Geschrieben am 9. April 2009 von für Hörbuch, Litmag

P. E. Reichel verlegt Jarrys „Ubu“ nach Sachsen

Dada in Dresden

Ein gestürzter Thron, ein sinkendes Staatschiff und groteske Charaktere in einem sehr freien Hörspiel nach Alfred Jarrys „Ubu Roi“. Von Jörg von Bilavsky.

Mit „Ubu Roi“ ist kein Staat zu machen. Das wissen alle, die das Bühnenstück des französischen Schriftstellers Alfred Jarry aus dem Jahre 1888 kennen. Dennoch ist man als Liebhaber des Originals gespannt, wie sich „Ubu Rex Saxonia“ im gleichnamigen Hörspiel als eigenmächtig hochgeputschtes Staatsoberhaupt am Dresdener Hof so durchschlägt. Mehr schlecht als recht möchte man sagen. Und das gilt auch für das äußerst ambitionierte, aber leider eher ins Alberne als ins Groteske driftende Hörspiel von Peter Eckhart Reichel – eigentlich ein Spezialist auf dem Terrain des Satirischen, Absurden und Phantastischen, wie er in seinen Hörbüchern zu Alfred Richard Meyer, Paul Scheerbart oder Alfred Lichtenstein bewiesen hat.

Vielleicht hat sich der gebürtige Dresdener einen lang gehegten Wunsch erfüllen wollen und den Schauplatz des Hörspiels in die sächsische Metropole verlegt. Obgleich Jarrys Stück „nirgendwo“ und überall spielen kann, hat sich Reichel ganz bewusst für „Sachsens Glanz“ und Ubus schmutzigen Charakter entschieden. Ihm geht es nicht um eine universelle Darstellung niederer Instinkte und höchster Machtgier. Er hat vielmehr die regionalen Verhältnisse auf dem Kieker. Schließlich steht bei ihm das blühende Wirtschaftsland in Ostdeutschland vor dem Staatsbankrott und geht durch Angriffe von rechts wie links zugrunde. Eine Vision, die angesichts der derzeitigen Finanzkrise und der Präsenz der Linken und der NPD im sächsischen Landtag sogar naheliegt.

Das deftig-derbe Böse

In seiner Neufassung setzt Reichel an die Stelle der schwachen Demokratie zunächst die starke Monarchie. König Kasimir lockt mit unternehmerfreundlichen Steuerfreizonen das Kapital an und füllt paradoxerweise gleichzeitig die Staatskasse auf. Ein erfolgreicher und beliebter König hat viele Neider am Hofe, so auch Vater Ubu, den seine sächselnde Frau zum Königsmord anstachelt. Dahinter steckt das uralte Spiel der Xanthippe, die ihrem Mann Faulheit und Versagen vorwirft und dabei nach Reichtum und Komfort schielt. Das Attentat gelingt, der tumbe Königssohn flieht und sinnt auf Rache, während Ubu als neuer Regent erst gute Gaben verteilt und dann aus purer Lust am Bösen schreckliche Urteile fällt. Bis auch er wegen Misswirtschaft und Ausbeutung Bankrott anmelden muss. In der Zwischenzeit braut sich allerdings weiteres Unheil zusammen. Die Feinde sammeln sich, Ubu muss und will weichen: auf eine in Deutschland allseits beliebte Ferieninsel. So ist der Gang der Dinge, der sich im Groben und Ganzen auch mit Jarrys Fassung deckt.

Doch Reichels Versuch die dadaistische Tonart des Originals zu treffen, wirkt zuweilen ebenso aufgesetzt wie die oberflächlichen Anspielungen auf eingerostete NVA-Panzer, Volkseigene Betriebe oder Wendehälse. Das sächsische Idiom und die scheinbar unerschöpflichen Redewendungen geben der Groteske zwar einen deftig-derben Charakter, treffen aber nur Land und Leute statt den verderbten Kern in uns allen. Gerade weil Reichel mit seinen stilistischen Mitteln und inhaltlichen Absichten immer zwischen Provinziellem und Universellem schwankt, lässt sich keine klare Botschaft erkennen. In dieser politischen und ästhetischen Unentschlossenheit verharrt das Hörspiel.

All das schmälert die hervorragenden Leistungen der Sprecher und Schauspieler nicht, die mit wahrer Hingabe die Heuchelei, Hinterhältigkeit und Habgier der Protagonisten zu Gehör bringen – und glaubhaft machen, dass das Böse nicht nur banal, sondern auch bitterkomisch sein kann. Diese Botschaft geht in dem technisch perfekt inszenierten, aber sprachlich eher angestrengten Hörspiel unter. Viele große Künstler haben sich am „Ubu“ schon versucht und sind daran gescheitert, Reichel gehört nun leider auch dazu.

Jörg von Bilavsky

Ubu Rex Saxonia. Hörspiel von Peter Eckhart Reichel. Frei nach dem Bühnenstück ,,Ubu Roi“ von Alfred Jarry. Mit Andreas Mannskopf, Marie Gruber u.v.a. 2 CDs, Laufzeit: ca. 147 Minuten. Hoerbuchedition Words & Music 2008. Preis: 19,90 Euro.