Geschrieben am 1. Januar 2005 von für Litmag, Porträts / Interviews

Sibylle Berg im Porträt

Hoffnungslosigkeit als Endloston

Ihr Sound klingt nach Lifestyle und Pop, ihre Weltsicht ist pessimistisch bis verstörend, ihre gewalttätigen Phantasmagorien brachten ihr den Ruf einer an Tarantino geschulten Splatter-Königin ein. Trotzdem will Sibylle Berg nichts weiter, als über Menschen schreiben – so wie sie sie sieht, versteht sich. Von Markus Kuhn

Drogen findet sie ekelig. Oder unnütz. Sex so zum Spaß auch. Kommt doch nie was bei raus. Auch die großen Leidenschaften, die unbedingt weh tun müssen, lehnt sie ab. Mit Liebe hat das wenig zu tun. Eher mit kapitalistischen Spaß- und Konsumsehnsüchten. – „Oder sind Sie da anderer Meinung?“

Nein, Sibylle Berg, die Autorin von vier Romanen, mehreren Erzählbänden und Theaterstücken, die „glamourös-zynische Gegenfigur zu den handelsüblichen Jammerlappen des Literaturbetriebs“, ist keine Moralistin. Keine olle Omi mit erhobenem Zeigefinger, die alles besser weiß. Aber mitmachen möchte sie trotzdem nicht beim Rattenrennen um Schönheit, Sex, Spaß und Erfolg, bei dem ihre Figuren so grandios zu Grunde gehen.

Verzweifelte Suche nach Sinn

„Überhaupt gibt es eine große Diskrepanz zwischen mir und meinen Werken“, versucht sie sich von der Tristesse ihrer Romanwelten zu distanzieren. Das ist auch nötig, denn ohne Abstand müsste die „Architektin des Grauens“ längst einer Dauerdepression zum Opfer gefallen sein. In ihrem Erstling Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot schickt sie ein Dutzend Figuren auf die verzweifelte Suche nach Sinn und Zufriedenheit und lässt sie elendig verrecken. Im Nachfolgewerk Sex II, einer voyeuristischen Studie beklemmenden Großstadtlebens, sind es gleich zwei Dutzend Tote mehr. Und in Amerika, ihrem dritten und vielleicht gelungensten Roman, zeigt sie, dass Überleben auch nicht besser ist.

Desillusionen und Enttäuschungen

Denn den vier Hauptfiguren von Amerika ist vor lauter Spaß- und Erlebnissucht langweilig geworden. Desillusioniert und enttäuscht schleppen sie sich durch einen monotonen Alltag, in dem die letzte Vorstellung vom Glück unerfüllbar scheint. Der eine träumt vom Schönsein, der andere ist schön – und? Nichts ist besser. Der eine träumt vom Reichsein, der andere ist reich – was bringt’s? Zielsicher zieht Sibylle Berg die Schraube der Verzweiflung fester und fester. Hätten ihre Figuren doch nur ein einziges Ideal jenseits aller Erfolgs- und Schönheitsideologien. Doch wo soll das herkommen? Es wäre zum Durchdrehen, wäre da nicht die Liebe. Doch – man ahnt es schon – wie soll Liebe funktionieren, wenn jeder etwas anderes darunter versteht, etwas anderes will?

Resignation

Auch der etwa 40-jährigen Ich-Erzählerin ihres neusten Romans Ende gut, der Ende Februar auf Deutsch erschienen ist, geht es da nicht besser. Eher noch schlechter. Denn sie hat bereits resigniert, aufgegeben, nach Erfolg und Geld zu streben, sich mit der Aussichtslosigkeit des Alltags abgefunden. Dass die Welt vielleicht untergeht, scheint ihr das Beste zu sein, was passieren kann. Eins ist sicher: Romanfigur möchte man nicht sein, bei Sibylle Berg. Sie selbst auch nicht. Im Gegensatz zu ihren Charakteren, die nicht mehr staunen können über Filme, Bücher, alles, was von Menschen gemacht wird, liebt Sibylle Berg Filme von Wong Kar-Wai, verschlingt sie Bücher von Michel Houellebecq und Haruki Murakami. Wenn ihre Figuren vor Langeweile verzweifeln, konzipiert Sibylle Berg ein Theaterstück, wenn die keinen Bock mehr auf die Zukunft haben, unterschreibt sie einen Vertrag fürs nächste Buch.

Kunst als Überwindung?

Trotz verstörender Inhalte und depressiver Weltsicht lassen sich zumindest die Romane Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot, Amerika und einige Erzählungen locker weglesen, lassen unzählige kleine Ideen und stilistische Tricks die Lektüre zum Vergnügen werden. Die Überwindung der Krise durch das Kunstwerk? La comédie humaine? „Es ist der Versuch zu zeigen, dass das Leben leichter zu ertragen wäre, wenn man sich nicht zu ernst nimmt“, erklärt Sibylle Berg. „Die Figuren kriegen das nicht hin, das mache ich dann stellvertretend für sie.“ Auch mit Sex II, dem zweiten Roman, den viele Leser wegen der übertriebenen und anwidernden Szenen nicht zu Ende lesen konnten, habe sie die Leute nicht provozieren wollen. „Ich schreibe immer das, was bei mir gerade anliegt. In Sex II war ich richtig abgefüllt mit Überdruss. Ich hatte eine Reihe Reportagen gemacht zu allen Elendsplätzen der Welt. Das musste einfach raus.“ Sibylle Berg schreibt das, was sie bewegt, beschreibt Welt und Menschen so, wie sie sie wahrnimmt. „Ich schreibe über Menschen, weil Tier-Romane nicht mein Ding sind. Und ich habe keine Lösungsvorschläge. Was bleibt ist das Aufzeichnen.“ Dass ihre Charaktere niemals zufrieden sein können, liege am kapitalistischen System. Aber auch an der Natur des Menschen. „Es ist verdammt schwierig, sein Leben zu betrachten und zufrieden zu sein. Also versucht man immer noch einen drauf zu setzen. Daraus resultiert das Unglück der meisten. Menschen sind zum Zufriedensein wohl nicht gemacht. Dazu kommt, dass es alles schon einmal gegeben hat. Es gibt niemanden, der noch irgendwelche Visionen hat.“

„In einer Großstadt kannst du nichts machen, als die Hoffnungslosen anzusehen und dir einzureden, dass du bald aufs Land ziehst“, heißt es in einem ihrer Bücher. Warum wohnt Frau Berg dann freiwillig in der Stadt? „Ich wohne schon auf dem Land. Zürich ist keine Stadt so wie Hamburg oder Berlin.“ Dort hat die in Weimar Geborene gelebt, nachdem sie 1984 als 21-Jährige die DDR verlassen und den Besuch einer Clownschule im Tessin abgebrochen hatte.

Unverkennbarer Sound

So selbstverständlich und automatisch sie ihre Themen gefunden hat, so lange hat es gedauert, bis sie ihren Stil, den unverkennbaren Sibylle-Berg-Sound, jenen präzisen, lakonisch-direkten, alltagssprachlich-knappen Ton, entwickelt hatte. Dabei galt es vor allem, sich von großen Vorbildern zu lösen. „Mit Sieben wollte ich schreiben, wie Edgar Allan Poe, später wie Philippe Djian. Vor zehn Jahren habe ich dann aufgehört zu lesen, ganz bewusst, denn ich wollte mein Tempo, meine persönliche Sprache finden.“ Heute muss die 41-Jährige nicht mehr darüber nachdenken. „Mit dem Stil habe ich mein Zuhause gefunden. Es ist schon noch die Gefahr, dass mich gute Sachen tödlich deprimieren. Langt das Leben noch, so etwas zu schreiben?“ Dieser Stil, der wie eine Radikalisierung medientauglicher Trendjargons wirkt, sei – so behauptet sie – nicht an Zeitschriften angelehnt, sondern deshalb relativ knapp, weil keiner mehr Zeit habe. Eine vergleichbare Tendenz zur Knappheit lässt sich auch in den Erzählungen bemerken, die sie 2000 in der Textsammlung Gold und 2001 im Geschichtenband Das Unerfreuliche zuerst veröffentlichte. Der Sound ist der gleiche, die Themen auch, nur die Inhalte sind gedrängter. Das macht sie zur schnell konsumierbaren Popautorin. Aber noch lange nicht zur leichtverdaulichen Strandlektüre, denn die erbarmungslose Aussichtslosigkeit und ein schonungsloser Blick sind geblieben.

Auch in Ende gut, ihrem vierten Roman, in dem sie mit dem Credo der Verknappung bricht und auf über 300 Seiten Beweise für die Schlechtigkeit der Welt zusammenträgt, ist Hoffnungslosigkeit ein Endloston. Überhaupt: Will man eine Konstante im Werk Sibylle Bergs benennen, dann ist es jener von einer subtilen Ironie überspielte, düster-bedrohliche Grundakkord, der ebenso überraschend ins Rotzige wie ins Surreale kippen kann, um dann noch brutaler zu zeigen, wie aussichtslos das Sein der Menschen scheint.

Markus Kuhn

Sibylle Berg:
Ende gut. Kiepenheuer & Witsch 2004, 335 S., 19,90
Gold. Kiepenheuer & Witsch 2002, 293 S., 8,90
Das Unerfreuliche zuerst. Kiepenheuer & Witsch 2001, 168 S., 8,90
Amerika. Goldmann 2001, 238 S., 7,50
Sex II. Reclam Leipzig 1999, 200 S., 7,90
Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot. Reclam Leipzig 1997, 180 S., 8,90

15.03.2004