Geschrieben am 3. Juni 2017 von für Litmag, News, Reise Special 2017

Reise Special 2017: Charles Foster: Der Geschmack von Laub und Erde

Briefmarke Laub und ErdeAnimalische Perspektive

Reisebeschreibungen sind besonders interessant, wenn sie nicht nur einen Ort aus fremder Perspektive zeigen, sondern diese Perspektive mit der Wahrnehmung der Einheimischen kontrastieren. Den perspektivischen Unterschied treibt auf die Spitze, wer dafür die Grenze der Spezies überschreitet. So betrachtet sind Charles Fosters Nachempfindungen des Alltags von Tieren eine noch kaum gewagte Extremreise. Dafür wählt er nicht die in Reisebüchern übliche (lineare) zeitliche Erzählstruktur, stattdessen fasst er allerhand Naturaufenthalte zusammen. Dazwischen gibt es sehr vieles über die Spezies, ihre Sinnesorgane, Gewohnheiten und ihr Sozialverhalten zu sagen.

csm_produkt-13511_872578e893Foster beginnt sein Buch mit einem Kapitel über die Gretchen-Frage, inwieweit es überhaupt möglich ist, sich in ein Tier einzufühlen. Dabei stützt er sich auf Argumente des Philosophen Thomas Nagel, demzufolge man das Bewusstsein eines Tieres mit nichts Bekanntem vergleichen könne. Foster kombiniert überdies neurowissenschaftliche Erkenntnisse über Seh-, Gehör-, Geruch- und Tastsinn mit seinem holistischen Wissen über das Wesen von Dachs, Otter, Fuchs, Rothirsch und Mauersegler und beruft sich sogar auf Schamanismus, um auf diesem breiten Hintergrund mit seinen menschlichen Sinnesorganen dem Empfinden der Tiere möglichst nahe zu kommen. Diese Nähe erreicht er, z.B. indem er sich als Dachs in den Waldboden und die Nase buchstäblich in alles steckt, was der Mensch unpräzise mit „Erde“ zusammenfasst. Immer wieder zeigt er dezidiert die Grenzen der Neurowissenschaften beim Verständnis dessen auf, was ein Tier als Ganzes fühlt und ausmacht.

Foster kennt keine Scham, wenn es gilt, kulturbedingte Geschmacksgrenzen zum Zweck der Erkenntnis zu überwinden: „Alle fürsorglichen Menschen sollten ihren Kindern pürierte Regenwürmern in die Milch mischen: Das beugt Asthma und Ekzemen und späterer Angst vor verdorbenen Currygerichten vor. Doch wie viele Tiere und manche Menschen können sich Dachse bei Bedarf übergeben. Sie tun es gewissermaßen en passant.“ „Man kann den Schleim ablutschen, und zumindest beim Chablis-Schleim lässt sich im Frühjahr eine Note von Zitronengras und Schweinekot feststellen.“ Seine Aufgeschlossenheit gegenüber Übersinnlichen stellt den aufgeklärten Leser allerdings im letzten Kapitel auf eine harte Probe, wo er 21 „Fakten“ auflistet, in denen es z.B. heißt: „Die Buschleute der Kalahari-Wüste wissen, wann ihre Jäger erfolgreich waren, was genau sie erlegt haben und wann genau sie zurück sein werden – und das auf einen Abstand von achtzig Kilometern. Ursprünglich dachten sie, die Telegrafie des weißen Mannes basiere auf Telepathie.“ Doch auch derlei liest man mit Interesse, wenn es sich in das Gedankengebäude eines so belesenen Exzentrikers wie Foster einfügt (Foster ist u.a. gelernter Tierarzt, Dozent für Rechtsmedizin und Mitglied der altehrwürdigen Linnean Society, die sich mit Tier- und Pflanzenbiologie und der Einteilung der Spezies beschäftigt). Zwar bleiben die Fragen, die die behaupteten Übersinnlichkeiten aufwerfen, unbeantwortet, dennoch erreicht „Der Geschmack von Laub und Erde“ in den Beschreibungen des Tierempfindens eine bemerkenswerte Tiefe. Dazu kommt Fosters, zumal für ein Sachbuch, ganz ungewöhnlich poetische Sprache, die sich z.B. in feinen, durchdachten Vergleichen („Im Meer zerrt der Mond ständig an allem“) zeigt. Ein wahrlich besonderes Buch.

Michael Höfler
Michael Höfler ist Autor, Journalist und Herausgeber des Culturmag Reise Special 2017. Auf seiner Website www.travelmag-heimweh befasst er sich ebenfalls mit Reisen. Er ist Mitglied bei 42er Autoren e.V. . www.michaelhoefler.de/

Charles Foster: Der Geschmack von Laub und Erde (Originaltitel: Being a Beast, 2016). Übersetzt von Gerlinde Schermer-Rauwolf und Robert A. Weiß. Malik, 2017. 288 Seiten. €20.-

http://www.charlesfoster.co.uk/
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