Geschrieben am 17. Dezember 2014 von für Kolumnen und Themen, Litmag, Zellers Seh-Reise

Michael Zellers Seh-Reise (89): Otto Dix

1 Kunstpostkarte, 1 Woche, 1 Kolumne: Michael Zellers SEH-REISE! Michael Zeller besitzt einen großen Stapel von Kunstkarten, die er bei seinen Galerie- und Museumsbesuchen angesammelt hat. Jede Woche fischt er eine Karte heraus und hängt sie sich in die Wohnung, wo der Blick immer wieder an ihr hängen bleibt. Was darauf zu sehen ist, welche Beziehung sich zwischen Werk und Autor entwickelt, darüber berichtet Michael Zeller wöchentlich in CULTurMAG. Heute: „An die Schönheit” von Otto Dix.

Otto Dix

Kaputt amüsieren

Dieses durchdringende, alles aufsaugende Schwarz: Es ist die Wucht des schwarzen Hintergrunds gewesen, die mein Schauen eine Woche lang bestimmt hat. Die Figuren darin, so grell sie ausgeleuchtet sind, können sich dagegen nur schwer behaupten – bis auf ihn natürlich, die fast zentral gestellte männliche Figur vorn. Dennoch ist für mich das Schwarz unangefochten der Hauptakteur dieses Bildes geblieben.

Otto Dix hat es gemalt, 1922, zu Beginn seines Aufenthaltes in Düsseldorf, und er hat ihm den kecken Titel „An die Schönheit“ gegeben. Die drei, vier Jahre seiner Düsseldorfer Zeit muss eine glückliche Phase seines Lebens gewesen sein, privat und als Maler. Hier lernte er, bei einem Käufer seiner Bilder, Martha kennen, ein Jahr später man heiratete bereits. Was die beiden zusammenbrachte, war ihre gemeinsame Leidenschaft fürs Tanzen. Dix, mit Anfang Dreißig in seiner besten Form als Mann, warf sich gleich in vollen Zügen in das Nachtleben der rheinischen Großstadt. „Mutter Ey“, die legendäre tatkräftige Muse der dortigen Maler, staunte nicht schlecht, als aus Dixens Karton, mit dem er aus Dresden gekommen war, „Lackschuhe, Parfums, alles für Schönheitspflege“ ans Licht des Tages kamen.

Zur Zeit der Inflation brach unter der jungen Generation, gerade den Schützengräben entronnen, ein wahres Tanzfieber aus. Als wolle man in den Räuschen der Nacht die Erinnerungen an den mörderischen Weltkrieg hinter sich lassen. Die Rhythmen dazu lieferte Amerika. „Tango, Onestep, Boston und Black-Bottom / Rasseln epileptisch durch die Knie; / Dabei exponieren sie in flottem / Kurvenschlag die hintere Partie“. So heißt es bei Erich Weinert in seinem Gedichtband „Das pasteurisierte Freudenhaus“. Nicht als ein Beobachter des Milieus suchte Dix die Tanzsalons und Bars der Stadt auf, die Varietés, Jazzlokale und Tingeltangel, die während des täglichen Geldverfalls in den frühen Zwanzigern aus dem Boden schossen. In dandyhaften amerikanischen Anzügen à la mode, das blonde Haar mit Pomade an den Schädel geklatscht, tanzte und trank sich Otto Dix durch die Nächte. „Jimmy“ wurde er genannt, wegen seiner Vorliebe für den Modetanz Shimmy, und er überlegte sogar, wenn wieder mal der Verkauf seiner Bilder stockte, mit seiner frisch angetrauten Martha als Tanzpaar für Geld aufzutreten.

Und dann „An die Schönheit“! Ein Nachtlokal. Die Räumlichkeiten lassen sich nicht anders als „vornehm“ bezeichnen – eine Flucht von hohen Räumen, die kein Ende findet, unter einer schweren Kassettendecke, gehalten von korinthischen Säulen. Im Hintergrund eilen Kellner im Frack, mit weißer Hemdbrust. Allerlei Nebengemächer zweigen ab, das schwüle Rot, das durch die rechte Tür dringt, lässt an intimste Lustbarkeiten denken. Im Mittelgrund die Besucher des Clubs, ohne Beziehung zueinander, jeder die eigene Schönheit eher darstellend als genießend:

Die Dame in Korsage, mit tätowierten Beinen, hat die Armhaltung einer aufgezogenen mechanischen Puppe. Das edle Charleston-Paar, mondänst aufgebrezelt, schaut sich natürlich nicht in die Augen, sondern posiert, jeder für sich, nach vorn ins Leere. Der schwarze Schlagzeuger, mit breitem Lachen, damit das Weiß seiner Zähne auch gut herauskommt, holt gerade aus zum nächsten Schlag, den amerikanischen Sternenbanner als Einstecktuch im Jackett. Auf seiner Trommel groß das federgeschmückte Haupt eines Indianers. Vorne links die lockig frisierte Büste aus dem Frisiersalon, mit tiefem Dekolleté.

Das hellste Licht aber fällt auf Ihn, den Helden der Nacht: der herrliche Mann. Ein Selbstporträt des Malers Otto Dix. Die Rechte lässig in der Tasche seines stutzerhaft enggeschnittenen Anzugs, hält er mit kräftiger Faust einen Telefonhörer. Er hat auch noch hier, im Vergnügungstempel, die Fäden nach draußen in der Hand. Mit unbewegt ernstem Gesichtsausdruck, im Halbprofil, blickt er der Szene heraus, von der Seite, kritisch scharf. Fröhliche Entspanntheit des Amüsements steht nicht in diesem Gesicht geschrieben.

Sollte der Salonlöwe Dix, der hingebungsvolle Schwofer, sich doch nicht so ganz wohl fühlen in seiner Haut? Hat er innerlich schon Abstand gewonnen zu dem schönen Schein der Halbwelt, dem Kult der Äußerlichkeit? Oder hat er sogar niemals wirklich gegolten für ihn, trotz Lackschuhen, Pomade, ultramodernem schmalen Binder? Alles auf diesem Bild spricht dafür. Die absolute Beziehungslosigkeit der fünf Personen, die Büste aus dem Frisiersalon, der Titel. Kann „An die Schönheit“ wirklich anders als ironisch verstanden werden? Zuerst und zuletzt aber ist es für mich das Schwarz der Nacht, die antwortlose Undurchdringlichkeit von Dunkelheit, die sich über die käuflichen Vergnügungsversuche dieser Gesellschaft legt, in der Hochzeit der Inflation, in der alle Werte den Bach hinuntergehen.

Mich beschleicht ein Verdacht: Wenn Künstler sich amüsieren, sind sie vielleicht am asozialsten.

Michael Zeller

Otto Dix: An die Schönheit. Öl auf Leinwand, 140 x 122 cm, 1922. Von der Heydt-Museum, Wuppertal.
Michael Zeller, Schriftsteller mit einem umfangreichen, mehrfach ausgezeichneten literarischen Werk (zuletzt, 2011, Andreas Gryphius-Preis). 2013 sind von ihm erschienen die Gedichte wie es „anfängt: wie es endet” und der Prosaband „ABHAUEN! Protokoll einer Flucht” bei CulturBooks. Im Herbst 2014 ist seine Erzählung BruderTod erschienen. Zur Homepage des Autors geht es hier. Copyright des Textes: Michael Zeller.

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