Geschrieben am 2. Mai 2012 von für Film/Fernsehen, Litmag, Spotlight, die TV-Kritik

Spotlight, TV-Kritik: Mad Men, Season 5

Sad Men oder Ich weiß, wer ich bin: Ich bin unglücklich

In den USA sind die ersten Folgen der vieldiskutierten 5.Staffel von Mad Men gelaufen, Christian Schöller hat sie angesehen und sich ein paar Gedanken dazu gemacht.

“Like most North Americans of his generation, Hal tends to know way less about why he feels certain ways about the objects and pursuits he’s devoted to than he does about the objects and pursuits themselves.” (David Foster Wallace: Infinite Jest)

Seit bei „Mad Men” die 5. Staffel und damit das Jahr 1966 angebrochen ist, stehen die Verhältnisse auf dem Kopf. Während überall im Land noch für die erhoffte Revolution demonstriert wird, sitzt bei „Sterling Cooper Draper Price” längst kein Stein mehr auf dem anderen.

Don ist plötzlich nett und monogam, Roger ist ohne „Lucky Strike” auf dem direkten Weg in die Bedeutungslosigkeit und Bert Cooper ist – nun doch wieder mit dabei. Die überraschendste Transformation hat aber Pete durchgemacht: Der ewig machthungrige Junior-Partner erhält endlich tatsächlich mehr Einfluss in der Agentur. Das gefällt zwar niemandem so recht außer ihm selbst, scheint aber auch nicht zu ändern zu sein. Dem gedemütigten Roger Sterling bleibt da nur noch, mit Bündeln von Hunderternoten um sich zu werfen und zu hoffen, dass niemand merkt, wie wenig er eigentlich noch zu sagen hat.

Bert, Don, Lane, Pete und Roger, die fünf großen Männer: Am liebsten würde man sie alle gesammelt zur Gruppentherapie mit Familienaufstellung schicken, wenn sie da so gemeinsam im Konferenzraum sitzen und sich zanken. Dafür scheint es zu spät, als zwei plötzlich aufstehen und sich verkloppen, bis das Blut spritzt. Die anderen stehen rum und gucken zu. Der einzige, der das schließlich doch ungut findet, ist Bert Cooper. Bert Cooper als progressive Stimme der Vernunft? An dieser Szene stimmt wirklich nichts mehr.

Von den fünf Männern im Raum ist eben Bert Cooper auch der einzige, der nicht offensichtlich sein Leben hasst. Die anderen vier sind vereint in ihrem Unglück, egal ob sie es wissen (wollen) oder nicht. Ihr Kreuz ist schwer: Es ist ihr perfektes Leben, das sie leiden lässt. Sie teilen sich diese Entstehungsbedingung für ihre subjektiv individuelle Lebenskatastrophe mit Millionen Menschen damals, noch früher als damals und natürlich auch heute.

Foto: AMC

Ihr Unglück ist Symptom einer Ideologie, für die es keine konkreten Eigenschaften mehr gibt, sondern nur noch die von der Eigenschaft abstrahierte Kategorie. In ihren Augen dreht sich die Welt nur solange, wie die unbedingte Identitätslogik überwiegt, die die Gleichheit von Ding und Ware, Ware und Wert und Leben und Lebenslauf verspricht. Das Besondere des eigenen Lebens bedeutet ihnen immer nur so viel, wie es als abstrahiertes Allgemeines im Wettbewerb mit fremden Leben erzielt. Weil sie sich mit Freude selbst auf den Markt werfen, pressen sie jeden Moment ihres Lebens gewalttätig in die Warenform.

Dafür müssen sie alles quantifizieren und zuallererst immer sich selbst. Ihren eigenen Wert kennen sie besser als jeder andere. Mit sich selbst gehen sie schärfer zu Gericht, als sie es je einem anderen erlauben würden. Sie wissen immer genau den Unterschied zwischen dem, was sie einst hatten und dem, was sie gerade haben.

Am liebsten aber berechnen sie schon jetzt das, was seinen Wert am Markt noch gar nicht realisiert hat. So bleibt ihnen als ewig unfertiges Produkt die eigene Biografie. Deren Wert müssen sie immer steigern, weil sie wissen, dass sie selbst am Ende nicht anders können werden, als mit prüfend umherschweifendem Blick vergleichend zu messen. So wollen sie noch am Sterbebett mit ökonomischer Gewissheit sagen können: Für nichts auf der Welt hätte ich mein Leben eingetauscht.

So lebt auch Pete. Das Problem ist nur, dass er jetzt, wo er alles hat, was er irgendwann einmal erreichen wollte, so unglücklich ist, wie noch nie zuvor. Und er hat nicht die geringste Ahnung, warum. Alles ist so, wie er es sich erträumte. Die objektiven Bedingungen seines Glücks sind erfüllt, also, wo bleiben jetzt die subjektiven? Mit Tony Sopranos Worten: „Where is my happiness then?” (S02E11, „House Arrest”).

Über die Abwesenheit von Zufriedenheit sollte sich aber besser nicht wundern, wer den bürgerlichen Traum so fetischisiert, dass er schließlich noch sein eigenes Leben der empirischen Realität entzieht. Wo Ideal und Wirklichkeit sich bis aufs Haar gleichen, ist kein Platz mehr für den Exzess, aus dem Glück entsteht. Dem vollständig verdinglichten Leben Petes ist alles Sinnliche fremd.

Am Beginn der Episode „Signal 30” (S05E05) sehen wir, wie Pete nachts nicht schlafen kann und daraufhin den Wasserhahn repariert. Am Ende der Episode sehen wir Ken, der nachts im Bett liegt und an einer Kurzgeschichte schreibt. Die konzeptionelle und inhaltliche Gegenüberstellung könnte nicht deutlicher sein. Obwohl Ken das Schreiben erst mal nichts bringt und ihm nach dem Gespräch mit Roger im schlimmsten Fall seinen Job kostet, erlaubt er sich selbst die Abweichung von der Form, die ihm aufgezwungen wurde. Die Möglichkeit von Glück liegt hier verborgen im widerständigen Subjekt, das sich, wenn auch nur für einen Moment, nicht der Identitätslogik fügt und Differenz genau so lebt wie Überschuss.

Das ist Pete nicht möglich: Weil er sich mit seinem Wert gleichsetzt, berechnet sich sein Wert aus dem, was er leistet. In der Umkehrung leistet er deshalb auch nur, was quantifizierbar ist. Das Schreiben von Kurzgeschichten gehört da als Kundenberater nun mal nicht dazu, wie er vor Jahren schon mal lernen musste (S01E05, „5G”).

Den ganzen Horror eines solchen Lebens, das sich im Angesicht der unvernünftigen Einrichtung der Welt auch noch als rational bezeichnet, erkennen wir in Dons Gesichtsausdruck, als dessen Blick auf Petes und Trudys Baby fällt: Wir sehen ein versuchtes Lachen, das aber in der Form der verzerrten Grimasse stecken bleibt, weil es sich seiner eigenen Travestie so sehr bewusst ist (S05E05, „Signal 30”).

Es ist der Blick eines Schizophrenen, der die Konstituenten des ihn umgebenden Systems erkennt, aber weder die Augen vor der Kaputtheit verschließt, noch gegen das System rebelliert. Um damit im Alltag nicht weiter aufzufallen, lebt er das Prinzip Camouflage. Das wichtigste Werkzeug ist ihm die Demoskopie. Weil sie ihm so zur zweiten Bewusstseins-Natur geworden ist, meint er sogar, deren Ergebnisse nicht mehr weiter begründen zu müssen. „There are more people who think the way I do than the way you do” (S05E0102, „A Little Kiss”) geht bei ihm als brauchbares Argument durch.

Don ist die negative Aufhebung des Widerspruchs zwischen Pete und Ken. Mit Pete hat er gemeinsam, dass er sich selbst ständig bewertet und vergleicht. Mit Ken hat er die Einsicht gemeinsam, dass kein 1. Platz verhindert, dass du nicht so wie alle anderen alleine sterben wirst. Dons Leben ist aufgerieben zwischen dem Willen, sich anzupassen und dem Unwillen, dazuzugehören.

In manchen Momenten hält Don der Spannung zwischen unverstelltem Blick aufs falsche Leben und Mimikry des Verhaltens, als ob es doch das richtige wäre, nicht stand. Ein Samstagabend in der Vorstadt mit Pete Campbell und zuviel Alkohol ist eine solche Gelegenheit. „Saturday night in the suburbs? That’s when you really wannablow your brains out.”

Christian Schöller

Mad Men, AMC, Sundays. Season 5.

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