Geschrieben am 22. Mai 2013 von für Litmag, Neuer Wort Schatz III

Neuer Wort Schatz 3: Tristan Marquardt

tristan-marquardtSchleuse als Weg

Ein Gedicht von Tristan Marquardt aus

„das amortisiert sich nicht“

Vorgestellt von Martin Piekar

 

zeit für umschulung, dressur, der kurs heißt kuschelkurs und
fuhr soeben mit dem taxi in den tunnel. gibt zu, du wusstest nicht,
warum vertrauensbildende maßnahmen deinen sitz vorgewärmt
hatten. fragtest den fahrer, er bat um geständnis. also bitte: licht
ist leichter als schatten, akklimatisierung aber kennt kein gewicht.
gewiss. doch was heißt dann, sich entwöhnt zu haben? dumme
frage? gibt es nicht. wenn also wahr ist, dass nach der saison die
unzeit kommt, wo befinden wir uns jetzt? an welchem punkt einer
freundschaft erklärt man die vergangenheit zur leitidee? und wann
springt der hund auf dem fahrenden auto? warte mal. niemand
springt jetzt aus irgendeinem auto – ist das klar? alles schweigt,
nur das taxometer schweigt mit sich selbst. nichts traut nichts
über den weg, obwohl es nur einen weg gibt. und alles ist keine
gruppe. woran sich die augen längst schon gewöhnt haben. schein-
werfer, was hinter ihnen liegt, so viel ist sicher, kein licht. und du,
nur fragen im blick, kannst dirs nicht merken, nimm die brücke.
dressur. dass dieser tunnel, als dessen schüler wir uns zu fühlen
begonnen haben, beendet und als straße fortgeführt werden wird.

 

Hier wird umgeschult, wohin?

Ich habe Tristan Marquardts Gedichte auf dem G13 Blog kennengelernt. Ich las sie mir häufig durch aber blickte sie nicht so ganz. Tristan Marquardt lernte ich dann auf einer Lesung der G13 kennen und dann sind wir uns im Finale beim 20. Open Mike begegnet, bei einem dazugehörigen Workshop – und auf der Leipziger Buchmesse 2013 nochmal. Ich spreche sehr gerne mit Tristan und alle Gespräche bisher beinhalteten immer eine Art poetologischen Diskurs. Ob jener der Kern war, oder aufblitzende Randerscheinung.

Seither befasse ich mich auch anders mit Tristans Gedichten. In seinen Texten ist es häufig so, dass eine völlig alltägliche Satzstruktur für sehr poetische Formulierungen benutzt wird.

Hier: „zeit für umschulung, dressur, der kurs heißt kuschelkurs und // fuhr soeben mit dem taxi in den tunnel.“ – natürlich ist es gewöhnlich, dass etwas in einen Tunnel fährt, jemand auf Kuschelkurs ist – und Menschen werden andauernd umgeschult. Was mich aber reizt, ist genau diese Kombo in dieser Reihenfolge, die in mir die Frage aufwirft: Wer wird hier umgeschult? Wem gilt die Dressur? Wie kann ein Kuschelkurs soeben in einer Taxe in den Tunnel fahren? – Wir sind anscheinend bei Menschen in einem Taxi, Enge macht sich breit: Kuschelkurs. Wer fährt hier wohin? – „gibt zu, du wusstest nicht, //warum vertrauensbildende maßnahmen deinen sitz vorgewärmt // hatten.“ Dieser Imperativ zu vertrauensbildenden Maßnahmen ist auch phonetisch ein schönes Stück – doch hier wurde etwas für jemanden vorgewärmt, also haben wir (definitiv) eine zwischenmenschliche Beziehung und eine Person dabei ist im Unwissen über Vorgänge, die auch sie betreffen.

Ich glaube, die zentrale Stelle des Gedichtes, bei der mir mehrere Leuchten aufgingen, war: „an welchem punkt einer // freundschaft erklärt man die vergangenheit zur leitidee?“ – Dieses Wort Freundschaft in ein Gedicht zu packen, birgt natürlich Gefahren und ich bewundere es, über dieses Thema derart schreiben zu können; oft läuft man ja Gefahr damit! Ist die Vergangenheit einer Freundschaft ihre Leitidee? Kann sie das sein? Kann die Vergangenheit der Freunde jeweils Leitidee sein? Oder ist hier eine abstraktere Vergangenheit gemeint?

Jedenfalls scheint mir da die Szenerie so einleuchtend klar geworden zu sein: Freunde, Taxifahrt, bei Nacht: „also bitte: licht // ist leichter als schatten“. Da aber Akklimatisierung kein Gewicht kennt, ist die Frage, wieso die Freunde sich im Taxi erstmal akklimatisieren müssen: Da ist was vorgefallen, da liegt was im Buch, naja – im Taxi eben. Die Ausweglosigkeit oder wenigstens das Paradox der Situation scheint mir mit folgenden Versen gut beschrieben: „alles schweigt, // nur das taxometer schweigt mit sich selbst. nichts traut nichts // über den weg, obwohl es nur einen weg gibt.“ Das Schweigen, nein – das Schweigen miteinander, das Gespräch wird als schweige-Polylog geführt – Taxifahrer und Freunde (unbestimmter Anzahl). Nur das Taxometer schweigt für sich in seinem Takt, in dem es die Entfernung bepreist. Nichts traut hier nichts über den Weg, generelles Misstrauen, Zwiespalte. Eine Unsicherheit in der Freundschaft steckt.

„und alles ist keine // gruppe. woran sich die augen längst schon gewöhnt haben. schein- // werfer, was hinter ihnen liegt, so viel ist sicher, kein licht.“ – diese Konstruktion gefällt mir sehr, die gewöhnten Augen und der Schein – Werfer – Der Punkt trennt sie, aber der Inhalt und das Sprichwort-Gedächtnis stellen bei mir unweigerlich einen Zusammenhang her, der sich auch noch weiter spinnt: hinter den Scheinwerfern ist kein Licht – nein! – da ist das Taxi, da sind die Insassen, da ist kein Licht, da sitzt man im Schweigeschatten. Über diese Konstruktionen wird automatisch ein Spott auf die Geschehnisse im Wagen gelenkt. Was geschieht da eigentlich, wo geht diese Freundschaft hin, samt Taxi?

Zum Schluss gibt es für das lyrische Ich nur zu sagen: „dass dieser tunnel, als dessen schüler wir uns zu fühlen // begonnen haben, beendet und als straße fortgeführt werden wird.“ – man wird ein Schüler des Tunnels, ein Mittel zur Überbringung – Tunnel und Brücken sind verwandt, wie wir in Tristans Gedichtband „das amortisiert sich nicht“ an anderer Stelle erfahren – Schüler des Tunnels sein heißt Sachen durch sich schleusen können. Wenn der Tunnel zur Straße wird, wird die Schleuse zum Weg. Was bedeutet es für die Freundschaft, wenn die Schleuse zum Weg wird?

Martin Piekar

In Fortsetzung der Neuer Wort Schatz Reihe von Gisela Trahms lesen Sie hier von nun an Neuer Wort Schatz 3, jede Woche eine Gedichtrezeption. Die Beiträge werden zusammengestellt von Carolin Callies und Yevgeniy Breyger.

Zur ersten Staffel von NWS geht‘s hier, zur zweiten Staffel hier, die aktuellen Texte finden Sie hier. Foto Marquardt: Katja Zimmermann..

Das Gedicht ist erschienen in: Tristan Marquardt: das amortisiert sich nicht. Mit Illustrationen von Andreas Töpfer. Kookbooks 2013. 76 Seiten. 19,90 Euro.

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