Geschrieben am 6. März 2008 von für Litmag, Vermischtes

Trip to Asia – Die Suche nach dem Einklang 06.03.2008

Gettin’ the Kick out of Richard

Richard? Welcher Richard? Handelt es sich nicht um einen Film über die Asien – Tournee der Berliner Philharmoniker? Sollte man daher nicht besser titeln: A Kick out of Simon (Rattle)? Nein, eben nicht, und das ist schon eins der essentials des Films. Von Gisela Trahms

Denn das Zentrum bleibt trotz allem, was man sieht (und man sieht eine Menge) die Musik, die gelebt, geprobt und schließlich aufgeführt wird, und das ist in diesem Fall, neben Adès und Beethoven, „Ein Heldenleben“ von Richard Strauss. Wer je Strauss’ „Alpensymphonie“ samt Kuhglocken und Windmaschine (ungelogen!) durchstehen musste, flieht schon bei der Namensnennung dieses Komponisten. Und so möchte man es als das erste Wunder des Films bezeichnen, dass er auch dem Widerstrebenden vermittelt, wie Strauss’ Musik tatsächlich bezaubern kann. Er schafft das, indem er durch klug gewählte Ausschnitte sukzessive eine Ahnung des Ganzen vermittelt und die Chance des Mediums nutzt: da man die Musik nicht nur hört, sondern auch sieht, von wem und wie sie gemacht wird, entsteht ein Sog, dem man willig folgt.

Diese „Geburt“ ist ein Erzählstrang unter mehreren. Verknüpft ist er mit den statements von etwa einem Dutzend Orchestermitgliedern bzw. solchen, die es werden wollen (besonders anrührend), den Einsichten Rattles und Bildern aus den Tourneestationen Beijing, Shanghai, Seoul, Hong Kong, Taipeh und Tokio. Und wie bei einem Teppich entscheiden auch hier die Knüpfdichte und die Qualität der Einzelfäden über das Ganzen. Es ist superb.

Die Musiker erzählen, und das ist einfach spannend: Wie sie zur Musik kamen (als unglückliche Kinder, scheint es), was es bedeutet, sich ständig in der Gruppe behaupten zu müssen, wie es ist, zwischen den empfindlichsten Ohren der Welt zu sitzen, die jeden nicht ganz überzeugenden Ton registrieren, wie man den Tourneestress aushält. „Mein Mann sagt immer: Warum gibst du dir solche Mühe, es hört dich doch sowieso keiner“, sagt die junge Bratschistin und lacht. Das Kinopublikum lacht mit. Aber es ist ja ein gruseliger Scherz: Zwar stehen die, die in diesem Klangkörper mitwirken, ganz oben auf dem Treppchen, aber immer nur als jemand, der sein sattes Ego (ohne ein solches kommt man nicht so weit) dem Ganzen von 126 Musikern plus Dirigent unterordnen muss und deren Namen höchstens die Fachwelt kennt.

Das hält man nur aus, wie Sir Simon erläutert, wenn der Kick eben doch nicht das Ego ist, sondern die Musik. Man schaut Rattle gern zu, wenn er redet, auch wenn er dirigiert. Bei ihm, aber auch, dank Großaufnahmen, bei den Musikern, erkennt man, welche Strapaze ein Konzert ist, wie körperlich das „Machen“. Einer Sekunden-Solophrase den angemessenen Ausdruck zu geben, treibt den Oboisten bis knapp vor die Explosion der Blutgefäße. Schonen tut sich niemand in diesem Club.

Kein Wunder, dass solche Leute zu allerhand Bizarrerien neigen. Wir wollen hier nicht verraten, was einige im Koffer mit sich führen – man traut seinen Augen nicht. Und wunderbar kontrastiert der Film die Portraits der vertrackten Individuen mit der Welt, in der sie auf dieser Tournee leben, jenen asiatischen Metropolen, in denen alles maßlos scheint: die Skyline, die Ausdehnung, der Verkehr, die Menschenmassen, und die doch auch als Orte der Stille und der Versenkung gezeigt werden. „Wer aus Asien zurückkommt ohne tiefe Demut, missed the point“, sagt Simon Rattle und fasst damit die Filmbilder in Worte.

Regie führen heißt hier natürlich vor allem: Schnitt. Zwei Jahre hat Thomas Grube gearbeitet, um aus 300 Stunden Material dieses Konzentrat von 108 Minuten zu schaffen. In punkto Besessenheit kann er sich also mit seinen Helden messen. Im Sinn für Rhythmus, Spannung, emotionale Dichte auch. Mit „Rhythm is it“ hatte er die Latte schon sehr hoch gelegt. Mit „A Trip to Asia“ erreicht er die Höhe mühelos (mühelos?!) noch einmal. Das Publikum im Kino applaudierte.

Gisela Trahms


Trip to Asia
D 2008. Regie: Thomas Grube.  Musik: Simon Stockhausen. 108 Min. Piffl. ab 28.2.08