Geschrieben am 15. Mai 2013 von für Litmag

Thalia Theater: Gespenster von Henrik Ibsen; Gastspiel Burgtheater Wien

Kirsten Dene als Helene Alving; © Reinhard Werner, Burgtheater

Kirsten Dene als Helene Alving; © Reinhard Werner, Burgtheater

Untotes Modern

– Kirsten Reimers und André Luthardt haben sich Ibsens loderndes Familiendrama im Thalia Theater Hamburg angesehen.

Durch die gläsernen Wände sieht man undeutlich
eine düstere, von gleichmäßigem Regen
verschleierte Fjordlandschaft.

Widerwillig fegt Stubenmädchen Regine (gespielt von Liliane Amuat) das düstere, heruntergekommene Haus der Gutsfamilie Alving und schiebt den Dreck kurzerhand unter den Teppich. Im Hintergrund übermächtig, weit mehr als lebensgroß, alles beherrschend das Porträt des verstorbenen Kammerherrn Alving. Bereits diese erste Szene macht deutlich, worum es an diesem Abend geht.

David Böschs moderat modernisierte Inszenierung von Henrik Ibsens „Gespenster“, ein Gastspiel des Burgtheaters Wien, lief im Hamburger Thalia-Theater im Rahmen des 10. Jubiläums des Festivals Körber Studio Junge Regie. Bösch, heute Leitender Regisseur des Bochumer Schauspiels, enthält sich allzu vordergründiger Provokationen. Seine „Gespenster“ scheinen – in Bühnenbild und Kostümen von Patrick Bannwart– zunächst zurückgenommen traditionell.

Die Handlung verlegt Bösch aus Ibsens „geräumigem Gartenzimmer“ in einen dunklen, fensterlosen Raum. In diesem Geisterhaus ist nichts in Ordnung. Kein Schein wird gewahrt, nichts gerät erst nach und nach in Schieflage. Die bürgerliche Fassade ist von vornherein fadenscheinig und versucht gar nicht erst, die Abgründe zu verbergen. Spinnenweben allenthalben, abgewetztes, zusammengewürfeltes Mobiliar, unbehaust und unwirtlich die Atmosphäre. Keine Rebellion gegen repressive bürgerliche Strukturen und Doppelmoral steht hier im Mittelpunkt. Keine erschütternde Demaskierung von Wohlanständigkeit – das wäre sowieso altbekannt und abgedroschen, von Chabrol schon tausendmal viel scharfzüngiger seziert (und auch Chabrol wirkt ja schon längst verstaubt). Das Drama, auf seinen Gehalt als Familien- und Gesellschaftsdrama reduziert, würde allenthalben gönnerhaft auf die literaturhistorische Bedeutung des Stückes verweisen.

Gespenster von Henrik Ibsen

Markus Meyer als Osvald Alving; © Reinhard Werner, Burgtheater

Böschs Inszenierung jedoch wendet die „Gespenster“ rekursiv auf sich selbst – und zeigt so die Modernität des Stoffes: In Szene gesetzt und vor Augen geführt werden die uneingestandene und stets bekämpfte Besessenheit einer Zeit von den geisterhaften Vorbildern des längst Gewesenen. Kultur als Aberglaube, Leben als Fortexistenz von Untoten – „Gengangere“, Wiedergänger, wie Ibsens Stück im Original heißt.

Das Symptomwuchern von Verdrängtem treibt nicht kontinuierlich in die Zersetzung (obwohl ein unterschwelliges Beben, ein Grummeln, wiederkehrend, akustisch unterlegt wird und eine beklemmende Atmosphäre erzeugt), sondern ruckartig, abrupt. Eruptiv entstellt sich die zombiebewohnte Ausgangsruine bis zur Kenntlichkeit: Die Fassade mit dem gigantisch großäugigen Vaterbild kollabiert plötzlich, da die seismischen Aktivitäten das Fundament über einen kritischen Punkt hinaus zum Wanken gebracht haben.

Bösch hat sich entschieden, Ibsens naturalistische Figuren und Szenarien als eine Art „Gärstoff“ strindbergianischen Expressionismus (Adorno) hysterisch zu überzeichnen – und dies funktioniert gut, weil er sie so auf überzeugende Weise den Untoten, den Zombies annährt. Die zurückgenommene, und nur gelegentlich alle Register ausspielende Schauspielkunst von Kirsten Dene (Helene Alving) und Martin Schwab (Paster Manders) passen sich diesem Konzept ideal ein. Markus Meyer gibt den Osvald genialisch überdreht, eine Mischung aus Hamlet, Rockstar und Junkie.

Kirsten Reimers & André Luthardt

Thalia Theater Hamburg: Gespenster von Henrik Ibsen. Gastspiel Burgtheater, Wien. Am 10. und 11. Mai 2013 zu Gast am Thalia Theater anlässlich des 10. Jubiläums des Festivals Körber Studio Junge Regie. Regie: David Bösch. Bühne & Kostüme: Patrick Bannwart. Licht: Felix Dreyer. Dramaturgie: Florian Hirsch.

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