Geschrieben am 24. August 2009 von für Litmag, Lyrik

Patrizia Cavalli: Diese schönen Tage

In die Hölle, in die Salons

Patrizia Cavalli, eine italienische Poetin in einer „Zeit inzwischen untergegangener gesellschaftlicher Utopien“ wird zum ersten Mal in einer Auswahl ihrer verstörenden Gedichte dem deutschsprachigen Publikum vorgestellt. Von Carl Wilhelm Macke

Es gab einmal eine Zeit, da hatten italienische Lyriker auch jenseits der Alpen einen großen, einige sogar einen überragenden Ruf. In keiner Geschichte der europäischen Nachkriegslyrik können Gedichte von Giuseppe Ungaretti und Eugenio Montale fehlen. Auch die Gedichte des triestiner Einzelgängers Umberto Saba sind mehr als nur einem engen Kreis an Lyrik-Experten bekannt. Dann kommen noch Gedichte von Pier Paolo Pasolini und Cesare Pavese hinzu, die ja bei uns vornehmlich als Autoren in anderen literarischen Genres bekannt sind. Gedichte hat auch der Romancier Giorgio Bassani geschrieben, die aber nicht ganz zu Unrecht im Schatten von Romanen wie Die Gärten der Finzi Contini oder Brille mit Goldrand geblieben sind. Jenseits der genannten Autoren hat es im deutschen Sprachraum nur noch sehr wenige und sporadische Übersetzungen moderner italienischer Lyrik in den letzten Jahren gegeben. Einige Namen wie der der vor einigen Jahren verstorbenen Mario Luzi oder Amelia Roselli oder der noch lebenden Andrea Zanzotto, Valerio Magrelli, Valentino Zeichen sind nur wenigen Experten bekannt.

Es gibt aber in Italien eine sehr lebendige und produktive Poesie-Szene, die immer im Schatten literarischer Granden wie Antonio Tabbuchi, Andrea Camillieri, Claudio Magris oder von Intellektuellen wie Umberto Eco oder politischen Publizisten wie aktuell Roberto Saviano steht. An welchen deutschen Zeitungskiosken ist es etwa wie in Italien möglich, neben Tageszeitungen, Illustrierten, Modejournalen und Computermagazinen usw. auch eine regelmäßig erscheinende, nur der zeitgenössischen Lyrik gewidmete POESIE-Illustrierte zu erwerben? Nicht alles hat sich Berlusconi unter den Nagel gerissen…

Kein Gedicht verändert die Welt

Um wenigstens eine kleine Lücke dieses Nicht-Wissens zu schließen, ist es sehr zu begrüßen, dass in der inzwischen renommierten Edition des Münchner Lyrik-Kabinetts in Zusammenarbeit mit dem Hanser-Verlag jetzt eine Auswahl von Gedichten der in Umbrien geborenen Patrizia Cavalli aufgenommen worden ist. Abgesehen von einer sehr kleinen Auswahl ihrer Gedichte in der (ebenfalls bei Hanser erscheinenden) Zeitschrift akzente, gab es von Patrizia Cavalli bislang keine ins Deutsche übersetzten Gedichte. Sie war – bis jetzt – für deutsche Leser eine vollkommene Unbekannte. Geboren 1949 im umbrischen Todi lebt sie seit Jahrzehnten bereits in Rom und hat dort an verschiedenen Theater- und Hörspielproduktionen mitgearbeitet. Einen ganz besonderen Ruf genießt sie in Italien aber als Lyrikerin. Sie einer bestimmten ‚Schule’, ästhetischen Richtung zuzuordnen fällt schwer. Vielleicht trifft es ja zu, wenn Piero Salabè, ihr Übersetzer, sie im Vorwort sprachlich arg gedrechselt als eine Poetin in einer „Zeit inzwischen untergegangener gesellschaftlicher Utopien in einer wissenschaftlich erschlossenen, medial-funktionalistischen Epoche“ bezeichnet.

Das den Band einleitende Gedicht ist ebenso kurz wie programmatisch. Es müßte eigentlich jedem Band moderner Lyrik vorangestellt werden: „Jemand sagte mir/ sicher werden meine Gedichte/ die Welt nicht verändern.// Aber sicher, antworte ich,/ meine Gedichte werden/ die Welt nicht verändern.“ Dieser Gedichtband wird die Welt nicht verändern, vielleicht aber wird er die Lesenden des Bandes irritieren und verunsichern. Manche Gedichte erscheinen, jedenfalls beim ersten, flüchtigen Lesen, als nur sehr schwer verständlich, unseren Denkgewohnheiten vollkommen entgegengesetzt: „Bald landen wir alle in der Hölle./ Im Moment aber/ ist der Sommer gerade vorbei./ Auf, in die Salons!/ Los, in die Salons! In die Salons!“

Düsteres Brummen

Giorgio Agamben, der in Italien aktuell sehr diskutierte Philosoph aus Verona (in Deutschland verlegt bei Suhrkamp), schreibt in seinem Nachwort: „ Der Gott dieser Dichterin ist so vollkommen gegenwärtig, dass man ihm nur noch nachtrauern kann. Die dem heiligen Franziskus nachempfundene Lobgesang der Schöpfung ist in der Gegenfuge von einem unterschwelligen, düsteren Brummen durchzogen, er selbst ist jenes Brummen: Misere und Hosianna.“ Ob diese Interpretation das Verständnis der Gedichte von Patrizia Cavalli leichter macht…?

Auch wer dieses ‚Brummen’ bei der Lektüre nicht spürt, kann sich von ihrer Sprache im italienischen Original und in der guten Übersetzung von Piero Salabè ganz einfach irritieren, manchmal auch verzaubern lassen. Müssen gute und lange nachhallende Gedichte nicht verstören, Fragen aufwerfen, zum wiederholten Lesen zwingen? Wer sich auf diese Prämisse einläßt, wird hier eine große Auswahl guter Gedichte finden.

Carl Wilhelm Macke

Patrizia Cavalli: Diese schönen Tage. Ausgewählte Gedichte 1974 – 2006.
Aus dem Italienischen von Piero Salabè. Mit einem Nachwort von Giorgio Agamben.
Edition Lyrik Kabinett/ Hanser, München 2009. 152 Seiten. 14,90 Euro.