Geschrieben am 28. März 2004 von für Kolumnen und Themen, Litmag

Stirnfalten, Offene Hosen und die Geringschätzung des Publikums

Thomas Wörtche, 20.05.2002

Wir wollen nette Dackel nicht beleidigen und bedenklich in Falten gelegte Stirnen nicht als dackelfaltig beschimpfen. Bedenklich in Falten gelegte Stirnen, gerade wenn multimedial zu betrachten, sind recht eigentlich der Ausdruck einer gewissen Offenhosigkeit. Denn ein Benehmen wie eine offene Hose legen diejenigen Herrschaften an den Tag, die die Intelligenz des pp.Publikums so geringschätzen, wie sie es offenkundig tun. Wobei man tunlichst zur Anstrengung der Klassifikation greifen sollte, um nicht gefühlte Offenhosigheit, profitorientierte Offenhosigkeit und tückische Offenhosigkeit zu vermischen. Selbst beim Pöbeln wollen wir schließlich Minimalstandards einhalten.

Gefühlte Offenhosigkeit liegt bei Fernsehsendungen von Stefan Raab vor, bei kreischiger Werbung und bei Boulevard-Berichten aus Botschafterfamilien, Loddas Fick-Listen (evidentermaßen), struunzigem Partnertausch und Martin Walsers Nationalgefühl (per definitionem). Gefühlte Offenhosigkeit ist nicht weiter schlimm, kommt und geht wie Hautausschlag und gehört zum lifestyle unserer Tage.

Eine verschärft andere Qualität hat die Gruppe der offenhosig dreisten Art der Arbeitsbeschaffung. Sie tritt immer nach Katastrophen und Debakeln ein. Nach dem 11. September waren es pensionierte Generäle, obskure Sicherheitsfachleute und delirante Philosophen, die für Auslege-Honorare den Islam erklärt haben, die medientheoretische Bedeutung von Flugzeugen in Hochhäusern, den richtigen Umgang mit Gesindel in Turbanen resp. warum die Hochhäuser selber an den Flugzeugen in ihnen schuld sind (eine pikant verdrehte Notzuchtsmetapher, by the way) oder warum die Welt jetzt ganz anders ist. Die Offenhosigkeit dabei lag weniger am einzelnen Diskussionsbeitrag an und für sich (der ja zwei Tage danach sowieso unter „gut, dass wir mal drüber geredet haben“ fällt), sondern an der passgenauen Lieferung für die jeweilige Kundschaft von BILD bis MERKUR.

Das gilt auch für Post-Erfurt. Ein wahrer Quell für Forschungs- und Drittmittelbeschaffung der alleroffenhosigsten Art für noch die unwahrscheinlichste Klientel, nur um wissenschaftlich beweisen zu können, dass Ballerspiele was mit Ballern zu tun haben. Allein die kostenlose Werbezeit für bedenkenfaltentragende (s.o.) Sportschützenfunktionäre, die sich damit als Wählerstimmen positionieren durften, war schon ziemlich atemberaubend. Wir wollen all dieses profitorientiere Offenhosigheit nennen. Und Profitorientierung ist ja nix Schlimmes…

Kommen wir zum letzten offenen Latz, sozusagen. In diese Kategorie gehört das Herumgespiele bei offenstehendem Beinkleid mit Politik, Gemeinwohl und Menschenschicksalen. Dass man für 18% auch gerne jedes dumpfeste Ressentiment bedienen will, hat der Riesenstaatsmann Mümmelmann (FJS) von Le Pim, Haider, Berlusconi & Co. schön gelernt. Dass man die aufkeimende Liberalität einer nicht ganz unwichtigen Institution wie der Berliner Polizei durch bratzplane Parteipolitik (so geschehen durch die Rot/Rot-Koalition, die einen klugen Fachmann als Polizeipräsidenten nicht haben wollte, weil der Mann nicht in der SPD – allerdings auch in keiner anderen Partei – ist, und statt dessen einen beliebigen Parteisoldaten aus dem Ärmel zauberte) ganz einfach tottritt, das wird das kulturelle Klima (jawoll, kulturell, denn die Kultur einer Stadt hängt nicht von der Anzahl ihrer Opernhäuser ab, sondern von ihrem psychosozialen Klima) der Hauptstadt gewaltig vereisen. Der Leitsatz: Qualifikation interessiert niemand einen Dreck, wird auch außerhalb der Polizei sehr deutlich gehört werden und als allgemeine Verhaltensmaxime noch viel Freude machen.

Der bis dato unverschämteste Angriff auf unser Denkvermögen aber kam gestern von Mr. Dick Cheney. Im September soll`s gegen den Irak gehen, wie alle Welt weiß. Väterchen Putin macht mit, in Georgien haben sich die Amis schon festgesetzt, so allmählich sind die Klötzchen aufgestellt. Wir wissen es, wir haben`s kapiert. Und dann setzt sich der Mann allen Ernstes hin und gibt das Offensichtliche auch noch bedenkentragend bekannt: Es sei demnächst mit einem größeren Terroranschlag in den USA zu rechnen. Neee, ne?

Da hört dann auch die skrupulöseste Klassifikation auf, da möchte man dann nur noch um ein klitzeskleines bisschen mehr Grazie bitten. Nur ein bisschen – dann lassen wir auch von unappetitlichen Metaphern ab. Vielleicht.

Thomas Wörtche