Geschrieben am 9. Februar 2011 von für Litmag, Porträts / Interviews

Thomas Bernhard zum 80. Geburtstag

„Die erste Made setzt sich in das Augenwinkerl“

– Wer die 60 und 70 nicht lebend erreicht, kann die 80 nicht schaffen, körperlich gesehen – aber geistig, in Worten, natürlich schon, durch ein üppiges Werk, das in 27 Sprachen in der Welt ist und tatsächlich gelesen wird, immer noch, und dessen faszinierendster Teil nun, als späte Krönung, auch eingelesen wurde, um vorgelesen zu werden. Eine allerprächtigste Edition hat Der Audio Verlag Thomas Bernhards „Autobiographischen Schriften“ zuteil werden lassen, eine Box mit fünf CDs, auf denen fünf der berühmtesten Sprecher Deutschlands und Österreichs fünf Bücher ungekürzt zu Gehör bringen. Wer den Sprachgenuss sucht, wird fündig. Von Gisela Trahms

Zweifellos sind „Die Ursache“, „Der Keller“, „Der Atem“, Die Kälte“ und „Ein Kind“, in denen Bernhard die ersten zwanzig Jahre seines Lebens erzählt, seine zugänglichsten Bücher. Als Gattungsbezeichnung fungiert weder „Autobiografie“ noch „Roman“, vielmehr definieren Begriffe wie „Eine Andeutung“ oder „Eine Entziehung“ das Licht, in dem die Texte gelesen werden wollen. Einzige Ausnahme, auch durch die Wahl des unbestimmten Artikels: „Ein Kind“. Chronologisch gesehen ist es das erste, geschrieben wurde es als letztes Stück der Serie, was nicht verwundert, denn um diese Kindheitshölle zu erzählen, brauchte es wohl die vier anderen Bücher als Distanzierungsstrecke und Schutzwall.

Von einer Hölle zur nächsten

Sein Leben lang hat Bernhard Varianten der Hölle erzählt, aber es macht eben doch einen Unterschied, ob man Verkrüppelte, Wahnsinnige, Scheiternde usw. durch ein seltsam abstrakt bleibendes Szenario irren sieht, oder ob man das Kind, den Jugendlichen und jungen Erwachsenen Thomas durch die Härten der österreichischen Kriegs- und Nachkriegszeit begleitet. Kaum ein anderes Werk Bernhards ist so wirklichkeitssatt, so handlungsintensiv, detailreich und, man staune, differenziert. Neben den gewohnt radikalen Anti-Österreich-Tiraden oder Schmähreden auf „die Ärzte“ leuchten hier individuelle Charakterzeichnungen. Und obwohl sich Schrecken an Schrecken reiht, ist keiner nur Zeteranlass oder nur Sprachmusik (aber beides natürlich auch). Vielmehr versucht der Erzähler den Menschen, die ihm begegnen, gerecht zu werden, ihr Handeln zu verstehen und sogar zu entschuldigen. Am anrührendsten geschieht das in der Darstellung des Großvaters und der Mutter.

Thomas wäre nicht Bernhard, wenn er nicht trotz aller Düsternis für den eigenen Siegesglanz sorgte. Er schafft es ja, der Erziehungshölle des Gymnasiums „in die entgegengesetzte Richtung“ zu entkommen. Im „Keller als Lebensmittelgeschäft des Herrn Podlaha“ ist er der allerfähigste Lehrling. Lebensgefährlich erkrankt, entscheidet er sich zu leben und lebt. Er entdeckt die Musik und schwächte ihn nicht die Tuberkulose, es wäre ein zweifellos weltberühmter Sänger aus ihm geworden, denn seine Musikalität war die größte usw. usw. In dieser schrankenlosen Selbstfeier, aus deren Superlativen die Ironie blitzt, hat die Lebensgeschichte (wie seine Romane) auch komische Züge.

Nun also wird vorgelesen

Das bedeutet naturgemäß ein zusätzliches Vergnügen, treten hier doch fünf gefeierte Sprachkünstler gegeneinander an. Der erste Preis gebührt Peter Simonischek („Der Keller“) und Burghart Klaußner („Die Kälte“). Simonischek besitzt die wärmere Stimme, den österreichischen Tonfall, er liest mit raffinierter Natürlichkeit und gliedert die überlangen Bernhard-Sätze so einleuchtend, dass man ihnen mühelos und mit Lust folgen kann. Burghart Klaußner liefert Bernhard „auf Deutsch“: keine weichen Diphthonge, kein Unterton von Nonchalance, sondern Präzision, Klarheit, das Grässliche in all seiner Nacktheit. Fast unmerklich wird gesteigert und intensiviert, mit einer Unerbittlichkeit, die einen wirklich frieren lässt – „Die Kälte. Eine Isolation“.

Beide vermeiden jede aufgesetzte Dramatik und allzu große Deutlichkeit (in die sich Wolfram Berger in „Der Atem“ des Öfteren verirrt). Bernhard feiert ja die Monotonie, darin besteht der Reiz seiner Texte, und diesen Fluss durch Pausen und Schnaufen in Häppchen zu zerteilen und mit großväterlicher Behäbigkeit sozusagen weglesen zu wollen wie Gert Voss („Ein Kind“), ist völlig verfehlt. Voss macht aus dem Horrortrip einen Sonntagsspaziergang.

Zur Box gibt es ein sachkundiges Booklet. Bernhard-Porträts vom attraktiven jungen Mann bis zum Todkranken beeindrucken auf den Covern. Man kann die CDs übrigens auch einzeln erwerben: Als Einstiegsdroge empfiehlt sich „Der Keller“. Die Salzburger Scherzhauserfeld-Siedlung werden Sie nicht mehr vergessen.

Nach fünfmaligem Unglück auf 15 CDs, und nachdem einen „Die Kälte“ in ebendiese entlassen hat, sollte man sich unbedingt das im letzten Jahr erschienene Buch „Meine Preise“ (zur CULTurMAG-Rezension) als Lesenachschlag gönnen. Da wird einem, o Wunder, tatsächlich warm ums Herz. Denn der kranke, ausgehungerte, ratlose junge Mann ist zum gefeierten Autor mutiert, der das Leben durchaus genießt. „Ich find alles sehr angenehm“, sagt er in einem Youtube-Interview. Aber auch: „Wer existiert, muss irgendwann hinhaun.“ Das tat er reichlich und mit Freude. Und schließlich: „Klinisch tot, ist immer noch Musik im Toten. Da kommen dann die Maden und die spielen die Sache weiter …“ Ja, einen großen Jux hat er sich gemacht im Grandhotel am Abgrund. Gern hört man ihm zu.

Gisela Trahms

Thomas Bernhard: Autobiografische Schriften. (Der Atem, Die Kälte, Die Ursache, Der Keller, Ein Kind). Gelesen Peter Simonischek, Wolfram Berger, Gert Voss, Ulrich Matthes und Burkhart Klaußner. 15 CDs. 1122 Minuten. 69,99 Euro. Zu einem CULTurMAG-Porträt von Thomas Bernhard geht es hier. CULTurMAG-Rezensionen zu Bernhard finden Sie hier und hier.

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