Geschrieben am 18. Februar 2015 von für Kolumnen und Themen, Litmag, Zellers Seh-Reise

Michael Zellers Seh-Reise (92): Adolph Menzel

1 Kunstpostkarte, 1 Woche, 1 Kolumne: Michael Zellers SEH-REISE! Michael Zeller besitzt einen großen Stapel von Kunstkarten, die er bei seinen Galerie- und Museumsbesuchen angesammelt hat. Jede Woche fischt er eine Karte heraus und hängt sie sich in die Wohnung, wo der Blick immer wieder an ihr hängen bleibt. Was darauf zu sehen ist, welche Beziehung sich zwischen Werk und Autor entwickelt, darüber berichtet Michael Zeller wöchentlich in CULTurMAG. Heute: „Ballszene” von Adolph Menzel.

Menzel

Preußische Freiheit

Diese „Ballszene“ des Adolph Menzel hat etwas so wundervoll Nicht-zu-Ende-Arrangiertes. Als habe nicht der Wille eines Malers, sondern der schiere Zufall Regie geführt. Das macht das Bild so leicht wie eine unwillkürliche Bewegung beim Tanzen.

Das Sujet ist auf den ersten Blick ein-deutig und fordert dem Betrachter keinerlei gedankliche Arbeit ab. Und doch – oder deswegen? – wanderten während der Woche des Hinschauens meine Augen das Gemalte in allen Richtungen ab. Natürlich sank jeder Blick zunächst ein in diesem warmen Rot des Ballkleides und genoss seine reich modulierte und opulent über die untere Hälfte des Bildes gebreitete Stofflichkeit.

Doch dann wusste das Auge nicht mehr, woran es sich halten sollte und musste/durfte seine eigenen Wege gehen. Mal blieb ich an den beiden Männern hängen, die gegenläufig zur Seite gekehrt an der Brüstung stehen: Ältere Herren in schmucken Ausgeh-Uniformen, mit militärischen Orden garniert. Ausgezeichnete Mitglieder der Gesellschaft, die ihren Mann stehen oder gestanden haben. Oder ich beschäftigte mich mit den zwei Damen daneben. Die Rückenpartie der mächtigen Matrone, die ihr weitgeschnittenes Ballkleid wahrlich ausfüllt. Der Glanz dieses Weiß changiert in vielen Abstufungen ins Silberne und Goldene. Reichlich Schmuck ist in ihr Haar hinein geflochten, das bis auf die nackten Schultern fällt. Nur die linke Backe ist zu sehen, doch sie verrät genug, wie gut die Dame im Futter steht. Ob sie zu dem Grauhaarigen mit der grünen Schärpe gehört, rechts von ihr, der ja auch ein wuchtiges Mannsbild abgibt? Oder ist sie zu jung für den? Ihr zur Seite sitzt die Dame, die geradeaus auf den gegenüberliegenden Rang schaut. Im Profil wirkt das Gesicht unter dem hochgesteckten blonden Haar schmal und fein, besonders durch diese lange gerade Nase. Sie passte gut zu Mann hinter ihr im soldatischen Ehrenkleid. Er hat auch so etwas Straffes. Gleiches Alter – ja, die gehören bestimmt zusammen.

Aber auch der ferne Hintergrund ist noch ergiebig. Diese beiden Männerköpfe zum Beispiel. Der Rechte, mit dem Weiß unterm Hals. Ein Mann der Kirche, Konsistorialrat vielleicht, der dem profanen Abendvergnügen seiner Schäfchen die höheren Weihen gibt? Der mit dem dreifach vollen Haupt – Haar, Gesicht und Bart: Warum soll der mit seinem breiten Lachen denn nicht auch Pastor sein? Oder ein Dichter sinnenfroher dithyrambischer Verse?

Und immer wieder zurück zu dem Mädchen mit ihrem ausladend roten Kleid, der Augenmagnet des Bildes. Die Arme aufgestützt auf ein Samtkissen, beugt sie sich über den Rang und schaut hinab in den Zuschauerraum, verliert sich in das bunte Treiben da unten, hat vielleicht den einen oder anderen besonders im Visier. Es ist aber auch nicht auszuschließen, dass sie sich herausnimmt aus dem Trubel und dass ihr Blick nach innen geht ins Träumen. Die Seh-Sensation aber sind ihre Schultern. Ihr fast weißes Inkarnat weckt beim Betrachten all die Anklänge an Jugend, Reinheit, vielleicht Unschuld. Der Kontrast zwischen diesen Schultern und dem breiten Strom von Blutrot, den das Mädchen hinter sich herzieht – so gern ich mich davon habe verführen lassen: Die Grenze zum Kitsch-Verdacht, à la Makart, ist nicht weit.

Dennoch: So viel Leben, so viele Wirklichkeiten auf einem Karton, gerade etwas über Din A-4-Format groß. Trotz des begrenzten Formats lässt dieser Maler einem Betrachter alle Freiheit des Umherschweifens.

Genau das wird als Eigenart von Menzels Bildern mal gerühmt und mal getadelt: Dass er niemanden in das Ordnungsschema einer vorgegebenen Bildidee hineindrängt, von dem aus das Gemalte sich dann entschlüsselt. Er zieht den Hinschauenden vielmehr in sein Bild hinein und lässt ihn seine eigenen Schwerpunkte setzen, auch eigene Geschichten erfinden. So erwandern wir uns mit unseren Augen auf dem kleinen Gemälde „Ballszene“ ein Stück gesellschaftlicher Wirklichkeit einer vergangenen Epoche, wie ein Zeitzeuge sie festgehalten hat.

Bemalt wurde der Karton 1867, mit Sicherheit in Berlin, wo Menzel seit seiner frühen Jugend lebt. 1867: Da ist Bismarck seit fünf Jahren preußischer Ministerpräsident unter König Wilhelm I. und betreibt mit Energie, Intelligenz und Schläue die Vereinigung der deutschen Länder zu einem Einheitsstaat, dem folgenträchtigen „Deutschen Reich“. Und Menzel, dieser kleine Mann und große Maler und Illustrator, der am Hof der Hohenzollern ein- und ausging (ab einer bestimmten Berühmtheit), der die großen Staatsaufträge bekam und dafür von Kaiser Wilhelm II. geadelt wurde: Dieser Adolph Menzel lässt einem Betrachter so viel Freiheit, wie man sie gemeinhin in diesem Preußen kaum vermutet.

Ich frage mich: Soll man seine Malweise, auch zu einem halbfeudalen Anlass, nicht „demokratisch“ nennen dürfen?

Michael Zeller

Adolph Menzel: Ballszene. Auf Papier. 26,50 x 30 cm. 1867. Museum Georg Schäfer, Schweinfurt.

Michael Zeller, Schriftsteller mit einem umfangreichen, mehrfach ausgezeichneten literarischen Werk (zuletzt, 2011, Andreas Gryphius-Preis). 2013 sind von ihm erschienen die Gedichte wie es „anfängt: wie es endet” und der Prosaband „ABHAUEN! Protokoll einer Flucht” bei CulturBooks. Im Herbst 2014 ist seine Erzählung BruderTod erschienen. Zur Homepage des Autors geht es hier. Copyright des Textes: Michael Zeller.

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