Geschrieben am 17. November 2010 von für Comic, Litmag

Neue Superhelden braucht die Welt (I)

Neue Superhelden braucht die Welt (I)

Dieser zweiteilige Beitrag erwähnt: „Kick-Ass“, die Britische Helden-Alchemie, afrikanische Kindersoldaten, Superhelden als Variationsgenre, 9-11 im Comic, Thomas von Steinaecker, Bier als Abenteuer, eine Heldin für die eigene Mutter, Gebäudewäscher in Hannover und die Frage, wo Superhelden sich im deutschen Comic-Sprachraum eigentlich versteckt halten. Hier Teil eins; von Brigitte Helbling.

Natürlich steckt dahinter wieder mal ein Brite.

Autor vonKick-Ass ist der Schotte Mark Millar, der für eine neue Generation von Superhelden-Lesern eine Geschichte baute, die der Marvel-Verlag so bewirbt: „Dieser Comic fängt da an, wo andere Superhelden die Grenze ziehen“. Im Kern ist damit gefasst, was britische Autoren spätestens seit Alan Moores „Watchmen Mitte der 1980er zum Genre beitragen: eine radikale und gewaltbereite Alchemie, die aus dem alten Plastik der Comic-Übermenschen aus USA lebensnahe (oder -nähere) Geschöpfe aus Fleisch und Blut schafft. Die gebrochenen, ambivalenten Helden der Briten zweifeln und verzweifeln nunmehr seit bald 30 Jahren, haben niedrige oder banale Beweggründe, wollen Gutes tun und stürzen dabei nicht selten die Welt geradewegs in den Untergang.

Falsche Freunde: John Romita Jr., "Kick-Ass"

Was diese britische Erzählkunst anzutreiben scheint, ist eine Mischung aus Zynismus, intellektuellem Selbstbewusstsein und einer hilflosen Liebe zum Genre. Wir, die Nachfolger von Dickens, Shakespeare und Beckett, zeigen euch jetzt mal, wie Erzählen gehen kann, scheinen ihre besten Geschichten im Subtext immer zu sagen. „Arkham Asylum und „The Killing Joke. „Enigma“, „Lobo und „Preacher“. Und jetzt eben – „KickAss.

Der Deal funktioniert: auf beiden Seiten

Und wie lautet die Antwort der Amerikaner? Kommt her, ihr beladenen und geschundenen Massen, kommt ihr Schreiberlinge aus der müden alten Welt! ihr könnt vielleicht erzählen – aber wir, wir wissen, wie wir eure Erzählung verkaufen können!

Der Deal funktioniert, auf beiden Seiten. Für die Grundfiguren-Konstellation von „Kick-Ass bedient sich Millar schamlos bei Marvel-eigenen Titeln wie „Spiderman, gibt seinen Teenage-Superhelden dann jedoch keine Superkräfte, sondern lediglich Technologie und hormonelle Blödheit mit auf den Weg. Zumindest gilt das für die beiden Jungs, die Freunde werden, tatsächlich aber auf Gegenseiten stehen. Die dritte Maskenträgerin im Bund ist Mindy, süße elf Jahre alt. Mindy – „Hit-Girl“ – ist als Killerin den Kollegen „Kick-Ass“ und „Red Mist“ weit überlegen. Die Kleine ist eine Mordmaschine, und das ist nachvollziehbar – schließlich hat sie von ihrem Papa, ein Ex-Cop auf Rachefeldzug, seit seine Frau von der Mafia umgelegt wurde, auch nichts anderes gelernt. Und dann ist da noch MySpace und Youtube, die den Ruhm der Jungs exponentiell befördern und gleichzeitig messbar machen.

Sic transit, etc. Als Kick-Ass geschrieben wurde, war Facebook noch nicht Marktführer im Bereich social networking, ganz zu schweigen von Twitter. Mit dem Bezug auf MySpace situiert sich der Comic amüsanterweise eindeutig in der Steinzeit von 2008.

Der Comic ist besser (als der Film)

Anders als „Watchmen“ ist „Kick-Ass keine Subversion, sondern allenfalls ein überdrehtes Derivat der Superhelden-Systematik; für den Film gilt dies noch mehr als für den Comic. Der Comic wiederum wäre nichts ohne die genialen Bildwelten von John Romita Jr., die szenisch virtuos die dunkle Story transportieren und dabei ein Tempo an den Tag legen, der auch in diesem temporeichen Genre selten zu sehen ist. Eine halbe Seite, eine winzige Handvoll starker Bilder braucht dieser Zeichner, um das ganze Elend des unerwarteten Todes von „Kick-Ass“’ Mutter durch Hirnblutung darzustellen, samt Motivation für die hirnverbrannten Superhelden-Spielereien, zu denen der Teenager in seinem Unglück findet. Der Film, das sei ihm zugestanden, versucht Romitas Rhythmen zu folgen; ganz gelingt ihm das nicht. Der Gier der Kino-Industrie nach Superhelden-Stories ist nebenbei zu verdanken, dass der Film mit dem englischsprachigen, und noch vor dem deutschsprachigen Sammelband in die Kinos kam.

Drogen vor dem Kampfeinsatz: John Romita Jr., "Kick-Ass"

Der Comic ist besser. Das gilt nicht für jede Superhelden-Verfilmung, in diesem Fall trifft es zu. Der Comic ist besser, weil er die überdrehten Gewaltorgien (hier machen ein paar Kids ganze Mafia-Banden platt) mit einer vielleicht verlogenen, aber immerhin vorhandenen Idee von Moral ausgleicht. Nehmen wir Mindy, das Killermädchen. Ihr „Big Daddy“, wird sich im Comic (und nur im Comic) schließlich herausstellen, ist gar kein Ex-Cop, sondern ein schlichter Buchhalter, der aus Rache an seiner Frau, die ihn nicht liebt, mit der Tochter verschwand und aus der Kleinen eine Mordmaschine schuf. Die Figur Mindy ist verstörend, weil mit ihr die perverse Logik afrikanischer Kindersoldaten in die westlichen Stadtlandschaften einbricht; hier wird Missbrauch betrieben, und der Comic geht am Ende zumindest ansatzweise darauf ein. Mit der Wiedervereinigung von Mindy mit ihrer Mutter erhält Mindy sogar eine Art Happy End. Für „Kick-Ass“ gilt das im Comic nicht. Anders als im Film will die Highschool-Schönheit, der er sich mit der Behauptung, schwul zu sein, angenähert hat, am Ende nichts mehr mit ihm zu tun haben. Bleibt das Trauma, bleibt die Einsamkeit. Die Jugend hat es nicht leicht.

Wozu Superhelden taugen – oder auch nicht

Superhelden sind ein Variationsgenre. Genau wie im Krimi geht es nicht um den Held und seinen Gegner, und nicht einmal um die obligaten Gewaltszenarien, mit denen Zeichner zeigen, was sie können. Diese Punkte sind lediglich die Grundpfeiler eines Systems, das sich beliebig wandelbar zeigt. In den 1980ern und 90ern bestand die Leistung der britischen Autoren (und einiger Amerikaner) darin, das Genre aus der Jugend-Ecke in die Welt der Erwachsenen hinein zu katapultieren; mit ihren gebrochenen Helden und komplexen Schurken gewannen Superhelden so viele Leser im stimmfähigen Alter wie in keiner Zeit zuvor.

Heute wird vom Genre nicht nur erwartet, sondern gerne auch gefordert, dass es sich der Probleme der Zeit annehmen möge; die Grenzen sind allerdings gegeben. Die Terrorangriffe von 9-11 zum Beispiel erfuhr die gesamte US-Comicindustrie (deren Hauptsitze oft in New York liegen) auch als Herausforderung, sich dieses nationalen Traumas anzunehmen; die vertrauten Posen der Superhelden nahmen in den Sonderheften dann Feuerwehrleute und Polizisten ein. Was hätten die fiktiven Helden auch ausrichten können? Mehr als ein Beitrag in den Sammelbänden, die bereits Anfang 2002 (als Benefiz-Aktion für das Rote Kreuz oder die Hinterbliebenen der Rettungsleute) auf den Markt kamen, wies darauf hin, dass die Helden dieser Zeit eben nicht die Maskenträger waren.

Alex Ross, "Superman and the heroes of September 11, 2001"

Vier Milliarden für Marvel

An der Beliebtheit von Superhelden ändert das nichts, im Gegenteil. Je größer das Gefühl einer Krise wird, desto mehr Übermenschen drängen vor allem im Kino auf den Markt. Disney hat sich im September 2009 für vier Milliarden Dollar den Superhelden-Verlag Marvel einverleibt, zuviel, meinen Wirtschaftsfachleute, zumal die einträglichen Merchandising-Rechte in vielen Fällen bereits fest gebunden sind. Ob aus diesem Deal eine neue Welle interessanter Helden auf uns zu kommt, bleibt dahingestellt, vermutlich eher nicht (Vorreiter dafür war ohnehin der Konkurrenz-Verlag DC, Heimat von Superman und Batman). Man kann den Wunsch des Lesers nach Übermenschen belächeln, oder aber darin eine anthropologische Konstante sehen: seit jeher erzählen Sagen und Legenden, höfische Romane und die Mythen aller Völker von Heilsfiguren, die Recht aus Unrecht machen und dem Leiden mit Taten begegnen.

Momentan gibt es für diese Geschichten kein besseres – und vor allem schnelleres – Medium als der Comic. Und die Briten haben es vorgemacht: das genuin amerikanische Genre der Superhelden lässt sich mit den Mitteln eines etwas anderen Erzählbewusstseins wirkungsvoll auf den Kopf stellen. Heute sind natürlich die meisten innovativen Briten in den US-Superhelden-Frondienst eingebunden; mit den bekannten Helden erzählen sie amerikanische Geschichten. Neue Superhelden braucht die Welt! Und warum sollten sie nicht aus dem deutschsprachigen Comic-Raum kommen?

Brigitte Helbling

Watchmen by Alan Moore and Dave Gibbons (Weltuntergang)

Den zweiten Teil von Brigitte Helblings Superheldensuche lesen Sie am nächsten Mittwoch.

Mark Millar und John Romita Jr.: Kick-Ass Gesamtausgabe (Kick-Ass, 2010). Comic. Deutsch von Bernd Kronsbein. Nettetal. Panini, 2010. 212 Seiten, 29,95 Euro

Zur Leseprobe von „Kick-Ass“.