Geschrieben am 25. Mai 2011 von für Litmag

Moderne erotische Lyrik (1): Der Dampfhammer

Der Dampfhammer

von Frank Wedekind

(Nach der Melodie:
«Ist denn Lieben ein Verbrechen?»).

In der Esse fliegt der Hammer
Im Zylinder auf und ab;
Gottfried in der Mägdekammer
Fliegt nicht minder auf und ab.

Gottfried heißt des Schmieds Geselle,
Der gewaltige Knochen hat.
Eben schweißt er eine Stelle,
Die er selbst gebrochen hat.

Und ein Mägdlein, schlank und plastisch,
Stellt für ihn den Ambos vor,
Einen Ambos, so elastisch
Wie das dünnste Bambusrohr.

Keines hört es, wie der lange
Hagre Meister schleicht herein;
Eine schwere Eisenstange
Trägt der Meister leicht herein.

Und er hält sie hoch in Lüften,
Schwingt sie, daß sie niederprallt,
Daß der Ton von Gottfrieds Hüften
Tausendfältig widerhallt…

Aus den Armen läßt der Riese
Seine Tugendreiche nicht;
«Mädchen», lacht er, «treib doch diese
Faden Jugendstreiche nicht !

Möglich wär’s, daß dem Entzücken
Dein Gekitzel nützlich wär,
Wenn dein Liebster auf dem Rücken
Wie am Leib so kitzlich wär. »

Und der ich dies Lied gesungen,
Schäme mich und weine und
Bin von tiefstem Schmerz durchdrungen,
Denn ich bin ein Schweinehund.

Kommentar von Manfred C. Reimann: Frank Wedekind wurde 1864 in Hannover geboren und starb 1918 in München – er war einer der berühmtesten Schriftsteller seiner Zeit. Mit seinen gesellschaftskritischen Theaterstücken gehörte er zu den meistgespielten Dramatikern der Epoche. Bei diesem, ganz dem damals vorherrschenden Stil des Naturalismus verbundenen Gedicht, einem „Jugendgedicht“ des Autors, ist das Metrum ganz der gewählten Szenerie, einer Schmiedewerkstatt, angepasst. Man hört förmlich den Hammer in der Werkstatt auf und niedersausen. Und obwohl die erotische Handlung des Gesellen Gottfried mit keinem Wort wirklich explizit beim Namen genannt wird (er vögelt die Magd – doch so direkt konnte man das im Wilhelminismus nicht nur nicht schreiben, es wäre auch schlicht plump und langweilig), erschließt sich dem fantasiebegabten Leser doch sofort, welche Stelle an der Magd, die er selbst gebrochen hat, er gerade schweißt.

Manfred C. Reimann

Das Gedicht entstammt dem empfehlenswerten Band: „Darum sollte man im Leben mit dem Dorn nach vorne streben“. Moderne erotische Lyrik. Herausgeber: Manfred C. Reimann, Gesine Karge, Andreas Fischer. Zürich: Walde + Graf 2011. 192 Seiten mit Abbildungen. 19,90 Euro.