Geschrieben am 13. Oktober 2008 von für Litmag, Neuer Wort Schatz I

Neuer Wort Schatz (7): Carl Christian Elze

endlich

Carl Christian Elze

es ist


es ist

es ist vielleicht so: ein dritter kreisel, eine dritte kraft
still zwischen allen körperhügeln, lungenflügeln
ein dritter katarakt, das blut verwirbelter, das blut
strömt schneller hier, fällt tiefer dann, wird manches gut

die stillsten seen entstehen weitab und manches
tier sieht anders aus, als in der zeitung steht, und auch
die ufer sind mal grün, mal steil, du findest sanftes
unterm beil, du findest rotes-totes, wenn du tauchst.

es ist ja nicht gesagt, dass es so ist, es ist ja nur
gesagt. es ist ja zweifellos gesagt, es ist gewagt
endlich! es ist gesagt gewagt und endlich endlich!

jetzt aber ordnung! wer sagt denn das, wer nervt?
jetzt aber stillgestanden! wer sagt denn das, verschärft?
ist es das blut, na gut? bin ich es, ich es, endlich?

Ein schöner, lapidarer Titel: Die reine Existenz, und alle Fragen offen. Wer und was und wie es ist, bleibt verborgen. Neugierig beginnt man zu lesen, einmal, zweimal, und hat schließlich das dumpfe Gefühl, vom rein grammatischen Subjekt (Es) zu einem doch ziemlich realen Ich gelangt zu sein, aber in solchen Hüpfern, dass eigentlich nur eins gewiss ist: Es handelt sich um ein Sonett.

Die beiden Quartette verbindet offenbar nichts. Das erste Quartett kreist um etwas Drittes – gern wüssten wir Näheres über das Erste und Zweite. Unwillkürlich denkt man an Gegensatzpaare: These – Antithese, Pro und Contra, Männlich – Weiblich usw., kurz, an den traditionellen, ewiggewohnten Dualismus, der unser Denken beherrscht. Vielleicht, vermutet das Gedicht, gibt es etwas Drittes, das dieses Schema transzendiert? Und wäre das nicht eine famose kleine Revolution?

Jedenfalls versetzt diese Möglichkeit den anfangs so stillen Körper in Aufruhr, besonders das Blut. Oder sind es vielleicht zwei, sehr beschäftigt miteinander und dabei, ein Drittes zu zeugen? Das Gedicht suspendiert die üblichen Regeln der Rede (was immer etwas Befreiendes hat), die Wörter kicken sich erst einmal locker die Klänge zu: das K-Trio Kreisel, Kraft und Katarakt, das im eleganten Binnenreim verbundene ‚Körperhügel / Lungenflügel‘, den Wirbel der Verben. Viel los also, es schäumt und steigt und fällt, und obwohl immer wieder von Blut die Rede ist, wird’s am Ende gut. Das immerhin ist tröstlich.

Nach all dem Aufruhr bietet das zweite Quartett die Stille einer Wasserlandschaft ‚weitab‘ und den Blick auf eine Wirklichkeit, die dem medial vermittelten Eindruck widerspricht. Plötzlich jedoch Bilder, die zu dem ‚wird gut‘ nicht passen wollen: ‚sanftes unterm beil‘ und ‚rotes-totes‘. Bedrohliches also wartet auf den, der sich in die Tiefe wagt, Unheimliches, so jedenfalls legt es die nachbarschaft von ‚beil‘ nahe. Es könnte sich natürlich auch einfach um Korallen handeln, schön rot, schön tot und eher harmlos. Das Ganze wirkt wie ein Aquarell, fließend, reizvoll, undeutlich. Nur eins haben wir inzwischen begriffen: Nach dem Muster ‚Dies bedeutet das‘ funktioniert das Gedicht nicht.

Die darauf folgenden Terzette lösen die Realitätsreste völlig auf, alles ist nur noch Rede, Sprache, Wort, und durch die pausenlose Wiederholung von ‚gesagt‘ ergibt sich der Eindruck: Gelaber, nicht enden wollendes Gebrabbel, in dem ein Ich darum kämpft, sich überhaupt in den Konturen seiner Individualität wahrzunehmen. Anmutig schlängelt sich das ‚endlich‘ durch das Konstrukt, voller Ungeduld, dass das Ich nach der Warterei und dem nervenden Hin und Her des Sprechens erscheinen möge, aber auch mit sanfter Tücke auf seinen zweiten Sinn verweisend, auf Begrenzung und Sterblichkeit. Am Schluss ruft sich das Ich zur Ordnung, geradezu militärisch und drastisch (‚verschärft‘), um schließlich ins schwankende Boot des Fragens zurückzukehren. Letztlich bleibt alles unsicher: das Ich, das so gern zu sich selbst käme, die Lebensreise zwischen steilen Ufern, die keine Landung gestatten, die Gewalt, die dem Sanften den Garaus macht.

Trotz dieser nicht gerade erfreulichen Tatbestände geht eine gewisse Munterkeit von dem Gedicht aus, es hat Tempo, alles ist ja in Bewegung und von lähmender Melancholie ist nichts zu spüren. In schönen Rhythmen gleiten wir dahin und überstehen selbst den Katarakt ohne Schaden. Das Wort wird gewagt, wenn auch mit einschränkendem ‚vielleicht‘, die Reime sind gewitzt verteilt, nicht vorhersehbar und daher auch nicht banalisierend wie so häufig. Und in all den frei flottierenden Zweifeln und antwortlosen Erwägungen über unsere amorphe Subjektivität und das ebenso amorphe Sein vermittelt doch die strenge Sonettform so etwas wie Halt. Nur zu also, weiter auf dem sich wandelnden Weg, und bleiben wir dem wie auch immer beschaffenen Dritten zugetan!

Gisela Trahms

Zu Neuer Wort Schatz (8): Herbert Hindringer

Zu Neuer Wort Schatz (6): Ron Winkler



“es ist“ ist zu finden in:

Christoph Buchwald / Ulf Stolterfoht
Jahrbuch der Lyrik 2008
S.Fischer Verlag
Frankfurt/Main 2008

Carl Christian Elzes zuletzt erschienener Gedichtband:

Carl Christian Elze
stadt / land / stopp
Mitteldeutscher Verlag
Halle 2006