Geschrieben am 10. Mai 2010 von für Litmag, Neuer Wort Schatz II

Neuer Wort Schatz II (31): Oswald Egger

Räume

Oswald Egger

… zwei zu fünf

Vorgestellt von Carsten Schwedes

… zwei zu fünf schätze ich die Abstände
zwischen den Zeilen, drei zu fünf die Abstände
einer Reihe und zwei zu drei die Maße
der Stelen selbst.

Es ist Nacht, Glosen, Gluten, die ich auglos weiß, und
ungrund-Weite, die, von sickernen Gedanken spielt,
vom Wachsein in Sprache, es ist spät (sehr spät), mein
Herz schlägt mich – schlägt mich in sich – zu Scheitern.

Wie die Bilder stürmen jetzt, jage-ich, klittere und
hasche, klöne Wort für Wort vom Schot-Boden klaffter
Unruhe ohne Kuhle, Wehen, die Branntweide-der Heck-
Schlaf im Bunker (die Raquetten) Äste im Rißholz.

Gründweiß im Flachwasser-Bassin, zu Unteilen
ein Kanal, Pergulaknoten des Konkreten, Hof-
offen, zum Böschungsgefälle hin, Fließbeton
und Unformen, Anlandebrücken als Stegtisch,

mit Lauerbeinen, zum Vorsprung bereite,
Mantisse Grachtgassen zwischen Bauten, Hangar-
Halden, mit einem Hang zum Horizont, Ein-
mauern, die zingeln ihre Mitte ungeraum umfingen,

aber nicht in sich verklammern, ungebäude, aufs
Außen, reimen, Kastrahmen außer Haus, und
Inbrunnen ein Tiegel-schacht Heimgarten-der
Kubus als als Quelltext incubierter, Schlaf-
falt an der Schläfe (la Mansana).

Zwei zu fünf, drei zu fünf, zwei zu drei: es sind die Proportionen, die relevant sind in diesem Stelenfeld, nicht die absoluten Größen, die unbekannt bleiben, keine überwältigenden Maße, vielmehr Bezüge innerhalb eines unbestimmten Ganzen. Nüchtern-abschätzend ist die Beschreibung, prosaisch der Ton in der Neigung des Sprechers zur quantifizierenden Welterfassung, bei der auf Adjektive getrost verzichtet werden kann. Doch erzeugt der sachliche Stil nicht etwa eine besonders genaue Vorstellung vom beschriebenen Objekt, da sich dessen Darstellung auf nicht zu verortende Details beschränkt, die nach einer Einordnung in ein Gesamtbild verlangen.

Aber diese Einordnung bleibt aus. Unvermittelt folgt mit dem Beginn des nächsten Abschnitts ein Sprung in ein nächtliches Szenario, die Temperaturempfindung ergänzt das Sehvermögen, das den Dingen allein nicht mehr auf den Grund gehen kann, denn sie liegen in einer „ungrund-Weite“, die nicht mehr bloß sinnlich erfassbar ist. „Sickerne Gedanken“ (die Wortschöpfung akzentuiert das Statische, den Zustand anstelle der Bewegung) finden sich in dieser Weite, in einer Art Spiel der Erkenntnisvermögen begriffen, das nicht auf einen feststehenden Begriff zu bringen ist. Sprache spielt hier mit, geht über den regelgebundenen Satzbau hinaus, bildet aber nicht den alleinigen Grund, auf dem die Wahrnehmung beruht.

Von der poetischen Erkenntnistheorie geht es nun – nach der verstärkenden Erinnerung daran, dass tiefste Nacht herrscht – ins Subjektiv-Persönliche: vom, nein, im eigenen Herzen zu Scheitern geschlagen, Scheiter, die den nächtlichen Gluten Nahrung geben, sie so ins Metaphorische kippen lassen. Erkenntnis weicht plötzlich dem Gefühl, daher das auglose Wissen, alles sickert nun in die Seele herab, deren Weite keinen Grund kennt (Meister Eckhart klingt hier an mit der mystischen Rede vom „grundlosen Grund“).

Eggers Lyrik ist hochgradig reflexiv, der ‚Bildersturm‘ des zweiten Abschnitts wird im dritten explizit, der Sprecher aktiv, das Jagen mit seinem Ich verbindend, in kurzatmigen Reihungs-Rhythmus übergehend und dabei das eigene dichterische Tun abwertend („haschen“ (nach Wind?), „klittern“ und „klönen“). Keine Spur mehr von der Nüchternheit des Beginns, sexuelle Untertöne kommen in der Etymologie des Worts „Schot“ in den Text, von schöpferischen „Wehen“ gefolgt, um in der Natur zu landen, die jedoch vom Krieg gezeichnet ist. Unklar bleibt, was Metapher, was beobachtetes Bild ist. Die Grenzen verwischen sich in der hier einsetzenden Substantivreihung, die in den weiteren Abschnitten dominiert. Die anfangs so geordneten Gedanken werden kräftig durcheinandergewirbelt.

In den nächsten beiden Abschnitten gehen  Beobachtung und Metaphorik eine Synthese ein. Der Motivbereich „Wasser“, der hier dominiert, kann ebenso als bildhafte Schilderung des Bewusstseinsstroms gelesen werden wie als konkrete Sinneswahrnehmung. Abstrakta wie „Unteile“ und „Unformen“ verweisen ebenso auf diese wahrnehmungstheoretische Grundlage wie die Genitivmetapher „Pergulaknoten des Konkreten“.

Dass diese Strophen nicht zum Traktat in Versform verkommen, ist Eggers Sinn für den Sprachklang zu verdanken. Wortbildungen wie „Flachwasser-Bassin“ oder „Mantisse Grachtgassen“ sind klingende Lautkompositionen, Alliterationen verbinden die Wörter („Hangar-Halden, mit einem Hang zum Horizont“), so dass die sinnliche Komponente ebenso präsent bleibt wie die wahrnehmungstheoretische. Es werden nicht nur mehrere Ebenen in diesem Gedicht ausgebreitet, sondern auch verschiedene Komponenten des menschlichen Auffassungsvermögens angesprochen.

Gegen Ende – die Vokabel „Fließbeton“ deutete es schon an – verfestigt sich das zunächst noch Flüssige zusehends zu einem Gebäude, ob nun wörtlich oder metaphorisch zu verstehen. Mauern, die das Innere nicht wie einen Raum umfangen, nicht in sich verklammert sind – ein Unding scheint Oswald Egger hier zu errichten. Und so trifft schließlich auch auf diese Verse zu, was er an anderer Stelle über seine Lyrik schreibt: „diese Art zu Reden, sprich Übersetzen, [ist] dem Äther der Sternensprache näher als der Erde“.

Erst die letzten beiden Wörter erden den Text wieder: „La Mansana“ ist Teil der Chinati Foundation in Marfa, Texas, einem von Donald Judd zum Ausstellungsgebiet umgestalteten Militärstützpunkt. Mit diesem Wissen werden viele der zuvor metaphorisch auf die Wahrnehmung und den Raum des Gedichts verweisenden Wörter auch als Beschreibungen der von Judd gestalteten Räume lesbar, die sowohl den Eindruck des Nüchternen wie des Erhabenen zu wecken vermögen. So führt der abschließende Hinweis auf Judd zurück zum deskriptiven Beginn des Textes und schließt den weiten Denk- und Sprachraum dieser Strophen.

Carsten Schwedes

Gedichte mit kritischer Neugier und Genuss zu lesen – das ist das Ziel der Reihe Neuer Wort Schatz II, die jede Woche einen zeitgenössischen Text vorstellt. Zusammengestellt wird sie von GISELA TRAHMS und DANIEL GRAF.

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Liebe Leserinnen und Leser,mit Oswald Egger geht der Neue Wort Schatz in die Pause. Wir danken herzlich allen Beiträgern – und Ihnen fürs Lesen! Stöbern Sie doch ab und zu in den Texten und freuen Sie sich mit uns auf die dritte Staffel!
Einen heiteren Sommer wünschen
Gisela Trahms und Daniel Graf

Zu Neuer Wort Schatz II (30): Robert Schindel

Zu Neuer Wort Schatz II (1): Christian Filips

Zur ersten Staffel von NWS geht‘s hier

Bei diesem Text handelt sich um einen Ausschnitt aus dem Langgedicht ,,Nichts, das ist“ (Strophe 78 – 82).
Oswald Egger: Nichts, das ist.
Suhrkamp Verlag Frankfurt 2001. 159 Seiten. 9,50 Euro.
Foto: Susanne Schleyer
| Oswald Egger liest (Video)