Geschrieben am 16. Oktober 2008 von für Litmag, Lyrik

Nazim Hikmet: Die Namen der Sehnsucht

Ich kam und ich gehe wieder

Dank dieser Edition von Gisela Kraft kann man wieder Gedichte von Nazim Hikmet lesen, den ganzen Hikmet – und nicht nur den politisch zurechtgestutzten (und zensierten?) Kommunisten Hikmet. Von Carl Wilhelm Macke

„Das vorliegende Buch“, schreibt die Übersetzerin und Editorin Gisela Kraft in ihrem Nachwort, „wendet sich nicht an die Linke des vergangenen Jahrhunderts, sondern an Jetztmenschen.“ Man hätte sich diesen Satz in die Einleitung gewünscht, vielleicht sogar als Widmung. Wenn ‚die Linke’ des vergangenen Jahrhunderts, was immer man sich heute in Zeiten einer Partei gleichen Namens unter diesem politischen Etikett vorstellen kann, überhaupt Gedichte las, dann las sie die Lyrik von Bertold Brecht, von Pablo Neruda Brecht, vielleicht noch von Erich Fried, sicherlich aber von Nazim Hikmet.

„Leben/ einzeln und frei wie ein Baum/ und brüderlich/ wie ein Wald/ ist unsere Sehnsucht“. Manchmal konnte man diesen Vers sogar als Graffiti gesprüht an Häuserwänden lesen. Hikmet galt immer als Poet der Revolution, als Stimme der Kommunisten, ja für viele war er sogar ein unkritischer Parteigänger Stalins. Und trotz dieser von heute gesehen tatsächlich fragwürdiger politischen Sympathien haben es einige seiner Verse sogar bis ins Poesiealbum von Töchtern aus ‚besseren Kreisen’ geschafft. „Ich kam/ blieb/ lachte/ und starb“. Mit dem Zusammenbruch der realkommunistischen Staaten und dem langsamen Ausbleichen der roten Trasparente der linken Studentenszenen in den sechziger, siebziger Jahren, wurde es auch immer stille um Nasim Hikmet. Irgendwie war er zu einem verstaubten Schriftsteller geworden, dessen kämpferischer Ton für die ‚Unterdückten dieser Welt’ uns heute nichts
mehr sagte.

Jetzt aber bringt der Amman-Verlag eine ganz neue Hikmet-Edition auf den Markt und man erstaunt. „Wir haben mit dieser Auswahl den Dichter über den Kommunisten gestellt, auch deshalb weil ihm allzulang das Gegenteil angetan und damit der Wert seines Werkes geschmälert wurde“ (Gisela Kraft).

Zerlöchert von Sehnsucht

Den wunderschön gestalteten Band durchblätternd, immer wieder hängen bleibend bei einzelnen Gedichten, bemerkt man, wie sehr der Dichter Hikmet früher hinter dem Kommunisten Hikmet versteckt war. In einem heute wieder aktuellen – und dringend benötigten – Sinne, war Hikmet ein ‚Weltdichter’, mit starken biographischen Wurzeln in der Türkei, aber gleichzeitig auch sehr weltneugierig. Die Türkei galt ihm viel, auch wenn er wegen seiner politischen Gesinnung verfolgt wurde und viele Jahre in Gefängnissen verbracht hat. Er war aber auch ein großer Reisender, dem ‚seine Türkei’ kulturell zu eng war. Er wollte ‚raus in die Welt’ und wenn er dann in der Fremde war, zog es ihn magnetisch wieder an den Bosperos zurück. In dem lange ‚Prag-Zyklus’ ist immer wieder diese extreme Ambivalenz zwischen Ferne und Nähe, zwischen Fremdheit und Heimat spürbar. „Der Dichter, fern der Heimat,/ zerlöchert von Sehnsucht…“

Einen großen Platz in dem Band nimmt das „Epos vom Scheich Bedreddin, Sohn des Richters von Simavne“ ein. Teils in Prosa, teils in lyrischen Versen erinnert Hikmet hier an an die Vertreibung der Griechen aus Anatolien bevor die türkische Republik ausgerufen wurde. Hier spürt man ganz besonders den langen Atem von Nazim Hikmet, von dem man in der bislang vorherrschenden ‚linken’ Rezeption immer nur die kurzen, manchmal mit Pathos allzu aufgepumpt wirkenden Gedichte kannte. Man wird sicherlich nicht zu persönlich, wenn man Nazim Hikmet auch als einen ‚türkischen Macho’ bezeichnet. Seine vielen Liebschaften waren jedenfalls legendär. Aber trotzdem – oder vielleicht auch gerade deswegen – schrieb er ganz wunderbare Liebesgedichte. „Mein Lieb/ mach sacht die Augen zu/ wie etwas weich ins Wasser gleitet/ so leicht und rein fall du in Schlaf/ ein süsser Traum ist dir bereitet/ schlummre du…“.

Dank dieser Edition von Gisela Kraft kann man wieder Gedichte von Nazim Hikmet lesen, den ganzen Hikmet – und nicht nur den politisch zurechtgestutzten (und zensierten?) Kommunisten Hikmet.

Carl Wilhelm Macke

Nazim Hikmet: Die Namen der Sehnsucht (Hasretlerin adi). Gedichte. Aus dem Türkischen von Giesela Kraft. Zürich Ammann-Verlag 2008. 357 Seiten. 29,90 Euro.