Geschrieben am 18. Februar 2015 von für Kolumnen und Themen, Litmag

Vom 8. Literaturwettbewerb Wartholz (13.–15. Februar 2015)

DSC_0004Salonkultur in Schneelandschaft

– Reichenau an der Rax und Vail/Beaver Creek waren am vergangenen schneebefleckten Februarwochenende eins. Literatur trifft Skisport – Zeitverschiebung hin oder her. Für beide Disziplinen fanden sich tagsüber wie abends die entsprechenden weiblichen und männlichen Fans und Expertenrunden, meist überschnitten sie sich. Österreich kann immerhin beides, Schreiben und Skifahren. Ein Bericht von Senta Wagner

Reichenau ist der Ort im Land, „wo Künstler und Therapeuten in die Berge gehen“, seit nunmehr acht Jahren auch der sympathische Austragungsort eines zweitägigen Lesespektakels – des Literaturwettbewerbs Wartholz. Dieser steht unter der Ägide der Wartholzer Schlossherren Blazek und der Organisation von Norbert Mang.

Für die diesjährige Ausgabe bewarben sich 675 deutschsprachige Autorinnen und Autoren mit bisher unveröffentlichten Texten, davon wurden zwölf von der Jury (Klaus Nüchtern, Stefan Gmünder, Sandra Kegel, Ruth Beckermann) ausgelesen, sechs aus Deutschland, sechs aus Österreich, sieben Autorinnen, fünf Autoren. Purer Zufall, das Bewerbungsverfahren ist anonym. Auch das Alter spielt keine Rolle, die meisten um die dreißig, manche älter, ein Nesthäkchen; bestimmt vier sind allein aus Berlin angereist, eine aus New York . Zu Recht fragte man sich nicht nur bei der alpinen Skiweltmeisterschaft: Wo waren die Schweizer Damen und Herren? Krankheitsbedingt fiel in Reichenau auch noch das Schweizer Jurymitglied Stefan Gmünder aus. Eine Stimme, die fehlte.

die Jury

Die Jury

Wettlesen unter Lüstern

Wartholz pflegt die Salonkultur und rückt die Texte, die Schreibenden und die Befunde der Profikritiker in das Licht der Öffentlichkeit. Gelesen und diskutiert wird vor Publikum. Was nach einem aufregenden literarischen Diskurs klingt, bleibt gedämpft im Ambiente hängen. Man stelle sich dort Sitzecken mit wuchtigen Lederfauteuils vor, historische Fundstücke und anderen Tand, runde Tafeln, Samtbestuhlung, einen knarrenden Parkettboden, Kaminfeuer. Jury und Lesende thronen auf einem Podest. Ein im besten Fall sonnendurchflutetes warmes Interieur. Es hilft bedingt, ja, es sei sehr schön hier, innen wie außen, sagten Teilnehmende, trotzdem seien sie schrecklich nervös. Andere waren es überhaupt nicht. Wer glaubte, sie oder er läse vor ein paar Besuchern, täuschte sich, zu Spitzenzeiten waren es knapp hundert. Schnell breitete sich wie in den vergangenen Jahren ein Solidaritätsgefühl unter den Nominierten aus, man las nicht gegen-, sondern füreinander.

In der Wahl des Genres sind die Autorinnen und Autoren frei. So kam es, dass sich unter den zwölf Texten keine Gedichte fanden, manch work in progress, also Auszüge aus Prosaarbeiten oder Romanen, ebenso wie abgeschlossene Erzählweisen – jeder einzelne eine klitzekleine Facette der zeitgenössischen Literatur, der heutzutage allerhand Etiketten anhaften.

DSC_0006Für gute Performances ist die Jury immer empfänglich. Den Auftakt von Stefan Etgeton mit seinem atemlos dahin schnurrenden Beitrag zur ziellosen „Generation Praktikum“ „was soll ich dir über den zoo erklären, außer dass es dort tiere gibt?“ fand Beckermann „kongenial gelesen zum Text“, Nüchtern „Helge-Schneideresk“. Etgeton blieb entspannt, sein Romandebüt ist bereits für 2015 bei C.H. Beck angekündigt. Robert Prossers dichtem Romanauszug „Heath Ledges“, der Codes junger Ultras und Sprayer thematisiert, konnte nur Ruth Beckermann etwas abgewinnen. Frau Kegel „ärgert sich über Bilder“, die sie alle schon gesehen habe, die Bilder der Schlussszene dabei aber völlig fehl interpretierte.

Im Anschluss Skifahren schauen, hier zählen handfeste Bewertungskriterien wie Zeit, Technik und Material. In der Literatur muss stets von individuellen Lektüren und weiten Auslegungsspannen ausgegangen werden. Das ergeht den Wartholz-Texten bei ihrer in wenige Minuten getakteten Beurteilung durch die Jury nicht anders. Den eigenen „Liebling“ zu verteidigen wie beim Bachmannpreis in Klagenfurt, gilt es hier allerdings nicht. Geschmäcklerische, blumige, fahrige, gelangweilte, abwertende, emotionale Urteile und Bonmots aus dem Mund der Jury sind daher unvermeidlich und können durchaus ihren Unterhaltungswert haben, würden Begründungen nachgeschoben, fielen sie seriöser aus. Notorisch die Verweise auf Filme, an die der oder der Text irgendwie erinnerte. Der kritische Dialog mit einem Text setzt seine sorgsame Lektüre voraus. Jedem einzelnen ist dies zu wünschen. Im Publikum war dagegen ein rituelles Mitlesen der Texte in dem eigens produzierten Wartholzband zu beobachten. Den Lesereigen am Samstag bestritten dann die verbliebenen neun Finalisten.

Die Gewinnerinen

Die Gewinnerinnen

Text-Rap

Marlen Schachinger legte mit der Liebegeschichte „Dich rufen“ feingewobene lyrische Prosa vor, für Nüchtern schlicht „Kräuterteeverpackungspoesie“. Ein fast einhelliges Lob bekam Synke Köhler für „Nachbild“, eine Kurzgeschichte über Fremdheitserfahrung, sie gewann damit auch den begehrten Newcomerpreis. Mit diesem verbindet sich eine Veröffentlichung in der neuen Literaturreihe des Verlags Kremayr & Scheriau. Tatsächlich schiebt der Literaturwettbewerb Wartholz seit seinem Bestehen Karrieren kräftig an und festigt zunehmend sein Renommee. Literarische Werke von Gewinnerinnen und -gewinnern vergangener Jahre sind längst auf dem Markt und werden breit wahrgenommen. Synke Köhler freute sich also sehr.

Rhea Krcmárová, gebürtig aus Prag, freute sich auch sehr. Ihr schöner poetisch-verspielter Text „Inselhüpfen“ gewann von Jurylob eingedeckt den erstmalig gestifteten Land Niederösterreich Literaturpreis (5.000 Euro).

Sara M. Schüller

Sara M. Schüller

Wartholz scheint seine eigene Dramaturgie zu haben. Wie letztes Jahr musste man auf den Siegertext bis zum Schluss warten. Dann war er da – die Performance des sich selbst befeuernden „Text-Raps“ „Keine“ von Sara Magdalena Schüller wird im ganzen Salon begeistert aufgenommen. So bekam sie dafür den Literaturpreis Wartholz (10.000 Euro) zuerkannt und heimste auch noch den Publikumspreis (2.000 Euro) ein. In dem Text interagiert die herausfordernde und coole Sichtweise einer Aktivistin zum Thema Abtreibung mit dem Denken von Hannah Arendt. Nach dem Motto, mal mit der Arendt darüber reden, nur hat die eben auch nicht zu allem was gesagt. Abtreibung wäre durch, könnte man meinen, für Schüller nicht, sie legt das Thema quasi neu auf. In der Jurybegründung heißt es: „… Wobei sie nicht bei Philosophie und Historie halt macht, sondern literarisch gekonnt jene hinterhältigen Tendenzen attackiert, die Frauen wieder auf vorgeblich „naturgegebenes“ Terrain zurückdrängen wollen. Witzig, intelligent und politisch brisant pfeift dieser Text als erfrischender Wind durch eine oft allzu betuliche Literaturlandschaft.“

Senta Wagner

Autorinnen und Autoren 2015
Stefan Ferdinand Etgeton (D), Katharina Johanna Ferner (A), Sebastian Guhr (D), Synke Köhler (D), Rhea Krcmárová (A), Sebastian Lehmann (D), Katharina Luger (A), Robert Prosser (A), Marlen Schachinger (A), Carolina Schutti (A), Sara M. Schüller (D), Pete Smith (D)

Jury 2015
Ruth Beckermann (Filmemacherin und Autorin), Sandra Kegel (FAZ), Klaus Nüchtern (Wiener Stadtzeitung Falter). Stefan Gmünder (Der Standard).

„Wartholz 8. Gegenwartsliteratur in der Schlossgärtnerei“ ist über office@schlosswartholz.at zu beziehen. Zur Homepage. Fotos: Senta Wagner

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