Mubarak, Ben Ali und jetzt Berlusconi?
– Am Wochenende demonstrierten zehntausende Frauen (und Männer) in mehr als hundert Städten Italiens gegen das von Berlusconi vermittelte Frauenbild und das gesamte „System Berlusconi“. Ein Kommentar von Carl Wilhelm Macke.
Jüngst hat Peter Kammerer, seit Jahrzehnten einer der besten Kenner Italiens, Berlusconi provozierend eine „Jahrhundertfigur“ genannt. Man zuckt bei dieser unerwarteten Etikettierung einer der fragwürdigsten Politiker unserer Tage kurz zusammen – und muss Kammerer dann aber recht geben. Moralisch und politisch zeichnet den italienischen Ministerpräsidenten aber auch gar nichts aus, was ihn zu einer erinnerungswürdigen Figur des Jahrhunderts machen würde. Seine von der Mehrheit der wählenden Italiener wiederholt zustimmend bestätigte Art, Politik zu einer einzigen großen Ego-Show verkommen zu lassen, hat tatsächlich Italien in den letzten Jahrzehnten tief geprägt. So tief, dass auch viele der seine Karriere seit Jahren kritisch begleitenden Journalisten und Intellektuellen gar nicht mehr merken, wie sehr sie selbst von diesem extrem personifizierten Politikstil infiziert worden sind. Schon seit Jahren starren fast alle politischen Kommentatoren wie bekloppt auf die minder- und volljährigen Huren, zwielichtigen Figuren und Hofschranzen im Umfeld des Potentaten Silvio. Schritt für Schritt, Abend für Abend seines gewiss extravaganten Privatlebens wird da mal empört, mal voyeuristisch verfolgt und kommentiert. Der radikalen Personifizierung der Politik durch Silvio Berlusconi erliegen noch seine schärfsten Kritiker. Einen Ausweg scheint es nicht zu geben. Tunesien ist weit, Weißrussland ist nah …
Opposition des „weißen Schals“
„Wir sind alle“, so bemerkte selbstkritisch Barbara Spinelli, eine der wenigen Kommentatoren, die ihr Augenmaß in den Jahren unter Berlusconi nicht verloren hat, „Komparsen in seinem Film. Er lässt auch uns in einer Schein-Welt leben, die jeden Kontakt zur Realität verloren hat.“ Berlusconi wird immer noch von nicht wenigen seiner Wähler als ein „Mann der Vorsehung“ (Berlusconi über sich selbst) verehrt, weil er es meisterhaft geschafft hat, die Träume einer Mehrheit der Italiener in einfache politische Slogans umzusetzen: So werden wie er, Geld in Hülle und Fülle besitzen, die Politik eines ganzen Staates den eigenen Interessen unterordnen und dann noch – im wörtlichen Sinne – die „Puppen tanzen lassen“. Mit den drastischen Worten von Umberto Eco: „Vögeln und keine Steuern zahlen“ – so lieben es die Fans von Silvio und deshalb wählen sie ihn auch. Dass diese Träume von einem grenzenlosen Individualismus jedoch an den Realitäten einer spürbar zugenommenen sozialen Krise platzen, merken zwar inzwischen auch immer mehr seiner Wähler. Aber trotzdem wollen sie nicht, wie Barbara Spinelli weiter anmerkt, diesen Film verlassen und aus ihren Träumen brutal erweckt werden. Auch deshalb finden die Oppositionsparteien eine so erstaunlich geringe Resonanz bei den Wählern. Die können nur Blut, Schweiß und ein gerechteres Steuersystem versprechen. Berlusconi aber erklärt seine Partei – nicht ohne Doppeldeutigkeit – zur „Partei der Liebe“, schimpft tagsüber gegen die „illegalen Ausländer im Land“ und lässt sich am Abend von den „Nichten Mubaraks“ und den „albanischen Schönheiten“ (O-Ton Berlusconi) verwöhnen. Wen wundert es da, dass in diesem korrupten Klima und bei dieser Perspektivlosigkeit auf dem Arbeitsmarkt immer mehr junge Mädchen ihre ganze Hoffnung auf das Casting für die Shows in Berlusconis Fernsehen setzen – inklusive einer Bunga-Bunga-Party in der Villa Berlusconis.
Gegen diese „Sultanisierung“ der politischen Kultur in Italien hat sich aber gerade in den letzten Monaten eine stärker werdende Bewegung von Frauen gebildet, die mit ihrem Symbol, einem weißen Schal, immer mehr das Alltagsbild in italienischen Städten prägen. Die Geschichte Italiens, so schließt Barbara Spinelli ihren jüngsten Kommentar, ist auch eine Geschichte des Anstands und der Würde. Die Demonstrationen der Frauen am vergangenen Wochenende erinnern an dieses „andere Italien“, das auch ein Berlusconi (noch) nicht ganz zerstört hat. „Das ist“, wie die Süddeutsche Zeitung schreibt, „endlich einmal eine gute Nachricht aus Italien.“
Selbst ein Berlusconi wird es schwer haben, nach einer möglichen Verurteilung wegen Amtsmissbrauchs und Förderung der Prostitution mit Minderjährigen länger als Ministerpräsident im Amt zu bleiben. Zu erwarten ist aber jetzt nach der gerichtlichen Vorladung, dass er sich mit allen, wirklich allen Mitteln gegen dieses Verfahren und ein Urteil wehren wird. Berlusconi prahlt immer gerne mit Sprichwörtern wie diesem: „Amor fa molto, il denaro tutto.“ Die Liebe macht viel, das Geld alles. Mal sehen, ob es der „Jahrhundertfigur Berlusconi“ dieses Mal wieder hilft.
Carl Wilhelm Macke