstmals auf Theaterbrettern gestöhnt, ist heute keineswegs obsolet. Das wissen wir alle aus eigener Erfahrung.

Altmodisch, unmodern, überflüssig, hinfällig, ungebräuchlich werden, an Geltung verlieren, nicht mehr im Gebrauch sein, bedeutet das lateinische „obsolescere“. Im heutigen Sprachgebrauch wird dies als Adjektiv eher der Ideen- und Gedankenwelt zugeschrieben, die materielle Wurzel des Begriffs (planvoll?) verschleiert. In den 1960er Jahren taugte das Unwort noch zum Substantiv, war im öffentlichen Umlauf. „Fortschritt durch geplante Obsoleszenz“ hieß ein zentrales Kapitel in Vance Packards vor jetzt 55 Jahren erschienener Streitschrift „Die große Verschwendung“ („The Waste Makers“). Der ehemalige Journalist Vance Packard, 1957 nestbeschmutzend aufgefallen durch „Die geheimen Verführer“, eine Abrechnung mit der Marketing- und Werbewirtschaft, illuminiert darin eingangs ein „Utopia weit draußen am verschleierten Horizont der Zeit“. Von diesem „Füllhornhausen“, wo „das Verkaufen wieder leicht ist, weil man das beängstigende Problem der Sättigung gelöst hat“, sieht er die Marketingfachleute träumen, müssen sie doch – wohlgemerkt 1960, bevor die Konsumgesellschaft auf Hochtouren und das Wort Konsumterror über den Tresen kam – „trotz ihres ständig zur Schau getragenen überschäumenden Optimismus mit einem Problem ringen, vor dem selbst weniger resoluten Menschen angst und bange werden könnte, nämlich dem Schreckgespenst einer Übersättigung des Marktes mit den Erzeugnissen, die sie jetzt schon kaum verkaufen können“.

In diesem Füllhornhausen sind alle Gebäude aus einer besonderen Papiermasse, so dass sie zwei Mal im Jahr beim großen Hausputz abgerissen und neugebaut werden können. Die Autos sind aus leichtem Kunststoff, der nach 6000 Fahrtkilometern Ermüdungserscheinungen zeigt. Autobesitzer, die an den festen Rückgabetagen (vier Termine im Jahr) ihre alten Wagen gegen neue in Zahlung geben, erhalten Schuldverschreibungen der „Wohlstand-durch-Wachstum-Anleihe“. Jede vierte Fabrik liegt an einem Abhang, und „falls die Nachfrage nach einem hergestellten Erzeugnis flau ist, wandert der ganze Warenausstoß unmittelbar auf die Schrotthalde, ohne erst den Verbrauchsgütermarkt zu überschwemmen“. Lustvoll malt Packard eine ganze Reihe heute eher banaler Marktmonstrositäten aus, so die Kreditkarte auf Lebenszeit. „Abfallmacher“ (Waste Makers) nennt er die Menschen, die bei Erzeugung und Verkauf vor allem den raschen Verschleiß im Auge haben, „jene, die sich bemühen, ihre Mitbürger im täglichen Leben zu größerer Verschwendung zu verführen“. Verschwendung, konstatiert er, „liegt im Geist der Zeit. Spätere Historiker werden unsere Zeit vielleicht einmal als die Ära der Vergeudung betrachten.“ Packard warnte 1960 davor, sich nicht zum Narren des Überflusses machen zu lassen, gleichzeitig sah er, wie Wegwerfmentalität, Einwegwaren und die künstliche Beschleunigung des Alterungsprozesses vieler Wirtschaftsgüter nicht nur die Wirtschaftskreisläufe, sondern immer mehr auch den amerikanischen Nationalcharakter prägten.

strasser_waste and want150 Millionen wegwerfbare Hemdkragen. Gestatten: Siegfried, Hans oder Erich …

Konsumhistoriker wie Susan Strasser („Waste and Want“ und „Satisfaction Guaranteed: The Making of the American Mass Market) orten den Anfang solcher marktprägenden Beschleunigungskräfte im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts. Bereits 1972 wurden in den USA an die 150 Millionen wegwerfbare Hemdkragen und Manschetten produziert. Sie waren aus Papier und galten als bequem, weil Wäschereien weder verbreitet noch erschwinglich waren. Waschen war harte, intensive Frauenarbeit. Wer kein Weib oder Waschweib hatte, war auf andere Lösungen angewiesen. Ledige Männer wechselten deshalb die sichtbarsten Teile ihrer Kleidung – Hemdkragen, Manschetten und Vorhemden, die sich leicht im der nächsten Feuerstelle entsorgen ließen. In Deutschland legte die Firma Mey & Edlich mit dem 1867 aus USA gekauften Papier-Patent den Grundstock für ihren Geschäftserfolg, taufte die Stehkragen Siegfried, Hektor, Felix, Hans und Erich und die Manschetten Caesar.

Bei den Frauen waren es die neuen Hygieneartikel aus Papier und Zellstoff, die den Weg des Irdischen und Schnellverbrauchten in den Alltag brachten. Die Ethik von Haltbarkeit, sparsamem Wirtschaften, Wieder- und Weiterverwertung, das Ansehen und der den Dingen zugeschriebene Wert veränderten sich. Es wurde kulturell statthaft, Objekte wegzuwerfen. Manchmal, nur manchmal, werden auch wir noch mit klitzekleinen Schuldgefühlen konfrontiert, wenn zu beobachten unvermeidlich wird, wie andere, hungrigere und ärmere Menschen in unseren Mülltonnen wühlen oder wie sich etwa in den reichen Frankfurter Taunusvorstädten Kolonnen zerbeulter, osteuropäischer Lieferwagen an den Sperrmülltagen durch die Straßen grasen.

1917 Ford Model TQualität heißt, es richtig machen, wenn niemand zuschaut

Der elektrische Anlasser war ein weiterer Wendepunkt der Konsumgeschichte. Henry Fords Tin Lizzie, das Modell T, ein verlässliches Produkt zum niedrigst möglichen Preis, hatte im Jahr 1921 in den USA einem Marktanteil von 61 Prozent. Zwischen 1915 und 1925 wurde nur in Schwarz produziert, weil die Farbe billig und nur eine Lackierstraße dafür erforderlich war. Insgesamt 15 Millionen Lizzies verkauften sich zwischen 1908 und 1927. Ford war sein Leben lang an Dauerhaftigkeit interessiert, in dieser Hinsicht ein überaus altmodischer Geschäftsmann. Er sagte nicht nur: „Wenn ich gefragt hätte, was die Leute wollen, hätten sie gesagt: schnellere Pferde.“ Er bestand auch auf Folgendem: „Qualität heißt, es richtig machen, wenn niemand zuschaut.“ Fords großer Konkurrent war General Motors, deren Entwicklungsingenieur Charles F. Kettering mit seinem elektrischen Anlasser die Branche revolutionierte und den Produktzyklus gehörig anschob, indem er den Automarkt auch für Frauen öffnete. Die mussten sich nun nicht mehr vor dem Fahrzeug bücken, die Anlasskurbel ansetzen und die Karre in Schwung bringen – ob der Begriff „die Wirtschaft ankurbeln“ hier seinen Ursprung hat? Die Hilf- und Hebellosigkeit solcher Parolen hätte da ein schönes Bild.

Nach dem Autoanlasser kamen immer weitere Neuerungen, die einen Modellwechsel zwingend machten. Farb- und Formgebung als „modische Obsoleszenz“ verstärkten bald das Duo von verbesserter Funktionalität und Produktinnovation als künstliche Faktoren der Produktveralterung. Henry Fords Haltung, ihm sei es „zufrieden, wenn die Leute sich ein Auto kaufen, das ihr ganzes Leben hält“, wurde (sic) obsolet. Den Warenhunger zu beschleunigen, den Grundsatz des „weg damit!“ durchzusetzen, das war das Ziel der neuen „Erziehung des Begehrens“. Besteht das Problem der Konsumwirtschaft doch nicht darin, Waren zu produzieren. Sondern Verbraucher.

LondonDinge, die gesetzlich tot sind

Man muss kein Verschwörungstheoriker sein, um System zu sehen hinter all den eingebauten Sollbruchstellen, den allzu leicht zerkratzenden Oberflächen oder dem vorsätzlich miserablen Kundendienst mancher Unternehmen, die ihre Opfer dazu bringen, lieber ein neues Produkt zu kaufen als sich mit der Kundenabteilung auseinandersetzen zu müssen. Es reicht, der Zuspitzung und der Klarheit des Blickes wegen zwei Protagonisten zu zitieren. „Geplante Obsoleszenz“, das klingt wie sozialistische Planwirtschaft, war aber sozusagen eine Initiative fette Marktwirtschaft des New Yorker Immobilienmaklers Bernard London, der 1932 in seiner Brandschrift „Ending the Depression Through Planned Obsoleszence“ die Verbraucher für die Große Wirtschaftskrise verantwortlich machte, weil die „das Gesetz der Veralterung missachteten“ und ihre alten Automobilen, Radios und alte Kleidung weit länger in Gebrauch hielten als die Statistiker erwartet hatten. London schlug 1932, ganz ernsthaft, die Einrichtung einer Regierungsbehörde vor, die für jedes Produkt, sei es ein Gebäude, ein Schiff, ein Kamm oder ein Schuh, eine Lebens- und Haltbarkeitsspanne festlegen sollte. Wer Sachen, die als „gesetzlich tot gelten“, länger in Gebrauch hielte, sollte mit Strafen belegt werden.

Victor Lebow, ein amerikanischer Einzelhandelsökonom, legte 1955 im „Journal of Retailing“ nach: „Unsere enorm produktive Ökonomie verlangt es, dass wir das Verbrauchen zu unserem Lebensstil machen, dass wir das Kaufen und das Verbrauchen von Gütern zum Ritual machen, dass wir unsere geistige und persönliche Erfüllung im Verbrauchen suchen. Sozialer Status, soziale Anerkennung und Prestige müssen sich in Begriffen des Verbrauchens messen. Das braucht sozialen Druck auf die einzelnen. Wie die Wehrpflicht braucht es eine „Verbrauchspflicht“, und die muss extensiv sein. Wir müssen die Dinge in einem immer schnelleren Takt verbrauchen, verbrennen und ersetzen.“ Ganz ironiefrei, vielmehr patriotisch gemeint, war der Titel seines Buches von 1972: „Free Enterprise: The Opium of the American People“.

WMW05215.JPGKaufen für die Müllhalde

Zur Verschwörung gehört der Nylon-Strumpf, der nach wenigen Wochen Laufmaschen zieht, weil das Gewebe extra brüchig gemacht wird. Zur Verschwörung gehören unsere Glühbirnen, die nach 1000 Stunden ausfallen, auch wenn eine weitaus größere Funktionsdauer erreichbar wäre. Der sehenswerte Dokumentarfilm „Kaufen für die Müllhalde“ von Cosima Dannoritzer erzählt davon. Dort und auf einer eigenen Webseite ist die langlebigste Glühlampe der Welt zu sehen, die seit jetzt 114 Jahren ununterbrochen brennt – in der Feuerwache von Livermore nahe San Francisco. Die Webcam, die von dieser Lampe Zeugnis gibt, musste bereits drei Mal ausgetauscht werden.

Cosima Dannoritzers Film erzählt vom aktenkundigen Phoebus-Kartell, einem Zusammenschluss der damals weltweit wichtigsten Glühbirnenhersteller, dem es zwischen 1920 bis 1940 gelang, die Lebensdauer ihrer Produkte planmäßig auf jene 1000 Stunden zu reduzieren. Qualitativ bessere „Ausreißer“ unter den Erzeugnissen der Kartellmitglieder wurden mit drastischen Strafen belegt. Der Film illustriert, wie der eingebaute Produktverfall den Rang eines ökonomischen Allheilmittels erlangte. Für Dannoritzers Zeugen ist Obsoleszenz das ideologische Fundament schlechthin für eine Konsumgesellschaft, die trotz allgemein bekannter begrenzter Ressourcen auf grenzenloses Wachstum setzt – mit absehbaren ökologischen Folgen, denen sie ebenso nachspürt. Einer ihrer Kronzeugen ist ein Drucker, der per eingebautem Computerchip nach einer vorbestimmten Anzahl gedruckter Seiten sein eigenes Ableben verkündet.

slade_madetobreakSprung in die Gegenwart, die Zukunft zwitschert

Kettering, London, Lebow und das Phoebus-Kartell gehören, wenn nicht materiell, so doch zu den geistigen Vätern der Computerisierung, der Mobiltelefonie und der Smartphones, mit denen uns ein neues, auch konsumkulturell umwälzendes Zeitalter eingeläutet, oder sollen wir sagen: gezwitschert wird. Wie lange hält heute ein PC, ein Mobiltelefon? Wir können sagen, garantiert weniger lange als das Finanzamt uns als Abschreibedauer auferlegt. Mit ihren Ex- und Hopp-Zahlen ist die Industrie zurückhaltend. 2002 landeten über 130 Millionen funktionierende Mobiltelefone in den USA im Müll, 2004 wurden dort über 315 Millionen Computer weggeworfen. 2007 wurden weltweit mehr als 1,1 Milliarden mobile Telefone verkauft, 2008 waren es 1,25 Milliarden. Die Kurve zeigt nach oben. Im ersten Quartal 2010 waren es in Westeuropa 47.700.000 neue Geräte, die alte in die Grube drängten, eine Wachstumsrate von 8,1 Prozent. Als Apple im Juni 2010 mit dem iPhone4 auf den Markt ging, waren binnen drei Tagen 1,7 Millionen Stück verkauft. Apple übrigens hatte damals am Handymarkt erst einen Anteil von drei Prozent. Neuere Zahlen mag jeder selbst recherchieren. Mir genüg es für die Signifikanz, hier fünf Jahre alte zu zitieren. Die Konsumwalze hat sich gewiss nicht verlangsamt.

Die Lebensdauer von Computern und Mobiltelefonen gehört zu den kürzesten unserer Alltagsprodukte – gleichzeitig lädt sich ihr Besitz mit immer mehr Notwendigkeit und Bedeutung auf. Gerade ihre Obsoleszenz macht diese Produkte sexy. Sie stattet das immer neueste Produkt mit Aura und Verlangen aus – und eben mit eingebautem Verfall, für den der Kunde auch noch ganz begeistert zahlt.

Der aus kanadischer Nähe verwundert auf Amerika schauende Journalist Giles Slade, Autor des Buches „Made to Break“ (Fürs Kaputtgehen gemacht) hat in Diskussionen erfahren: „Junge Leute wollen nichts Negatives über den iPod hören, da könnte ich gleich einen Turban aufsetzen und mir einen langen Bart wachsen lassen. Wenn ich über eine Ikone unserer westlichen Stammeskultur etwas Negatives sage, ist das so, als ob ich jemanden direkt und persönlich angreife. Jüngere Menschen haben auch weit weniger Sinn dafür, dass Dinge lange halten sollten.“ Slade findet das „verstörend“, gibt aber zu bedenken: „Wie soll das anders sein, wenn man in eine Welt geboren wird, wo die Dinge gar nicht dafür gemacht sind, dass sie halten? Gegenstände werden zu Antiquitäten, bevor sie 20 Jahre alt sind. So etwas lässt alle Begriffe von Dauer, von Geschichte und Kultur zusammenbrechen und sich verflüchtigen. Wie wirkt es sich auf die Beziehung zu Menschen aus, wenn deine Lieblingsgegenstände andauernd modernisiert und ausgetauscht werden? Ich glaube, dass langfristige Beziehungen weniger werden. Wir gewöhnen uns an kürzere Spannen, wir gewöhnen uns daran, dass Dinge nur wenige Jahre halten, wir investieren weniger in sie.“

Es war einmal, dass der Krug zum Brunnen ging

Matthew B. Crawford, von dem im PS die Rede ist, stellt nüchtern fest, dass der erste Schritt auf dem Weg zur Unkenntnis der gegenständlichen Welt bereits damit vollzogen wurde, dass die Werkzeuge aus dem Schulunterricht verschwunden sind. Wie geht Basteln heute? Wie war es einmal? Mehr jedenfalls als Playmobil- und Legonoppen zusammenstecken. Tatsächlich wollen heutige Ingenieure die Mechanik so gut wie möglich verstecken, was jeder Blick unter die Motorhaube eines neuen Autos belegt. Zum Preis einer solchen Kultur gehören Abhängigkeit und Passivität. Crawford ist nicht der Einzige, der eine Ethik des Bewahrens und der Instandsetzung vertritt. Er glaubt, dass wir die Dinge der Welt im buchstäblichen Sinn aktiv angreifen müssen, um sie richtig begreifen zu können.

K800_Krupp Mixer 40 Jahre

K800_Krupp Mixer 40 Jahre

Es war einmal, dass unsere Sprache Bilder finden konnte wie das vom Krug, der zum Brunnen geht, solange bis dass er bricht. Es war einmal, dass gut Ding Weile hatte und auch die nicht ganz so guten Dinge Zeit hatten für Abnutzung und Reparatur. Heute wäre schon viel gewonnen, wenn ein Gespür dafür erhalten bliebe, wie aus einem Gebrauchs- ein Verbrauchsprodukt wird, ein Halskragen aus Papier.

20 Minuten lang ist der auch auf iPhones herunter zu ladende, im Internet verbreitete Film „The Story of Stuff“ der Aktivistin Annie Leonard, die in dem kurzweiligen Animationsfilm durch die Welt unserer Dinge und unseres Mülls führt. In der deutschen Fassung hat sie die Stimme von Jodie Foster (gesprochen von Hansi Jochmann).

Produktleben und Wiederverwertung (neudeutsch: Recycling) sind, ganz klar, ein wichtiges Thema. „Wer repariert, setzt sich mit Dingen auseinander, begreift die Welt – ganz im Sinne des Humboldt’schen Bildungsideals eines zusammenhängenden Verstehens“, schreibt Wolfgang M. Heckel in seinem praxisgesättigten, überaus anregenden Buch. Heckl ist Descartes-Preisträger. Hat der nicht – sinngemäß – gesagt: Ich repariere, also bin ich?

Alf Mayer

ich schraube also bin ichxPS.: In diesem Zusammenhang zu empfehlen: „Ich schraube, also bin ich: Vom Glück, etwas mit den eigenen Händen zu schaffen“ von Matthew B. Crawford, einem promovierten Philosophen und ausgebildeten Handwerker. Das Buch mit dem Originaltitel „Shop Class as Soulcraft: An Inquiry Into the Value of Work“ erschien 2010 als Hardcover bei Ullstein, 2011 als Taschenbuch bei List. Crawford geriet als Mitarbeiter eines Think Tanks in eine Sinnkrise, tauschte den Anzug gegen einen Blaumann und begann, seine Harley in der Motorradwerkstatt zu zerlegen, über Arbeit nachzudenken und den Wert dessen, was man mit den eigenen Händen schaffen kann. „Erst in der Motorradwerkstatt habe ich das Denken gelernt“, schreibt er. Richard Sennett meint in seinem Buch „Die Kultur des neuen Kapitalismus“ dazu: „Der Handwerker ist stolz auf das Produkt seiner Arbeit und behandelt es mit Respekt, während sich der Konsument in rastlosem Streben nach immer Neuem laufend durchaus brauchbarer Dinge entledigt. Der Handwerker ist somit eher an den Besitz, an das Vorhandene, an die tote Inkarnation früherer Arbeit gebunden; der Konsument ist freier, phantasievoller und damit mutiger in den Augen jener, die uns Dinge verkaufen möchten.“ Crawfords Buch ist eine Erweiterung des Klassikers „Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten“, das Robert Maynard Pirsig insgesamt 121 Verlagen vergeblich anbot und das 1974 dann trotzdem zum Weltbestseller wurde.

PPS.: Und dann ist da noch die Bewegung und Internetseite ifixit.com. Ihre Anfänge lagen darin, Hilfestellung zu bieten beim Instandsetzen besonders reparaturresistenter Geräte (etwa der mit dem angebissenen Apfel …). Das vorangestellte i war ursprünglich kein bloßes Personalpronomen. Inzwischen ist aus „I fix it“ (Ich repariere es) ein Forum geworden, das neben Computern auch Digitalkameras, Haushaltsgeräte und Autos in Angriff nimmt. Die Repair-Manuals sind voll bebildert und zeigen Schritt für Schritt, was wie und in welcher Reihenfolge zu machen ist. Hier wehren sich Konsumenten. Sie sind Teil einer Wissensgemeinschaft, die auch die Idee der Wikipedia möglich gemacht hat.

_ifixit_self-repair_manifesto_900x1390PPPS.: Das Manifest der Eigenreparatur:

Diese Fakten sind für uns selbstverständlich:
Reparieren ist besser als Recycling.
Es ist effizienter und kostengünstiger, die Lebensdauer unserer Sachen zu erhöhen, als sie für Rohmaterialien auszuschlachten.

Reparieren rettet den Planeten.
Die Erde hat begrenzte Ressourcen, so dass wir den linearen Herstellungsprozess nicht auf ewig beibehalten können. Der beste Weg effizient zu sein, ist wieder zu verwenden, was wir bereits haben.

Reparieren spart dir Geld.
Dinge zu reparieren ist häufig kostenlos, und zumeist günstiger als sie zu ersetzen. Die Reparatur selbst auszuführen, spart ordentlich Kohle.

Reparieren lehrt Technikverständnis.
Die beste Art herauszufinden wie etwas funktioniert, ist es auseinander zu nehmen!

Wenn du es nicht reparieren kannst, gehört es dir nicht.
Reparieren schafft Verbindungen zwischen Menschen und Geräten, die den Konsum übersteigen.
Selbst zu Reparieren ist nachhaltig.

Reparieren verbindet dich mit deinen Sachen
Reparieren befähigt und ermutigt Individuen
Reparieren macht Konsumenten zu Beitragenden
Reparieren schafft Stolz auf Besitz
Reparieren verleiht Sachen eine Seele und macht sie einzigartig
Reparieren bedeutet Unabhängigkeit
Reparieren verlangt Kreativität
Reparieren ist grün
Reparieren macht Spaß
Reparieren ist nötig um unsere Dinge zu verstehen
Reparieren spart Geld und Ressourcen

Wir haben ein Recht darauf:
Unsere Geräte zu öffnen und zu reparieren – ohne die Garantie zu verlieren
Geräte zu haben, die man öffnen kann
Fehlercodes und Schaltpläne zu haben
Anleitungen zur Fehlersuche und Ablaufdiagramme zu bekommen
Eine Reparaturanleitung für alles zu bekommen
Uns den Techniker selbst auszusuchen
Die ’nicht entfernen‘ Aufkleber zu entfernen
Dinge in unseren eigenen vier Wänden zu reparieren
Alle Verbrauchsmaterialien selbst zu ersetzen
Hardware, die keine speziellen Werkzeuge zur Reparatur benötigt, zu bekommen
Verfügbare Ersatzteile zu einem vernünftigen Preis zu bekommen

Unterstütze die Reparatur-Revolution auf iFixit.com

Wolfgang M. Heckel: Die Kultur der Reparatur. Goldmann Taschenbuch. München 2015. 234 Seiten, 8,99 Euro.

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