Geschrieben am 7. September 2011 von für Litmag

Thomas Glavinic: Unterwegs im Namen des Herrn

Einmal Maria, Mafia und zurück

– Thomas Glavinic wagt sich auf eine horrende Pilgerreise durch den Balkan. Von Carl Wilhelm Macke.

Als erklärter Atheist sollte man eigentlich wissen, auf was man sich einlässt, wenn man zusammen mit stockkatholischen Gläubigen in den bosnischen Marienwallfahrtsort Medjugorje pilgert. Nicht einmal die offizielle Katholische Kirche erkennt die angeblichen Marienerscheinungen an diesem Ort an. Und das will einiges besagen, wo der Vatikan doch ansonsten den merkwürdigsten Wunder und Heiligenlegenden seinen Segen gibt. Für den religiösen Analphabeten Glavinic wird diese Reise zu einer Begegnung mit einer Welt und einer naiven Gläubigkeit, die ihm bislang vollkommen unbekannt waren. Manchmal weiß man als Leser wirklich nicht, ob man über die frommen Pilger, denen der Autor und sein Fotografenfreund Ingo im Pilgerbus von Wien nach Bosnien begegnet, lachen oder weinen soll. Da werden die abstrusesten Wunderheilungen geschildert, die einen als leidender und sündender  Pilger nach einem Besuch in Medjugorje erwarten.

Wie katastrophal schlecht muss es Menschen gehen, die sich Heil und Erlösung nur noch erhoffen können von einer kitschigen Madonnenfigur irgendwo in den Tiefen des Balkans. Und die dafür eine lange, beschwerliche Busreise in Kauf nehmen, sich von einem zynischen Reiseführer wie kleine Schulkinder behandeln lassen und dann als Souvenir ihrer Reise von Kitsch nur so strotzende Jesus-Figuren kaufen. „Die Gehbehinderte hat sich aus Argentinien einfliegen lassen. Sie war in Lourdes, in Mariazell, jetzt fährt sie nach Medjugorje, und das alles innerhalb von drei Wochen. Achtzehn Stunden im Flugzeug, hier vierzehn im Bus …“ Die am Anfang noch spürbare Neugierde des Autors auf die Menschen, die sich das alles für den Trost ihrer leidenden Seele und den Schmerz ihres Körpers antun, weicht dann immer mehr einer fassungslosen Verzweiflung. Besonders sein mitreisender Freund Ingo kann den Sinn dieser Recherche tief hinein in das Herz der antiaufklärerischen Finsternis nicht mehr begreifen und will „nichts wie weg“.

Die Reiseroute des Autors

Es gelingt dem Autor seinen Vater zu bewegen, dass er die beiden von dem auf sie niederprasselnden Wunderkatholizismus vollkommen erschöpften Reisenden in Medjugorje abholt und dann mit dem Auto nach Split bringt. Dort geraten sie aber vom Regen in die Traufe, besser, von Maria zur Mafia. Werden sie doch in Split von Freunden des Vaters aufgenommen, die sich als brutale, ungehobelte Mafiosi erweisen. Hier wird nicht der Rosenkranz gebetet, aber unendlich viel gesoffen, von Weibern und großen Geschäften geprahlt. Statt an die Jungfrau Maria wird nur an den Kapitalismus geglaubt, der ihnen irgendwann ganz bestimmt Millionen Dollar zuschaufelt. Immer wieder findet der Autor alte Zettel, die er noch von seinem Besuch in Medjugorje bei sich zu haben scheint. Die unfassbar naiv-religiösen Botschaften kontrastieren dann scharf mit den Verhältnissen, die er in dem mafiös-machohaften Situation in Split antrifft. „Durch das tägliche Gebet werdet ihr in Gott den wahren Frieden finden …“ Die lebensuntauglichen Betschwestern und -brüder sind ihm genauso fern wie die dubiosen Figuren der Unterwelt in Split, für die es nur die Religion eines aggressiven Kapitalismus zu geben scheint. „Ich will einfach nur leben. Oder vielleicht auch sterben, aber ich will definitiv nicht dieses Dazwischen.“

Als sich der Schriftsteller und der befreundete Fotograf schließlich unter großen Schwierigkeiten wieder auf die Heimreise nach Wien begibt, wird er im Flugzeug noch mit der Gefahr eines möglichen Absturzes konfrontiert, die in eine weitere existenzielle Krise schleudert. Nichts, außer vielleicht der ständige SMS-Kontakt mit seiner Frau, gibt dem Ich der Erzählung noch einen Halt. Auch der Leser weiß am Ende gar nicht mehr, wo ihm der Sinn steht. Die Gläubigen von Medjugorje sind ihm genauso fern wie die Ungläubigen in Split.

Ist das vielleicht die geheime „Botschaft“ des Buches? Wir erfahren auch sehr viel über die Identitätskrise vieler Menschen in osteuropäischen Ländern, die sich zwischen dem vergangenen Kommunismus und dem gegenwärtigen Kapitalismus in einem ‚geistigen Niemandsland‘ befinden. In einer Situation der allgemeinen Auflösung und Orientierungslosigkeit wird die Hinwendung zu Mutter Maria genauso verständlich wie die Ausbreitung mafiöser Strukturen. Eines aber weiß man als Leser ganz gewiss: Man wird sich niemals im Leben zusammen mit anderen Pilgern nach Medjugorje aufmachen. Diese Qual wird man sich nicht antun. Respekt für den Schriftsteller, der es doch getan hat und uns davon berichtet hat.

Carl Wilhelm Macke

Thomas Glavinic: Unterwegs im Namen des Herrn. München: Hanser Verlag 2011. 208 Seiten. 17,90 Euro. Zur Homepage des Autors.

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