Geschrieben am 3. Dezember 2014 von für Comic, Litmag

Petteri Tikkanen: Blitzkrieg der Liebe

Blitzkrieg_Cover_webSex and Drugs and Fahrräder

– Um es gleich vorweg zu nehmen, »Blitzkrieg der Liebe« ist nicht Rock ’n‘ Roll wie das Cover es möglicherweise nahelegt. Es geht darin nicht um Rockerbräute, Motorräder und Lederoutfit. Der wunderschön aufgemachte Hardcover-Band im A5-Format, der durchgängig mit Schwarz und wechselnden Sonderfarben gedruckt wurde, ist die Coming-of-age Geschichte von Eero und Kanerva, die eines Tages nicht mehr mit Eero spielt, weil sie »Titten« hat. Eero lässt sich das nicht gefallen und kämpft um seine Freundschaft, bzw. Liebe zu Kanerva. Wie viele Jungs ein Spätentwickler, will Eeronicht akzeptieren, dass es nun für Kanerva so wichtige Dinge gibt wie sich bis zur Bewusstlosigkeit zu besaufen (was in Finnland, wo der Comic spielt, schon mal elegant in die Pleite führen kann, dennoch als eine Art heimlicher Volkssport gilt). Es sind die Leiden eines heftig pubertierenden Jungen und die Veränderungen, die dadurch ausgelöst werden.

Mit Akustik-Klampfe  rocken

Tikkanen fabuliert mit Lust und einem gehörigen Schuss Selbsterkenntnis über die Leiden und Nöte von Heranwachsenden, aber auch mit diebischer Freude über deren Siege. Man denkt zwangsläufig, dass Eero das Alter Ego des Autors ist, so nah beieinander scheinen die Lebensläufe. Wie Tikkanen zeichnet Eero viel und mit Leidenschaft, wie Tikkanen lernt Eero irgendwann Gitarre und gründet eine (Metal?-)Band und Eero würde man einen Auftritt zutrauen, wie jenen, den sich Petteri Tikkanen zur Buchmesse Frankfurt in diesem Jahr geleistet hat: Mit Akustik-Klampfe den Stand vom Avant-Verlag rocken!

»Blitzkrieg der Liebe« ist aber vor allem eines: schnell! Die 262 Seiten liest man in kürzester Zeit weg, Tikkanen legt seine Zeichnungen bewußt schlicht und klar an, es gibt keine überflüssigen Details, das Paneling ist einfach, maximal vier Panels auf der Seite, zumeist begnügt sich der Autor und Zeichner mit zweien. Der Stil ist eindeutig Ligne Claire inspiriert, darin ähnelt der Band einigen Künstlern aus den Kreisen der l’Association, die sicher auch für Tikkanen starke Einflüsse waren. Nicht überall steht der Stil im Widerspruch zum Inhalt. An dieser Stelle muss ich dann auch mit meiner Kritik anfangen. Gerade das Niedliche, Harmlose böte viele Chancen, der Story mehr erzählerische Tiefe zu geben. Ansätze dafür sind vorhanden, aber, so schön der Band auch ist, er bleibt an der Oberfläche. Klar, jeder mit sich selbst beschäftigte, pubertierende Jugendliche erscheint oberflächlich, es geht um Sex und Selbstfindung. Aber in dieser Geschichte werden immer wieder Themen angerissen, die gerade diese Selbstfindung oder Selbstdefinition deutlicher, die Mentalität der Finnen besser verständlich hätten machen können.

Blitzkrieg_der_Liebe_Leseprobe-5

Der Versuch, Spannung zu vermeiden

Stattdessen bricht Tikkanen immer wieder ab, wenn die lustige Coming-of-age Geschichte zur Reflexion über Missstände in der Familie, der Nachbarschaft oder der Gesellschaft werden könnte. Es wird angerissen, meist aber lakonisch offen gelassen. So wird der Alkoholismus des Vaters stets nur kurz in seiner unangenehmen Art gezeigt, wenn er beispielsweise mit besoffenem Kopf pöbelnd vom zeichnerisch begabten Sohn fordert: »Mal mal ’ne Fotze!«. Und zwar eine, die fünf Kinder zur Welt gebracht habe. Anstatt der vermutlich ziemlich angespannten Situation nun einen sinnvollen Verlauf zu geben, kommt Eeros Mutter im nächsten Panel ins Bild und fordert ihren Mann den Sohn in Ruhe zu lassen – Ende der Geschichte.

Klar, so dürfte es in solchen Situationen oft zugehen, aber es ist auch der leider gelungene Versuch, durch Abbrechen des Erzählstrangs Spannung zu vermeiden. Eigentlich könnte der Band ein Feuerwerk an sarkastischen Zwischenrufen zum Zustand der finnischen Gesellschaft sein, immerhin prägt eine Gesellschaft ja auch pubertierende Jugendliche, aber leider lässt Petteri Tikkanen einen Böller nach den anderen nass werden, sodass nichts wirklich zündet.

Vielleicht ist diese Kritik »typisch Deutsch«, viel zu nachdenklich, um einem solchen amüsanten Band, der viele wunderschöne, lyrische Momente hat, ziemlich gut gezeichnet ist und einen oft laut auflachen lässt, gerecht zu werden, aber mir hat  diese Tiefe gefehlt. Daher ist »Blitzkrieg der Liebe« eben auch kein erwachsener, abgeklärter und mitunter böser Rock ‘n’ Roll – sondern allenfalls Fun-Punk.

Hanspeter Ludwig

Petteri Tikkanen: Blitzkrieg der Liebe. Avant-Verlag. Berlin, 2014, 264 Seiten , Euro 19.95. Petteri Tikkanen beim AVANT VERLAG, Zur HOMEPAGE des Künstlers.

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