Geschrieben am 24. November 2010 von für Comic, Litmag

Neue Superhelden braucht die Welt II

Neue Superhelden braucht die Welt (II):

Dieser zweiteilige Beitrag erwähnt: „Kick-Ass“, die Britische Helden-Alchemie, afrikanische Kindersoldaten, Superhelden als Variationsgenre, 9-11 im Comic, Thomas von Steinaecker, Bier als Abenteuer, eine Heldin für die eigene Mutter, Gebäudewäscher in Hannover und die Frage, wo Superhelden sich im deutschen Comic-Sprachraum eigentlich versteckt halten. Hier Teil zwei; von Brigitte Helbling. Zum 1.Teil des Beitrags.

Erst neulich wurde Deutschland von Welt-Autor Thomas von Steinaecker als „Comic-Entwicklungsland“ beschrieben (er verwies im weiteren erst mal auf Wilhelm Busch); ganz stimmt das so nicht mehr. In Deutschland, Österreich und der Schweiz gibt es eine Avantgarde der Comic-Künstler, die inzwischen international (und leider vor allem international) von sich reden macht. Was das Interesse der Leser betrifft, gibt es tatsächlich noch einiges zu tun. Der Markt bedient sie in Überfülle mit Lizenzausgaben vor allem amerikanischer, asiatischer und franko-belgischer Comics, gerade in Deutschland ist dagegen eine unabhängige Förderung einheimischer Comic-Kultur praktisch inexistent. Die weiterhin vorherrschende Personalunion von Autor und Zeichner im Künstler führt dazu, dass es Monate oder Jahre dauern kann, bis ein anspruchsvolleres Werk fertig gestellt wird.

Man muss sich was trauen

Diese Werke befassen sich dann eher mit Alltagserzählungen oder mit Gestalten aus dem Musik- und Historienbereich – oder aber sie gehen den entgegen gesetzten, bewusst experimentellen und medial grenzsprengenden Weg. Das narrative Selbstbewusstsein, das es braucht, um dem Alltag radikale Fiktionen – und darum handelt es sich bei den besten Superhelden-Stories – entgegenzusetzen, fehlt der bedrängten deutschsprachigen Comic-Szene (der die aktuelle deutschsprachige Literatur in dieser Hinsicht auch nichts vorzumachen hat). Aber es gibt sie, die lokalen Comic-Superhelden, wenngleich man sie gut suchen muss.

Einen gültigen Einstand der Superhelden im europäischen (in diesem Fall zürcherischen) Alltag gab bereits 1987 der Schweizer Künstler Thomas Ott, der mit seinem wöchentlichen Strip „Phantom“ einen absolut zeitgemäßen Helden bot, welcher als überzeugter Slacker zwar nicht viel mehr an Heldentaten zu bieten hatte, als alten Damen (die das nicht wollten) über die Straße zu helfen, und seine Abenteuer vorwiegend mit Bier, Kumpels und interessanten Chemikalien erlebte. Als verdrehte Identifikationsfigur für eine Generation, die in den letzten Nachwehen der Unruhen Anfang der 1980er war, reichte das aber allemal, und die Serie endete denn auch mit einem Knall, als Ott zu Ostern einen Osterhasen ans Kreuz nagelte und die Gratiszeitung, in der der Strip erschien, von empörten Leserzuschriften überschüttet wurde – Jahre vor Kippenbergers Kermit am Kreuz nebenbei, und in einer Art Vorwegnahme der Entrüstung, die der Sesamstraßen-Frosch später in den USA erleben sollte.

Geflügelte Radieschen und getupfte Kopftücher

Aktuell hat sich der vielseitige Wiener Nicolas Mahler der Superhelden angenommen und mit „Engelmann eine „grafische Novelle“ vorgelegt, die an Intelligenz, Parodierlust und hilfloser Liebe zum Genre den frühen Ansätzen der Briten in nichts nachsteht. Der Held Engelmann ist eine Erfindung der Funktionäre des „Marktes“, die in diesem Comic breiten Raum einnehmen; seine Superkräfte – Empfindsamkeit, Ambivalenz und Gut-Zuhören-Können – zeichnen ihn als Musterbeispiel des Metro Mannes aus, und das geflügelte Radieschen, das Engelmann am Ende ist, durchlebt in diesem Comicroman die ganzen Höhen und Tiefen einer auf Publikumszuwendung ausgerichteten Heldenexistenz. Das Hübsche daran: Dieser Held ist eindeutig Mitteleuropäer, das zeigen die Nachtbus-Haltestellen, an denen er mit seinem Freund „Captain Analpho“ auf Fahrgelegenheit wartet, das zeigen die bürokratischen Verstrickungen, denen sich auch ein Wiener Superheld nicht entziehen kann. Nicht zuletzt kann man den Comic auch als eine kleine, feine Einführung in das gesamte Genre samt Marktverwertung lesen; er enthält alles, was man über Superhelden immer schon mal wissen wollte, aber nicht auf die Idee kam zu erfragen.

Naturgemäß sind Heldinnen auch im deutschen Sprachraum dünner gesät, eine Ausnahme ist dann Anke Feuchtenbergers „Superträne“, die im getupften Kopftuch über düstere Hochhaussiedlungen fliegt; „Stories“ funktionieren bei dieser beeindruckenden Künstlerin allerdings anders. „Wehwehwehsuperträne.de“ ist mehr Bildersammlung als Narration, comic-mäßig ließe sich auch sagen: lauter Splashpages ohne kleinteilig erzählte Fortsetzung – die kann sich der Leser dann im Kopf zusammenreimen. Die durchgehende Figur, in funktionaler Unterwäsche über schwarzem Ganzkörperbody, wird hier als nur punktuell einzuholendes Rätsel präsentiert. „Superträne“ heißt es im Impressum, sei Feuchtenbergers Mutter gewidmet. Das macht Sinn: Wem ist die eigene Mutter am Ende nicht ein Rätsel?

Was ist eigentlich wirklich los mit Swift, Herr Probst?

Der deutsche Superheld, dessen weitere Ausarbeitung mich gegenwärtig am meisten interessieren würde, ist Stephan Probsts „Swift“, ein unzerstörbarer „Gebäudewäscher“. Die Abenteuer seiner kleinen Kumpelbande (zu der noch „Captain Black Box“ und „Stretch“ gehören) gibt es vorläufig nur im Internet zu lesen. Als Comic-Zeichner hat Probst in diesem Jahr mit „Comic-Killer beim Dresdner Verlag Beatcomix sein erstes Album vorgelegt, zeichnerisch und erzählerisch ein grandios verpunktes Meisterstück, das sich an Jhohen Vazquez’ „Johnny the Homicidal Maniac zu orientieren scheint – ein Comic des US-Verlags Slave Labor Graphics, der mit Sicherheit nie übersetzt werden wird, weil er jeden deutschen Verleger in seiner Verquickung von Sprachornamenten, Tintenexzessen und absurder Psychopathenthematik schlichtweg überfordern muss. Sinnvoll erscheint es da, diese Form des Comic-Exzesses als Inspiration für eigene Werke zu nehmen – im Fall von Probst mit einem Humor, der wohltuend unbekümmert ist. In „Comic-Killer“ steigt etwa ein Ministerpräsident auf die Barrikaden, weil ein Unbekannter dabei ist, sämtliche lebenden Comic-Künstler umzulegen. O-Ton des Politikers: „Alle Comic-Zeichner sind tot. Gibt es jetzt keine Comics mehr? Das wäre eine kulturelle Katastrophe allergrößten Ausmaßes!“

Swift ist in seiner Internet-Heimat, der Comicplattform Mycomics.de, zugegebenermaßen eher eine Behauptung als ein ausgereiftes Werk; schwierig zu lesen zudem, denn einmal sprengen die wilden Bilder die kleine Box, in die sie reinpassen sollen, und zum andern führen technische Unwägbarkeiten dazu, dass Teile der drei bisher existierenden Folgen gar nicht zu lesen sind. Probst selbst schreibt im Zusammenhang seiner Superhelden- Story von „Quatsch aus meiner Comic-Kiste“. Was von dem Quatsch zu lesen ist, macht Lust auf mehr.

Wir Experten haben das im Griff

Die Gebäudewäscher-Bande greift hier einem fetten Polizeipräsidenten in seinem Kampf gegen Skins unter die Arme, weniger aus Idealismus als aus materiellen Überlegungen: „Wir brauchen das Geld“. Als dann ein Gebäude brennt, will der schmucke „Captain Black Box“ dann doch helfen, wird aber von der Feuerwehr zurückgewiesen: „Wir Experten haben das im Griff. Hauen Sie ab, Mann!“ Der Cliffhanger – ein Panthergeschöpf, das verheißungsvoll auf brennenden Balken sitzt – hängt auf MyComics nun schon seit April. Es gibt Geschichten, die vor allem im Fragment ihre Wirkung entfalten. Vielleicht gehört der schräge Swift dazu. Sowohl in seinen überdimensionalen Bildvorgaben, als auch in der verstiegenen Ankündigung („I´m your SWIFT. I´m your FIRE. I´m your DESIRE…“) zeigen diese Genre-Proben jedoch ein Anspruch und Selbstbewusstsein, das ganz so nirgends sonst im deutschen Sprachraum zu finden ist.

Der US-Markt wird Probst vermutlich nicht irgendwann bald die Bude einrennen. Für den hiesigen Superhelden-Freund wäre es zweifellos aber ein Gewinn, wenn diese Story demnächst in voller, schöne Printgröße erschiene – und sei es nur, um zu überprüfen, was das Variationsgenre der Superhelden in seiner lokalen (hannoveraner) Ausprägung an Alltagsspiegelungen und Heldenspäßen nun tatsächlich zu bieten hat.

Brigitte Helbling

Thomas Ott: Phantom, Sammelband. Comic. Zürich. Edition Moderne, 1994. 48 Seiten. vergriffen. Zur Website des Künstlers.

Nicolas Mahler: Engelmann, „Der gefallene Engel“. Comic. Hamburg. Carlsen Verlag, 2010. 96 Seiten. 14,90 Euro. Zur Website des Künstlers.

Anke Feuchtenberger: Wehwehwehsuperträne.de. Zeichnungen. Quilow. MamiVerlag, 2008. 48 Seiten. 20 Euro. Zur Website der Künstlerin.

Stephan Probst: Comic-Killer. Comic. Dresden. Beatcomix im Holzhof Verlag, 2010. 44 Seiten. 12 Euro.

Swift auf: Mycomics.de.