Geschrieben am 25. Februar 2015 von für Kolumnen und Themen, Litmag, Zellers Seh-Reise

Michael Zellers Seh-Reise (93): Tony Cragg

1 Kunstpostkarte, 1 Woche, 1 Kolumne: Michael Zellers SEH-REISE! Michael Zeller besitzt einen großen Stapel von Kunstkarten, die er bei seinen Galerie- und Museumsbesuchen angesammelt hat. Jede Woche fischt er eine Karte heraus und hängt sie sich in die Wohnung, wo der Blick immer wieder an ihr hängen bleibt. Was darauf zu sehen ist, welche Beziehung sich zwischen Werk und Autor entwickelt, darüber berichtet Michael Zeller wöchentlich in CULTurMAG. Heute: „Dancing Column (Tanzende Säule)” von Tony Cragg.

Tony Cragg

Kolossaler Tanz

Man kann schon außer Atem geraten, wenn es in Serpentinen diese Anhöhe hochgeht, hinein in einen dichten Laubwald: kein Wäldchen, kein Park, sondern ein richtiger weitläufiger Wald von annähernd fünfzehn Hektaren. Jahrzehnte durfte er ohne Hege und Pflege vor sich hin wildern, wie die Natur es in diesen Breiten gestattet.

2006 hat der britische Bildhauer Tony Cragg, der seit langem in Wuppertal lebt und arbeitet, das Gelände gekauft, natürlich nicht als Privatbesitz, sondern als einen Frei-Raum für Kunst. Mittlerweile sind über die hügelige Fläche des Waldes verstreut mehr als dreißig Plastiken zu erwandern. Ein solides Schuhwerk sollte man schon an den Füssen haben, wenn man sich aufmacht in den Skulpturenpark „Waldfrieden“. Es sind überwiegend Arbeiten des Hausherrn selbst aus den verschiedenen Werkphasen. An die zehn Skulpturen stammen aber auch von anderen zeitgenössischen Bildhauern, überwiegend Craggs Kollegen an der Düsseldorfer Kunstakademie, und ihre Zahl soll weiter wachsen.

Mitten in freier Natur sich zu behaupten, ist etwas anderes als im Museum oder selbst als „Kunst im öffentlichen Raum“. Seite an Seite stehen hier Kunst und Natur unvermittelt nebeneinander, und es glückt vollkommen. Natur und Kunst brauchen keine Angst voreinander zu haben. Sie fallen sich gleichsam in die Arme, als habe es nie eine Trennung zwischen ihnen gegeben und solle niemals mehr eine sein.

Hinter der gläsernen Ausstellungshalle, die durchsichtig bleibt für den sie umgebenden Wald, steht Tony Craggs „Tanzende Säule“ aus Sandstein, in mattem Gelb, Rosa und Grau. Tonnenschweres Material ist hier zum Tanzen gebracht. Aus zusammengeklebten Scheiben ist die rotierende Achse der Skulptur gebaut, in einer extremen Schieflage aufeinander gesetzt. Der Rhythmus im Vor- und Zurücktreten der einzelnen Teile verleiht der Säule eine Leichtigkeit, die das Auge kaum glauben mag. Ihre Dynamik scheint die Schwerkraft außer Gefecht zu setzen. Ein naturbelassener Monolith könnte diese Wirkung niemals erreichen. Nur indem Cragg das traditionelle Material Stein auseinandernimmt, kann er die mächtigen Kräfte ins Bild setzen, die zur Mitte fliehen und aus ihr heraus. Als habe der Bildhauer die halsbrecherische Drehbewegung einem Tornado abgeschaut. Oder man fühlt sich, alltagsnäher, an das Ausfließen des Badewassers aus einer Wanne erinnert. Oder an die Wirbelsäule eines Tänzers, der sich bis zum Äußersten biegt und verdreht im Rotieren und damit den Raum um sich zusammen drückt.

Zwei Buchenstämme schaffen hier diesen Raum, schlanke gerade Stelen, die der „Tanzenden Säule“ über den Scheitel wachsen in eine weitere Dimension hinein. Naturwüchsiges und Artefakt geraten so in ein intimes bildnerisches Zwiegespräch. Erst im Angesicht dieser geradlinigen pflanzlichen Ruhe kann die quirlende Säule Ruhe ihre ganze Dynamik entfalten, mit der sie sich aus der Erde durch das Rostrot des abgefallenen Buchenlaubs zu schrauben scheint, läuft aus, bricht ab, verendet in dem leichten Knick ganz oben.

So wie Cragg als Bildhauer seine Plastiken baut, geht er auch als Gestalter seines Kunst-Waldes vor. Jede Senke, jede Böschung wird genutzt, um den Statuen aus allen denkbaren Materialien den Platz zu geben, an den sie hingehören. Dem wandernden Betrachter drängt sich zwingend der Eindruck auf, nur für diesen Standort sei gerade dieses Werk geschaffen worden, nur hier entfalte es von allen Seiten seine volle Wirkung. Und umgekehrt: Dieser Waldbuckel sei nur geworden, um von just dieser Plastik als solcher kenntlich gemacht zu werden. Skulpieren, hat Cragg einmal gesagt, sei ein „Denken in Material“, welches auch immer.

Regelmäßig finden in der Ausstellungshalle Ausstellungen von internationalen Bildhauern statt. Wenn man sich dann in dem Glaskubus die Kunst anschaut, gleitet unwillkürlich der Blick hinaus in den Wald, von den jeweiligen Jahrzeiten eingefärbt, vom Licht oder der Dämmrigkeit dieses einmaligen Tags. Eine Osmose von Drinnen und Draußen, die an Zauberei grenzt. Im Frieden dieses Waldes findet Kunst zu sich selbst.

Michael Zeller

Tony Cragg: Dancing Column (Tanzende Säule). Stein, 560 x 130 x 130cm. 2008. Skulpturenpark Waldfrieden in Wuppertal.

Michael Zeller, Schriftsteller mit einem umfangreichen, mehrfach ausgezeichneten literarischen Werk (zuletzt, 2011, Andreas Gryphius-Preis). 2013 sind von ihm erschienen die Gedichte wie es „anfängt: wie es endet” und der Prosaband „ABHAUEN! Protokoll einer Flucht” bei CulturBooks. Im Herbst 2014 ist seine Erzählung BruderTod erschienen. Zur Homepage des Autors geht es hier. Copyright des Textes: Michael Zeller.

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