Geschrieben am 18. März 2015 von für Kolumnen und Themen, Litmag, Zellers Seh-Reise

Michael Zellers Seh-Reise (95): Angelika Kauffmann

1 Kunstpostkarte, 1 Woche, 1 Kolumne: Michael Zellers SEH-REISE! Michael Zeller besitzt einen großen Stapel von Kunstkarten, die er bei seinen Galerie- und Museumsbesuchen angesammelt hat. Jede Woche fischt er eine Karte heraus und hängt sie sich in die Wohnung, wo der Blick immer wieder an ihr hängen bleibt. Was darauf zu sehen ist, welche Beziehung sich zwischen Werk und Autor entwickelt, darüber berichtet Michael Zeller wöchentlich in CULTurMAG. Heute: „Abschied (Heinrich IV. zwischen Ruhm und Liebe)” von Angelika Kauffmann.

Kauffmann_Abeschied

Muse und Markt

Ein durchaus gefälliges Gemälde in Komposition und Farbgebung, diese bukolische Sommerszene. Zwei junge Mannsbilder tändeln Hand in Hand einen Waldweg entlang, vertieft in das Gespräch von vertrauten Freunden, temperamentvoll redend der eine, nachsinnend der andere, den Blick auf den Boden gerichtet. Der Linke scheint ein Krieger aus sehr alten Zeiten zu sein, am ganzen Körper mit schwerer Rüstung gepanzert. Wie allerdings passen dazu die rote Schärpe, der weiße „Schiller“-Kragen“, die Stulpenstiefel aus feinem Leder und der elegante Schlapphut – und vor allem: dieser leichtfüßig schwebende Gang? Auf Kriegszug scheint dieser Soldat jedenfalls nicht zu sein.

Auch die Bekleidung des Jünglings im Mittelpunkt des Bildes ist schwer zu verorten. Ein Galan der obersten Stände, à la mode des Rokoko gewandet. Doch statt eines seidenen Schnupftüchleins hängt auch ihm ein Panzer vor der Brust. Er ist allerdings aus einem edleren Metall als das des Gefährten, vielleicht sogar aus Silber. Oder soll uns hier ein antiker Gott vorgestellt werden, der Götterbote Hermes etwa? Das legt auch der kleine nackte Amor nahe, der sich an den gerüsteten Galan hängt und ihn zurückhalten will. Amor, dieser alte Kuppler, treibt wieder einmal sein Spiel. Und im Schatten einer mächtigen Eiche liegt hingestreckt die dazu gehörende Dame, in weißem Gewand. Kraftlos hängt ihr die Rechte herab. Für den Ausdruck auf ihrem leidensblassen Gesicht drängt sich zwingend das Wort „schmachtend“ auf. Die beiden lichten jungen Männer haben sie wohl gerade verlassen. Passend verdunkelt sich hinter ihr der Wald in einer unheilschwangeren Stimmung.

Es ist schwer gefallen, mich über die Woche diesem Bild anzunähern, ja es überhaupt ganz ernst zu nehmen. Den Begriff „Kitsch“ bekam ich nicht mehr aus dem Kopf. Das gemalte Geschehen ist nicht zu greifen, verliert sich im Zeitlosen, in irgendeinem gefälligen Niemandsland zwischen Himmel und Erde, von Göttern und Menschen. Und das soll tatsächlich von 1788 stammen, einen historischen Atemzug vor dem Rasen der Französischen Revolution?

„Abschied (Heinrich IV. zwischen Ruhm und Liebe)“ heißt das Bild. Dieser doppelte Titel verrät das Dilemma, das die Malerin Angelika Kauffmann nicht gelöst hat und wohl auch gar nicht lösen wollte. Denn sie hat glänzend damit verdient. Ein Historienbild aus ferner französischer Geschichte, mythologisch erhöht aus vertrautestem (und verbrauchtestem) Bildungsbestand. Der geharnischte Kriegsgott Mars reißt einen Mann aus den Armen seiner Liebschaft und führt ihn den höheren Pflichten eines Mannes zu: als Krieger. Doch von einem Entscheidungskampf zwischen „Ruhm und Liebe“ ist auf dem Bild auch gar nichts zu erkennen, außer dem dekorativen Schmachten der verschmähten Dame. Eine sentimentale Tändelei mit Gefühlen, wie beim sommerlichen Maskenball am Hof eines Rokoko-Fürsten.

Das tut niemandem weh. Das ist alles nur gespielt.

Fünfunddreißig Jahre lang, zwischen 1765 und 1800, war Angelika Kauffmann die berühmteste Malerin des Kontinents. Ihr Name war jedem Gebildeten in Europa ein Begriff. Zuerst in London, dann in Rom ging die europäische Hocharistokratie in ihrem Atelier aus und ein und rechnete es sich zur Ehre an, von „der“ Kauffmann empfangen oder gar porträtiert zu werden: Kaiser und Könige und Prinzen. Ihre Kundschaft gehörte ausschließlich dem Adel an, und die Herrschaften zahlten alle ihrem Rang entsprechend, nämlich „fürstlich“. Die Malerin lieferte alles, wonach ihnen der Geschmack stand: Porträts, mythologische, biblische und literarische Themen, und alle waren‘s zufrieden. Kauffmann gelangte europaweit in viele bedeutende Kunstmuseen, bis in die Uffizien und nach Sankt Petersburg, in denen sie bis auf den heutigen Tag noch hängt. Als sie starb, nach einem rastlosen Arbeitsleben, hinterließ sie ein Vermögen von mehreren Millionen, jede einzelne Zechine war immerhin mit ihrem Pinsel verdient.

Wenn man ihrer hochgeborenen Kundschaft glaubt, muss sie allerdings auch eine ganz liebenswerte Person gewesen sein. Jeder, der sie besuchte, Männer wie Frauen, war begeistert von ihrer Gastlichkeit, ihrer herzlichen Art, den klugen Gesprächen. Goethe zum Beispiel kam regelmäßig in ihr Atelier auf dem Pincio, als er sich in Rom aufhielt (in dieser Zeit ist auch unser Schinken „Abschied (Heinrich IV. zwischen Ruhm und Liebe)“ entstanden), und er hat sie in seiner „Italienischen Reise“ in den Himmel gehoben. „Angelika Kauffmann hat ein unglaubliches und als Weib wirklich ungeheures Talent.“ Der vergiftete Widerhaken In diesem Lob ist sicher ungewollt.

Dass eine Frau so schön malen konnte, war in dieser Zeit in ganz Europa eine Attraktion, und Angelika Kauffmann hat ihrer aristokratischen Klientel, die damals noch Macht und damit auch die großen Geldmittel in Händen hielt, nach dem Munde gemalt. Wer darf ihr das zum Vorwurf machen? Bis zur Neige kostete sie die Gunst der überreifen historischen Stunde aus. Ein paar Jahre später, nach dem Rattern der Guillotine in Paris, wäre das nicht mehr denkbar gewesen. Davon hat dann wieder ein ganz anderer Künstler-Typus profitiert.

Michael Zeller

Angelika Kauffmann: Abschied (Heinrich IV. zwischen Ruhm und Liebe), 1788 . Vorarlberger Landesmuseum, Bregenz.
Michael Zeller, Schriftsteller mit einem umfangreichen, mehrfach ausgezeichneten literarischen Werk (zuletzt, 2011, Andreas Gryphius-Preis). 2013 sind von ihm erschienen die Gedichte wie es „anfängt: wie es endet” und der Prosaband „ABHAUEN! Protokoll einer Flucht” bei CulturBooks. Im Herbst 2014 ist seine Erzählung BruderTod erschienen. Zur Homepage des Autors geht es hier. Copyright des Textes: Michael Zeller.

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