In unserer Online-Galerie stellen wir in regelmäßigen Abständen Bilder interessanter Künstlerinnen und Künstler vor. Diesmal zeigen wir Arbeiten des Hamburger Künstlers Martin Nill.
Inhabitants of Square City: Klonk, Klonk, Klonk & Klonk

Inhabitants of Square City: Der Tätowierte
Inhabitants of Square City: Huhn
Inhabitants of Square City: Loch mit Krawatte
Bruch mit dem Idyll
Martin Nill wurde 1962 In Aurich geboren, er hat in Hamburg Kunst studiert und lebt und arbeitet in der Hansestadt. Seit 2004 schafft er sich in seinem virtuellen Nillmuseum seinen sehr eigenwilligen und unverwechselbaren künstlerischen Kosmos.
Nill sammelt Geschichten und Anekdoten aus unserer Alltags- und Kulturgeschichte und manifestiert sie in seinen kleinformatigen, beleuchteten Dioramen, Objektkästen und freistehenden Skulpturen. Als Ideengeber nutzt er Fotos – Familienfotos oder auch Schnappschüsse – oder Vorlagen aus Literatur, Film und Fernsehen oder Zeitgeschehen. Er modelliert seine Protagonisten aus Kunststoff und seine Kulissen aus gefundenen Materialien.
Er zeigt Erinnerungstücke eines gesellschaftlichen Gedächtnisses, mal glaubhaft, mal unmöglich, mal humorvoll oder auch erschreckend. Darstellungen bürgerlicher und kleinbürgerlicher Rituale, Auswüchse menschlicher Abscheulichkeiten, Anekdoten oder mögliche schicksalhafte Geschichten, unterlegt mit Ironie und Witz.
Hier zu sehen sind Ausschnitte aus „Square City“, einer wuchernden Modell-Stadt, zusammengesetzt aus einer Vielzahl von Einzelarbeiten, nämlich aus 35 Quadraten à 29 mal 29 cm, fünf Quadrate in der Breite und sieben Quadrate in der Länge. „Square City“ ist zentralistisch organisiert um eine (fast) leere Mitte herum: eine wächserne Kuppel bildet eine Art Regierungspalast. Davor befindet sich eine ebenso wächserne Hochhaussiedlung aus anonymen ungestalteten Kuben. Auf die Kuppel zu bewegt sich ein Fahrzeug, das einen roten Stern transportiert und ausstellt. Hinter dem Fahrzeug befindet sich eine Wiese, deren Halme alle in eine Richtung zeigen: auf eine Gruppe schwarzer Schnecken, die sich auf die Mitte zubewegen. Auf der anderen Seite, hinter den Hochhäusern, spiegelt sich diese Situation: eine Gruppe Bäume beugt sich gegen einen Berg schwarzer Frösche.
An den vier Eckpunkten stehen Wächter, die einen martialischen Eindruck erwecken wollen – teilweise sind sie bewaffnet oder maskiert – man fühlt sich trotzdem ein wenig an Gartenzwerge erinnert. Square City ist eine gated community mit zentralistischer, orthogonaler Struktur im Sinne der klassischen Moderne, mit Anklängen an einen Schrebergarten inmitten einer feindlichen, angriffslüsternen Natur.
An den kurzen Rändern wurde, aus Gründen der Vollständigkeit und um eine Art funktionierender Infrastruktur zu garantieren, ein Supermarkt und ein Fightclub installiert. An den Rändern der Längsseiten wird einerseits die Infrastruktur vervollständigt durch einen Friedhof und eine Bahnlinie, andererseits geht das Architektonische in das Natürliche über: wir entdecken einen Fluss, eine Landschaft, Tiere tauchen auf, das Konstruktive mündet ins Erzählerische.
Dazu kommen die Bewohner der Stadt. Manchmal haben sie sich zu Banden zusammengerottet und stellen ihre Absonderlichkeiten, Abnormitäten und Obsessionen zur Schau. Das Geschlechtliche spielt eine Rolle – aber vielleicht keine gute. Andere erinnern an Statuen oder Kultobjekte aus exotischen Ländern, am ganzen Körper tätowiert oder aus grobem Holz geschnitzt. Der Übergang vom Anorganischen zum Organischen zum Technoiden ist fließend. Die körperlichen und psychischen Mängel der Bewohner sind ein weiterer Hinweis darauf, dass wir es nicht mit einer utopischen Vision zu tun haben, die uns Glück und Schönheit in Zukunft vorgaukelt.
Sondern mit einer Vorstellung von Freiheit und Unverfrorenheit, Defekte im Hier und Jetzt zu leben. Square City ist dafür der richtige Ort.
Martin Nill bezeichnet sich selbst als Idyllenforscher. Als Fachmann für Idyllen weiß er um ihre Brüchigkeit. So verweigern sich seine Modelle jeder harmonischen Eingemeindung und es entstehen ironische Schaustücke aus einer deformierten Wirklichkeit.
Weitere Arbeiten des Künstlers finden Sie im Nillmuseum.