Geschrieben am 27. März 2013 von für Litmag, Neuer Wort Schatz III

Neuer Wort Schatz 3: Ron Winkler

OLYMPUS DIGITAL CAMERAViel Raum in wenig

Ron Winkler

und später dann paraboläpfel am atem

Vorgestellt von Tristan Marquardt

 

und später dann paraboläpfel am atem

für Emily Dickinson

unten der Garten. der spezialisierte
Wald. oben das endlose π der Sonne.

und Schönheit als eher Unscheinbarkeit.
also Wolken. insofern Wolken.

dazwischen das infernalische Obst. das
infernalische Obst.

waren dort nicht auch Grizzlyhasen?
nicht auch dort? am Zaun?

und dschungelartige Würfel
wie zu Boden geschrieene Vögel?

jemand drückte in diese sehr, sehr
verreiste Stimmung hinein die Räuspertaste

seiner Heckler & Koch. das war nicht ich,
das gehörte einer anderen Intensitätsgruppe

an.

 

Was mich an diesem Gedicht am meisten beeindruckt, ist seine Nachhaltigkeit. Es begegnete mir zum erstem Mal vor gut zwei Jahren auf der Homepage der „randnummer“, für die Ron Winkler eine lasziv-selbstironische Audio-Aufnahme bereitgestellt hatte. Ich war mir damals nicht sicher, was mich eigentlich am meisten schmunzeln ließ: Die Art und Weise seines Vorlesens, der Text selbst oder die Tatsache, dass mein Schmuzeln sein Pendant in der ebenso schmunzelnden Haltung des Gedichts grüßte und ich mich direkt im Bund mit ihm fühlte.

Seitdem begleitet mich der Text beständig und es vergehen kaum mal zwei Monate, in denen ich nicht irgendwo auf ihn zu sprechen komme – so erst vor einigen Tagen wieder im Interview für eine Rezension der G13-Anthologie. Dort musste ich dann schmunzelnd feststellen, dass ich ihn mittlerweile so gut wie auswendig kann, und vielleicht ist hier mal ein guter Anlass zu fragen, warum er eigentlich so eingängig ist.

Eine der ersten Aussagen, die mir über die Kritik von Lyrik in Erinnerung geblieben ist, stammt von Uwe Kolbe. „Ein Gedicht muss mit einer Verortung beginnen“, lautet sie und Kolbe meinte das sehr pragmatisch: Nur in seltenen Fällen hat man als Leser_in von vornherein beschlossen, ein Gedicht in Gänze zu lesen, in der Regel muss es erstmal Überzeugungsarbeit leisten. Man müsse zu Beginn des Lesens wissen, wo(ran) man sei bzw. warum es sich lohne, weiter zu lesen. Man brauche einen Boden, um auf ihm gehen oder von ihm abheben zu können. Habe man aber über mehrere Verse keinen Anhaltspunkt, beende man die Lektüre wieder.

Das klingt natürlich erst einmal stark nach Journalistenfortbildung, aber mir fiel mit der Zeit auf, dass sich selbst so verortungsunkonforme Dichter wie Oswald Egger implizit daran zu halten schienen. „Jede Nacht, wenn ich Einschlaf suche“ beginnen ja etwa die „Herde der Rede“ und dementsprechend heißt es vielleicht nicht zufällig auch am Anfang von „Areale Areale“: „Zur Schaustelle, angelaufen […].“

Noch programmatischer ist die Lage hier bei Ron Winkler. So ungegenständlich der Titel noch bleibt, so klar gestaltet sich der Verortungsgestus in den ersten Versen. „unten […] oben […] dazwischen“ – diese simple Struktur schafft eine so stabile Statik meines Vorstellungsraumes, dass dessen Ausstaffierung umso mehr Freiheiten gewinnen kann.

Zunächst sind es kleine Verschiebungen, die das Bild prägen. Unten, am Boden der Tatsachen, ist der Garten, der wahrscheinlich tatsächlich ein „spezialisierter Wald“ ist, den ich aber noch nie so betrachtet habe (also wieder mal ein gutes Fundstück aus der Trickkiste „stelle die Realität so anders dar, wie sie ist“). Nach oben hin hebt es dann schon mehr ab, indem sich dort gerade nicht die Sonne, sondern ihr „endloses  π“ befindet und der Raum mit der Höhe auch an Abstraktion gewinnt. Die Beschreibung wird eine symbolische. Folglich stehen die Wolken für „Schönheit als eher Unscheinbarkeit“ und das Obst dazwischen insistiert gerade deshalb doppelt darauf „infernalisch“ zu sein, weil ich es nun eben mit einem symbolischen Garten zu tun habe: einem Garten, der sein Eden im Gepäck hat.

Jetzt hat das Gedicht den Boden gebaut, auf dem ich gehen kann, einen Raum, dem das Prinzip der Andersartigkeit innewohnt und der diese Karte nun voll ausspielt. „Grizzly-Hasen“, „dschungelartige Würfel“, „zu Boden geschrieene Vögel“ – ist das nicht alles auch darin denkbar? Gewiss, ich mache mit. Und kaum habe ich mich in diesem Fragemodus über meine Bereitschaft zu phantasieren eingefunden, geschieht das Großartige: Der Text karikiert sie direkt. Dass er sich soweit von seiner scheinbar klaren Verortung gelöst hat, wird als „sehr, sehr verreiste Stimmung“ beschrieben, in die jetzt interveniert wird. Und wie.

Zunächst ist da plötzlich „jemand“ in diesem bis anhin menschenleeren Raum und dann vollziehen sich eine hochdramatische und eine zutiefst banale Bewegung zugleich: Es wird geschossen und es wird sich geräuspert, denn dieser Jemand drückt die „Räuspertaste seiner Heckler & Koch“. Damit bedeutet das wahrscheinlich abgefahrenste Bild von allen gleichzeitig das jähe Ende des wilden Einbildens. Ein performativer Selbstwiderspruch, der sich völlig zu recht mit Pauken und Trompeten feiert.

Die finale Pointe liegt darin, dass in der Aussage „das war nicht ich“ etwas abgestritten wird, was überhaupt nie zur Diskussion stand. Mit dem großartigen Vergleich, das alles habe eine „andere Intensitätsgruppe“ zu verantworten, verabschiedet sich der Erzähler so schnell, wie er aufgetaucht war. Und damit endet ein Gedicht, das mich wahrscheinlich deshalb so hartnäckig begleitet, weil ich selten so viel Effekt auf so engem Raum gelesen habe. Oder so viel Raum in so wenig.

Tristan Marquardt

In Fortsetzung der Neuer Wort Schatz Reihe von Gisela Trahms lesen Sie hier von nun an Neuer Wort Schatz III, jede Woche eine Gedichtrezeption. Die Beiträge werden zusammengestellt von Carolin Callies und Yevgeniy Breyger.

Zur ersten Staffel von NWS geht‘s hier, zur zweiten Staffel hier.

Dass Gedicht ist erschienen in: Ron Winkler: Frenetische Stille. Berlin Verlag 2010. 96 Seiten. 18,00 Euro. Foto Winkler: Privat.

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