Geschrieben am 3. Juni 2011 von für Litmag, Porträts / Interviews

Monika Maron wird 70

Licht auf Monika Maron!

Zum Siebzigsten einer Schriftstellerin mit der DDR als Stiefmutter. Ein Glückwunsch von Jürgen Verdofsky.

Ein Gefühl wirkt in der Tiefe, verhält sich still und wirkt doch stetig, so wie Wasser unter der Erde: Die Vorstellung vom gelingenden Leben ist so untergründig wie jene vom erfüllten Altern. In Monika Marons Roman „Endmoränen“ wird Johanna von der Furcht getrieben, „der ideelle Vorrat für mein Leben sei aufgebraucht“. Im Folgeroman „Ach Glück“ gibt es für Johanna noch immer die angehaltene Nach-Wende-Zeit, aber der Ausbruchsversuch zielt jetzt nicht weiter auf einen anderen Mann, sondern auf die Welt. Monika Maron zieht die Deutungslinien nicht länger über die sich mehr und mehr verkleinernde Folgewelt eines verblichenen deutschen Zweitstaates, der sich ohnehin zunehmend in Dunstschleiern verliert.

Monika Maron ist ohne Scheu vor einem Leben, das misslingen könnte, schlimmer wäre versäumtes Leben. Das gilt rigoros für sie selbst, wie für ihre Figuren. Schreiben ist die Rettung. „Was nicht zum Leben taugt, das taugt zum Schreiben.“ So hat sie als Erzählerin immer viel riskiert. Von Anfang an, als sie das Korsett des DDR-Journalismus verlässt und mit „Flugasche“ ein Signal gegen die realsozialistische Umweltzerstörung setzt. Mit diesem Roman macht Monika Maron für immer kehrt, verlässt die letzten Gewissheiten, die sie an die ideologische Stiefmutter DDR banden, bricht mit aller Partei-Vulgata. Auch in dieser sich selbst prüfenden, qualvollen Wandlung zeigt sich ihre Größe.

Die Dimension dieser Abkehr ist ohne die autobiografische Recherche „Pawels Briefe“ kaum zu verstehen. Sie führt direkt in den Weltschreck des 20. Jahrhunderts. Es bleibt ein einmaliges Buch, still, wahrhaftig, eindringlich. Der Großvater Pawel Iglarz kommt 1907 als polnischer Jude nach Berlin, lebt hier als Schneider, schließt sich der KPD an. 1938 wird er nach Polen ausgewiesen, seine vier zurückbleibenden Kinder werden zu „Halbjuden“ erklärt. Seine Tochter Hella wird 1941 Monika Marons Mutter. Der Vater darf als Soldat der Wehrmacht die Mutter wegen ihrer jüdischen Abstammung nicht heiraten. Ein Jahr später ermorden die Nazis Pawel Iglarz. Für die Familie bleibt die kommunistische Bewegung Synonym einer Gemeinschaft, die konsequent die Nazis bekämpft. Karl Maron, Ulbrichts Innenminister und Logistiker des Mauerbaus, wird der Stiefvater. Monika Maron glaubte lange, mit Vernunft und guten Worten am Tisch der Macht, den Lauf der Dinge beeinflussen zu können. Dann wird sie sich der Schwelle bewusst, an der das klärende Denken zu Ende ist.

Verspäteter Weg zur Wahrheit

Sie ist eine Frau von Mitte dreißig als sie mit dieser Welt bricht. In großer Ernsthaftigkeit beginnt ihr langer Weg als Schriftstellerin. Steiler und immer steiler wird der verspätete Weg zur Wahrheit. Seitdem bleibt für sie der Widerspruch die normale Umgangsform – ein freier Geist, niemandem verbunden als sich selbst. Mit den Romanen „Die Überläuferin“, „Stille Zeile Sechs “ und „Animal triste“ werden erstickte Wahrheit, verschüttetes Gefühl aus der zweitdeutschen Erbschaft ans Licht gezogen, Lücken der Wahrnehmung geschlossen. Dahinter liegen erkennbar feste Geschichten. Ihr Befund ist nicht anekdotisch, er ist grundsätzlich.

Am wenigsten verträgt Monika Maron, wenn über die Vergangenheit unbekümmert hinweg gelebt wird. Wie sie als Zwischenruferin Leute aufschreckt, die sich in den uneinnehmbaren Ruinen missbrauchter Utopien ihrer eigenen Bequemlichkeit und Unmündigkeit ungestört erinnern wollen, zeigt sich an manch verunglimpfender Reaktion. Zuletzt erregte ihr Einwurf „Die Idee des säkularen Staates ist es, dass uns die Religionen nicht behelligen – auch nicht der Islam“ einiges an unüberlegtem Widerspruch. Das kann Monika Maron, eine Selbstdenkerin im Lessingschen Sinne, nicht schrecken. Sie sucht die  Debatte.

Auch auf Podien brilliert sie: präzis, dominant, schnell. Ihrem soliden Hintergrund an politischer Erfahrung sind nur wenige gewachsen. Maron besticht durch sachliche Nüchternheit. Sie, die Ur-Berlinerin, hat eine feine Nase für kultivierte Verdrängungskunst.   Ein Bild ihres polemischen Talents geben die Essay-Bände „Quer über die Gleise“ und „Zwei Brüder“.

Es gibt keinen Ausgleich für versäumtes Leben, aber auch nicht für ungeschriebene Bücher. Eine nicht erzählte Geschichte verhält sich zum Leben wie etwas, was nicht passiert ist. Auch in diesem Sinne ist Schreiben gesteigertes Leben. Monika Maron, die am 3. Juni ihren 70. Geburtstag feierte, lebt und handelt danach: Unabhängig, unbestechlich, ungehorsam.

Jürgen Verdofsky

Zu einer Rezension von „Bitterfelder Bogen“ geht es hier.
Foto: Jürgen Bauer