Riad Sattouf und die Pimmel der Extraklasse
– Eine Depeschen-Rezension an imaginäre Freunde von Charlotte von Bausznern.
Liebe P.: Schön, dass ich weiß, wo Syrien liegt, seit die Bekannte von deiner Freundin da war. Lese gerade Riad Sattoufs „Meine Beschneidung“. Eine autobiografische Episode. Riad ist acht und soll beschnitten werden, ohne eingeweiht zu sein in die genaueren Umstände und Abläufe.
Episode 8 unbeschnitten
Während meiner biografischen „Episode 8“ war ich in fünf Jungs und mindestens ein Mädchen verliebt, hörte Prince ebenso wie die Prinzen und lernte gerade Brüste zu malen. In der „Episode 8“ von Sattouf kommt kein einziges Mädchen vor, dafür ziemlich viele Pimmel. Es fängt damit an, dass die Jungs draußen pinkeln und das Ding der Dinger vergleichen. Das Problem ist dabei nicht nur, dass Sattouf seinem Vater irgendwie nicht wirklich ähnlich sieht, sondern dass er eben unbeschnitten ist, wie die Israelis und die Juden, die ja sowieso die gleichen sind, also die Bösen (die am Ende, nach dem blutigen Prozedere, dann auf einmal doch beschnitten sind – wie soll man die Welt da auseinanderhalten?!). Retten oder zumindest beistehen soll ihm dann eine monströse Plastikversion des Kampfroboters Goldorak. Sattouf ist während seiner „Episode 8“ herrlich naiv, womit sich solche Vorurteile und Rassismen wunderbar darstellen lassen, wie sie knallhart in die Kindsköpfe eingetrichtert werden. Total unverblümt unkorrekt. Aber ständig hat der arme Kerl Tropfen an seinem Kopf. Er sieht aus wie Tintin, und Tintin war mir immer schon suspekt.
Wann ist ein Mann ein Mann?
Die Fragen, die sich mir jetzt stellen, sind etwa solche: War Han Solo beschnitten? Oder Conan der Barbar? Tragen Superhelden Strumpfhosen mit Eingriff und beschnittene Superhelden Mädchen-Strumpfhosen oder gar umgekehrt? Hat sich Mohammed aus der Affäre gezogen oder seinen Jüngern ungewollt dieses „Rad der Schmerzen“ beschert? Und warum brauchen Jungs „Star Wars“ zu ihrer Sozialisation?
Bye bye happiness
Riad Sattouf ist etwa Mitte Dreißig und zeigt auf seiner Homepage eine GROSSstadt, finstere Wolken in Weltschlitzen, pickelige Teenies und hässliche Erwachsene. Das Titelblatt der französischen Originalausgabe von „Meine Beschneidung“ ist zwar viel brutaler, aber auch treffender. Am schönsten ist sowieso die Seite, auf der Riad verzagt (und schon wieder schwitzend) seinem Penis hinterwinkt, der sich über eine Schiffsreling beugt – bye bye happiness, I think I’m gonna die.
Es ist ja schon so, dass Superhelden anfangen, die Welt im Schlafanzug zu retten, das kennt man auch aus den neuesten Spiderman-Verfilmungen. Die ersten (Aus-)Flüge in den Kampf sind erstmal furchterregende Schwindelanfälle und immer aus der Not geboren (Onkel tot, Pimmel weg). Riad befindet sich mit „Episode 8“ noch derartig in seinen Anfängen, dass er sich nach der ominösen Operation im Schlafanzug rührend kindlich ruhigeren Einkehrungen widmet (vielleicht auch, zumindest angedeutet, Abkehrungen von autoritären, nichtssagenden Vaterfiguren).
Übrigens haben Kunden, die „Meine Beschneidung“ bei amazon gekauft haben, auch „Let The Right One In“, einen schwedischen Horrorfilm aus dem Jahre 2008 (ein besonderer Horrorfilm), dort bestellt. Ich habe „Let The Right One In“ nicht gesehen (auch nicht „Conan der Barbar“ oder „Goldorak“, aber immerhin „Star Wars“). Vielleicht hätte Riad auch eine Kindvampirin treffen müssen. So eine wie Marjane Satrapi vielleicht.
Worin ich jetzt sicher bin: Anhand der Frage der beschnittenen oder unbeschnittenen Penisse lässt sich der Nahost-Konflikt leider auch nicht entscheiden. Und es könnte sein, dass mir dieses Album ein solches Rätsel bleibt, weil es vor Gewalt nur so strotzt: ein ganz und gar männliches Buch?
Charlotte von Bausznern
Riad Sattouf: Meine Beschneidung (Ma Circoncision, 2008). Aus dem Französischen von Martin Budde. Berlin: Reprodukt. 100 Seiten. Farbig. 14,00 Euro. Zur Homepage von Sattouf geht’s hier. Mehr zum Buch finden Sie hier, ein französischen Interview mit dem Autor hier.