Geschrieben am 12. Juni 2013 von für Comic, Litmag

Nicolas Mahler: Alice in Sussex

46386Bilderreim für Bildungsleser

– Während die meisten Bildungsleser Lewis Carrolls Alice ganz gut kennen werden, mitsamt ihren popmusikalischen Erweiterungen, „one pill makes you larger“, und so weiter, dürfte „Frankenstein in Sussex“ von H.C. Artmann weit wenigeren ein Begriff sein, was wiederum die Kalkulation des Suhrkamp-Verlags sein könnte (falls es eine Kalkulation in der Hinsicht gab), der ja immerhin im Jahr 1968 das 25-Seiten Werk herausbrachte und dem Wiener Comic-Künstler Nicolas Mahler 2012 zugestand (via FAZ-Zeitungsstrip), seinen Bilderreim darauf zu machen, auf Alice nämlich, und auch auf Artmanns Frankenstein. In dem Alice vorkommt. So ist es ja nicht. Auch Mary Shelley kommt darin vor, die Erfinderin des Monster-Papas, und viele weitere semi-bekannte Persönlichkeiten des literarischen Lebens, denn Artmann renne gerne, schrieb schon der „Spiegel“ im Jahr 1969, „offene Literatüren ein“.

Damit hatte Mahler gleich zwei Schrauber und Verdreher und Maschinenbauer der literarischen Art zu bedienen, oder doch als Inspirationsquelle zu nutzen – sein Werk definiert sich als „frei“ im Sinne von: „frei nach“, also im ganzen Titel so: „Alice in Sussex. Frei nach Lewis Carroll und H.C. Artmann“, und ist nun (für Nicht-FAZ-Leser und FAZ-Mahler-Zweitleser) auch als Gesamtband (bei Suhrkamp) erschienen.

630_img1Artmann ist ein Österreicher, ein Wiener. Genau wie Mahler. Der sich bei Suhrkamp malend schon mit Thomas Bernhards „Alte Meister“ rumgeschlagen hat, auch ein Österreicher, dessen Grund-Grantigkeit der lässigen Zurückhaltung von Mahlers Strichmännchen kontrapunktisch perfekt in die Hände zu arbeiten scheint. In „Alice in Sussex“ dagegen, dezent in Schwarz und Weiß und Marge-Simpson-Blau gehalten, bastelt Mahler den Grundwahnsinn nach und mit, verdreht Räume und Dimensionen und Verhältnismäßigkeiten, „frei nach“ den literarischen Vorgängern – ein bisschen Dada darf da schon sein.

Die Grundgeschichte: Einfach. (Trügerisch.) Alice langweilt sich beim Lesen eines Buchs ihrer Schwester („Frankenstein in Sussex“), als ein weißes Kaninchen vorbeikommt und ihr anbietet, seine aufwändig illustrierte Erstausgabe des Werks zu leihen. Das einzige was sie tun muss: In seinen Kaninchenbau hüpfen. Der Eingang, gemauert („mein Schwager ist Maurer“) führt in ein unterirdisches Haus, wo das Kaninchen, weit entfernt davon, die gesuchte Erstausgabe zu finden, Alice ganz andere Bücher vorzuschlagen hat: „Vom Nachteil geboren zu werden“, „Wider die Jugend“, „Der Unfug des Sterbens“, während das Mädchen, nachdem es  die verbotene Schwanensuppe leer geschlürft hat, mit kleinen Flügeln durch das Haus flattert und die weiteren Mitbewohner des Hasen, nämlich Raupe, Katze und Maus kennenlernt, bis schließlich Frankensteins Monster auftaucht und sich daran macht, das fliegende Mädchen wie einen Schmetterling einzufangen und an der Wand aufzuspießen (oder so).

Jedoch! „Gegen die Macht des menschlichen Fluges vermochte der urjägerisch einherwuchtende Riese nicht aufzukommen.“

Artmann,H._C._21

H.C. Artmann

Frei nach Artmann. So steht es hinten im Zitat-Nachweis-Register des Bandes. Gibt es einen besseren Grund als diesen Trash-Nugget von Satz (im Bild), sich Mahlers „Alice in Sussex“ (erneut) anzutun?

Und danach gleich den Artmann selber. Und warum nicht auch noch Mary Shelley. Vielleicht gefolgt von H.G. Welles?

Und, keine Frage, „Wider die Jugend“ des zweifelhaft schillernden Robert Poulet (1963), ein Pamphlet, von dem das Kaninchen  erklärt, es sei „das Kultbuch meines alten Herren“ gewesen…

Brigitte Helbling

Nicolas Mahler: Alice in Sussex. Frei nach Lewis Carroll und H.C. Artmann. Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. 143 Seiten. 18,99 Euro.

Nicolas Mahler bei  Graphic Novel Tage Hamburg! 13. Juni, 19:30, Literaturhaus Hamburg.

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