Geschrieben am 8. Dezember 2008 von für Litmag, Neuer Wort Schatz I

Neuer Wort Schatz (15): Mara Genschel

frikar

Mara Genschel

FLEISCH einfach


FLEISCH einfach

Sechshundert Gramm Gehacktes aus
halb Rind, halb Schwein: aus Fleisch;
geweichtes Semmelbrötchen pantsch
hellrotem Schlamm ins Herz, zieh
zweier Zwiebeln Haut ans Messer –
mittelgroß – in Würfeltränen weine,
schneid sie fein. Ein Ei
       (ach heilig rundes Braun, so zart
       bestempelt, glänzend rau; das
       Scheue, in perfekter Schale
       schlafend, Kleine
)

krach, zerklatsch in hellen Schleim
zum Brei, zur Innerei der Schüssel; dann,
mein Edelsüßer, würze Salz!
Ganze Masse nasser Hände, fass
Und form und friss frikar
Nach Bratzeit sechshundert Sekunden.

Was ist denn das? Ein Gedicht? Ein Rezept? Soll einem der Appetit vergehen?
FLEISCH lautet das erste Titelwort, EKEL ist wohl die spontane Reaktion. „pantsch“, „Schlamm“, „zerklatsch“, „Schleim“, „Innerei“ – man sieht und hört und fühlt es ja, wie unter den Händen die Pampe entsteht und ist froh, dass man es nur liest. Und dabei, ehrlich gesagt und Vegetarier und Küchenpäpste mal beiseite, geht doch in gewissen Lebenslagen und bei gutem Hunger nichts über Frikas oder Knacker: ‚Fleisch einfach‘ eben.

Das Gedicht stellt einen vertrauten und unspektakulären Vorgang dar, auf spektakuläre Weise, zugegeben, aber doch ohne die Schockbilder, mit denen Dokumentarfilme über die Nahrungsindustrie aufwarten. Die Hausfrau und der Hackbraten: das war in Deutschland immer eine gute Ehe. Heute, da die Igitt – Abwehr blüht, steuert sie auf die Scheidung zu, und es sieht so aus, als wolle der Text diesem Trend Vorschub leisten. Beim zweiten Lesen sind wir da nicht mehr so sicher.

Wer isst, zerstört und tötet. Diese Tatsache illustrieren vier kurze, kursiv gedruckte Zeilen über das Ei. Das rohe Ei gilt uns ja auch im alltäglichen Sprachgebrauch als Symbol des Empfindlichen und Zerbrechlichen, das dennoch, ließen wir es nur in Ruhe, dem heranwachsenden Küken eine vollkommene Heimat böte. Aber wir „zerklatschen“ es. Das Zarte, „Scheue“, „Kleine“ hat keine Chance. Auf etwas plakative, dramatische und berührende Weise wird noch einmal verdeutlicht, was ja auch schon dem Rind und dem Schwein geschah, die, um Gehacktes zu werden, durch den Wolf gedreht wurden.

Wissen wir alles, ist betrüblich, aber nicht neu und man muss schließlich essen, wenden wir ein.

Aber hier geht es ja gar nicht um Anklage und Rechtfertigung unserer Essgewohnheiten. Das Spannende und Reizvolle an diesem Gedicht ist, wie die grausame Mantscherei durch artistisches Sprachtänzeln konterkariert wird. Das ist nicht ‚Fleisch einfach‘, sondern Filetstück. Alle überflüssigen Sehnen und Fettansätze sind gekappt, an Satzbau gibt es nur das Allernotwendigste. Das eigentliche Gerüst des Textes bilden die Imperative der Kochanleitung („zieh“, „weine“, „schneid“ usw.). Sie sorgen für einen dezidierten, aber auch beschwingten, dynamischen Ton. Um sie herum tummeln sich Alliterationen und Assonanzen, oft dominiert ein Laut („schneid sie fein. Ein Ei“) oder eine Lautkombination („Ganze Masse nasser Hände, fass“) den ganzen Vers.

Dazu kommen Bilder, die durch die Konzentration mehrerer Tatbestände zu einem einzigen entstehen, z.B. das wunderbare „in Würfeltränen weine“ oder „mein Edelsüßer, würze Salz!“ Da ersteht sozusagen ein Herzensschatz aus dem Paprika. Das Gedicht nutzt nur soviel Grammatik, wie es braucht, um verständlich zu bleiben, lässt dafür aber kalkulierte Klangreize und Assoziationen frei. Unterschwellig sorgt auch der unregelmäßige, immer passgenaue Rhythmus dafür, dass der Text Fahrt aufnimmt, besonders im letzten Teil, dessen Höhepunkt „friss frikar“ ist. Auf diese leicht boshaft wirkende Aufforderung steuert er zu, wobei „frikar“ als eine Art Adjektiv auftritt, dessen Bedeutung jeder selbst ersinnen darf. Danach klingt das Gedicht in der Rezeptsprache aus, in der es begann („Sechshundert Gramm“ / „sechshundert Sekunden“).

Virtuos spielt die Autorin mit unseren Gefühlen und Reaktionsweisen: Ekel, Mitleid, Zärtlichkeit, ironische Distanzierung, erleichtertes Lächeln… Und das meiste davon gleichzeitig, und was jeweils dominiert, bleibt dem Leser überlassen. Man wird nicht gezwungen, sich schaudernd abzuwenden oder der Frikadelle auf Lebenszeit abzuschwören. Man kann sich auch erheitern an dem Gemantsche und Gepantsche und sich der Sandkastenjahre erinnern, da man nichts lieber tat als in der Matsche zu rühren. Auf jeden Fall aber muss man die Sprachmusik bewundern, die den Text zum Vergnügen macht, für Fleischesser und –verächter gleichermaßen.

Gisela Trahms

Zu Neuer Wort Schatz (16): Konstantin Ames

Zu Neuer Wort Schatz (14): Katrin Marie Merten


Das Gedicht ist zu finden in:

Björn Kuhligk / Jan Wagner (Hrsg.)
Lyrik von Jetzt zwei
Berlin Verlag
Berlin 2008

Zur Rezension von Lyrik von Jetzt zwei.

Außerdem in:

Mara Genschel
Tonbrand Schlaf
Connewitzer Verlagsbuchhandlung
Leipzig 2008

Zwei Höstücke von Mara Genschel mit einer Würdigung von Christian Schloyer finden Sie hier.