Geschrieben am 3. Mai 2004 von für Kolumnen und Themen, Litmag

Partei der Schönheit

Der italienische Paradiesvogel Vittorio Sgarbi kämpft gegen die Hässlichkeit

Ein Gesellschaftsspiel: man sitzt in einer Runde von Freunden italienischer Kultur. Isst eine gute Pasta, trinkt einen noch besseren Wein. Zwei, drei der neuesten Berlusconi-Witze werden erzählt. Die Stimmung lässt einen angenehmen Abend erwarten. Doch dann fällt vielleicht nur nebenbei der Name Vittorio Sgarbi und schon lodert das Feuer auf. Una vergogna, eine Schande wettert die eine Tisch-Fraktion. Immerhin, er versteht etwas von der Renaissance, hält die andere Fraktion dagegen. Keine Frage, der Mann polarisiert wie kaum ein zweiter in der italienischen Kulturszene. Und in Deutschland wäre so ein begnadeter Narziss und Polemiker auch wohl kaum denkbar.

Vittorio Sgarbi, im Ausland kaum bekannt, gehört in Italien seit Jahren zu den, vorsichtig formuliert, umstrittensten Personen in der kulturpolitischen Szene. Je nach Standort gilt er entweder als Flegel, der einfach nicht die bürgerlichen Anstandsregeln gelernt hat oder als genialer Kunstvermittler im Zeitalter der Medien. Sgarbi will konfrontieren, und jeder Konsens ist ihm ein Gräuel. In Fragen des Geschmacks hat er seine eigenen dezidierten Auffassungen. Toleranz gegen andere Stilempfindungen werden nicht zugelassen. Seine öffentlichen Beleidigungen politischer oder persönlicher Gegner sind legendär. Andere Kunstexperten werden allenfalls zur Kenntnis genommen. Und es gibt für Sgarbi sogar Intellektuelle, die etwas von Kunst verstehen, aber ihm kann natürlich keiner das Wasser reichen.

An Narzissmus und Exhibitionismus wagt selbst in der an Eitelkeiten wahrlich nicht armen politischen Klasse Italiens wohl niemand mit Sgarbi zu konkurrieren. Mit seiner auffallend großen Brille und einer üppigen blonden Haartolle steht der hochgewachsene Sgarbi immer und sofort im Mittelpunkt jedes Events in der ‚römischen Gesellschaft’. Dass ihm die politische Linke seinen Opportunismus (von ursprünglich ganz links hat es ihn ein zeitlang in den Hafen von ‚Forza Italia‘ getrieben, aus dem er heute wieder geflüchtet ist) übel nimmt, ficht ihn wenig an. Halsbrecherische politische Wendemanöver sind in Italien keine Seltenheit. Das heutige rechte Regierungslager ist gespickt voll mit solchen Piraten des jeweiligen Zeitgeistes. Und es sind gerade die schärfsten Wachhunde am Hofe von Berlusconi, die eine tiefrote Vergangenheit auf dem Buckel haben. Dass sich Sgarbi seine Auftritte in irgendwelchen Zirkeln der besseren römischen oder mailänder Gesellschaft mit astronomischen Honoraren bezahlen lässt, ist zwar degoutant, aber ‚cosi fan tutte’. Und seine diversen Frauengeschichten? Diskretion.

Aber neben diesem glitzernden, manchmal rotzfrechen politischen Paradiesvogel Sgarbi gibt es auch noch den feinsinnigen Kunstkenner Sgarbi. Wer einmal erlebt hat, wie passioniert Vittorio Sgarbi im Fernsehen oder in einer öffentlichen Veranstaltung über die Geschichte der Kunst parliert, verzeiht ihm gelegentlich sogar die schlimmsten politischen Ausrutscher. In der Glitzerillustrierten ‚Gente’ ist für ihn eine ständige Rubrik reserviert, in der er die schicken & schönen Italiener in die Ikonographie eines Gemäldes von Caravaggio oder Bellini einführt. Mit den Gemälden in seiner Privatwohnung in Ro (einer kleinen Stadt im Po-Delta) könnte Sgarbi problemlos eine größere Kunstgalerie bestücken. Sobald er in einer Fernsehsendung über Giotto, Bernini oder Morandi spricht, verzeiht man diesem Mann sogar seine schlimmsten polemischen Rundumschläge. Dann spürt man, dass die ästhetischen Ansichten von Sgarbi in ausgezeichneten Kritikerschulen geformt worden sind. Roberto Longhi und Federico Zeri, zwei ‚Granden’ der italienischen Kunstgeschichte des XX. Jahrhunderts gehören zu seinen Lehrmeistern. Aber Sgarbi wäre nicht Sgarbi, wenn er sich nicht irgendwann einmal mit lautem Getöse von seinen Meistern und Freunde getrennt hätte. Jetzt hat er ein neues Feld für sich entdeckt. Bei den bevorstehenden Europa-Wahlen und den zeitgleichen italienischen Kommunalwahlen tritt er mit einer von ihm gegründeten Partei an. Weder links noch rechts sei sie, so tönt Sgarbi derzeit durch alle italienische Medien, sondern eine Partei zur Rettung von Schönheit und Ästhetik. Und als ‚Plattform’ dient ihm sein neuestes Buch, eine Generalabrechung mit den italienischen Bausünden der letzten Jahrzehnte. Jede Stimme für seine Partei, so hofft Sgarbi, ist ein Protestschrei gegen die ästhetische Verschandelung nicht nur Italiens, sondern ganz Europas. Und da Europa an hässlichen Bauten und Landschaftszerstörungen weiß Gott nicht arm ist, könnte man der Partei eigentlich nur das Beste wünschen. Wären da nicht Sgarbi selbst und sein parteipolitischer Mitkämpfer Francesco Cossiga, ein wegen seiner notorischen Streitsucht in Italien berüchtigter ehemaliger Christdemokrat.

Die werden noch in der Wahlnacht die Fetzen gegeneinander fliegen lassen. Und wie immer in der politischen Karriere des Vittorio Sgarbi wird dann nur seine Mutter im heimischen Ro Ferrarese treu an seiner Seite bleiben. Sgarbi gilt nämlich als einer der größten ‚Mammistas’ unter den ‚very important persons’ in Italien. Sgarbi hält seine Mutter für die schönste Italiens. Etwas anderes hätte man von ihm auch nicht erwartet.

Carl Wilhelm Macke