Geschrieben am 29. Mai 2007 von für Kolumnen und Themen, Litmag

Wolfgang Bächler ist tot

Stiefdeutschland, Stiefvaterland

Ein Nachruf auf Wolfgang Bächler.

Eigentlich war er ja schon seit gut acht Jahren tot. 1999 hatte ihn die ‚Süddeutschen Zeitung‘ mal so in einem Nebensatz zu den verstorbenen Münchner Dichtern gezählt. Gewiss ein journalistischer Faux Pas, aber es entsprach doch irgendwie auch der Wirklichkeit. Für den Literaturbetrieb und seinen tagesjournalistischen Begleittross war Bächler längst eine Figur aus der Vergangenheit. Zwar lebte Wolfgang Bächler damals noch und hätten die flüchtigen Feuilletonisten einmal die Augen aufgemacht auf ihrem Weg über den Viktualienmarkt, hätten sie ihn vielleicht sogar hin und wieder sehen können. Den alten, gebückt gehenden, in sich gekehrten, grauhaarigen Mann, der vollkommen unterging in der Masse der Touristen im Zentrum von München. Und dieser stumme, sich so vollkommen außerhalb der Zeit bewegende Mann soll ein Schriftsteller gewesen sein, der Poesie geschrieben hat, die in einem nicht kitschigen „herzzerreißenden“ Sinn zu den schönsten deutschen Liebesgedichten nach 1945 gehören? „Bahnhof. Regen/Der Zug hat Verspätung./Ich warte auf dich./ Aber so lange kann kein Zug sich verspäten,/ wie ich gewartet habe/ auf dich/ bevor ich dich kannte.”

Wolfgang Bächler hat die Nazi-Jahre einschließlich den Kriegseinsätzen noch sehr bewusst miterlebt. In dieser Zeit hat er das Zittern vor dem Feind gelernt. „Die jungen Deutschen meines Alters hatten besser schießen als lesen und schreiben gelernt…Ich sollte auch schießen lernen. Aber meine Hand zitterte, wenn ich schießen mußte. Ich traf die Zielscheibe nicht…Ich traf die Menschen nicht… Ich schoß immer daneben. Ich hätte nur mich selber erschießen können.“ Seine Träume, von denen er viele auch niedergeschrieben hat, sind voll mit Motiven der Gewalt, die ihn noch Jahrzehnte nach Kriegsende beherrscht haben. In den Archiven deutsch-deutscher Schriftstellertreffen in den fünfziger und sechziger Jahren stößt man auffallend oft auch auf den Namen Bächler. Es existieren literaturhistorische Texte über die „Gruppe 47“ in denen der Name Bächler nicht einmal erwähnt wird, obwohl er zu deren Gründern gehört hat. Irgendwie bewegte und schrieb dieser oft unter schweren Depressionen leidende Mann immer am Rande der allgemeinen Aufmerksamkeit. „Ich bin“, hat er einmal geschrieben, „ein Sozialist ohne Parteibuch, ein Deutscher ohne Deutschland, ein Lyriker ohne viel Publikum … kurzum ein unbrauchbarer, unsolider, unordentlicher Mensch, der keine Termine einhalten und keine Examina durchhalten kann und Redakteure, Verleger und Frauen durch seine Unpünktlichkeit zur Verzweiflung bringt.“ Eines seiner Gedichte hatte den bezeichnenden Titel, „Stiefdeutschland, Stiefvaterland.“

1950 wurden erste Gedichtbände von ihm publiziert. Weitere folgten, bis dann Anfang der achtziger Jahre der letzte Band „Nachtleben“ erschien. Für seine Gedichte hat er immerhin einige Literaturpreise und viel Lob renommierter Kollegen erhalten. Thomas Mann schätzte ihn ebenso wie Gottfried Benn oder Peter Huchel. Über seine Biographie sprach er selten. Manchmal jedoch konnte man ahnen, was und wen er noch erlebt hat. „Wenn mich heute der Habermas fragt: „Warum waren Sie denn nicht bei Adorno, wenn Sie bei Lukàcs und bei Bloch?, dann kann ich nur sagen: Adorno hat mich nicht eingeladen.“ Es gab Abende in der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, da sah man Bächler irgendwo ganz hinten in den letzten Reihen sitzend. Und alle, die ihn kannten oder seine Lyrik gelesen hatten, hofften, er würde noch einmal nach vorne gehen und aus seinen Gedichtbänden lesen. Es war ein vergebliches Hoffen. Man mußte sein „Schweigen annehmen“, wie er es selber einmal erbeten hatte. Heute, wo aus allen Ecken das patriotische Geraune lauter wird und man wieder Fahnen hißt, vernimmt man die Nachricht vom Tod des „stiefvaterländischen Poeten“ Wolfgang Bächler mit großer Trauer.

Carl Wilhelm Macke