Geschrieben am 21. Januar 2015 von für Kolumnen und Themen, Litmag, Zellers Seh-Reise

Michael Zellers Seh-Reise (89): Domenico Ghirlandaio

1 Kunstpostkarte, 1 Woche, 1 Kolumne: Michael Zellers SEH-REISE! Michael Zeller besitzt einen großen Stapel von Kunstkarten, die er bei seinen Galerie- und Museumsbesuchen angesammelt hat. Jede Woche fischt er eine Karte heraus und hängt sie sich in die Wohnung, wo der Blick immer wieder an ihr hängen bleibt. Was darauf zu sehen ist, welche Beziehung sich zwischen Werk und Autor entwickelt, darüber berichtet Michael Zeller wöchentlich in CULTurMAG. Heute: Das Fresko „Die Anbetung der Hirten” von Domenico Ghirlandaio.

Ghirlandaio

Jupp, überwältigt

Sie meiden die Leere, als niste der Leibhaftige dort, die toskanischen Meister der Renaissance. Vollgemalt sind ihre Wände und Tafeln mit Figuren, in Gruppen oder allein, versunken neben sich schauend oder mit zierlicher Führung der Hände aufeinander einredend. Schönes schulterlanges Haar, in Braun und Schwarz und Grau, bei Männern wie Frauen, dass man es streicheln möchte. Und über und zwischen den Menschen kostbare Architektur, Plätze, wehrhafte Paläste, Bögen und Erker. Die Welt der italienischen Renaissance-Malerei scheint geschlossen, zur Gänze in Schönheit gefast. Erfüllt das Spiel der beziehungsstiftenden Kurven und Geraden, verdichtet das Treiben der Menschen zum Auftritt auf dem Marktplatz, in der Stadt. Das öffentliche Leben auf einer Bühne.

Nur im Hintergrund des Bildes – quer hindurch geht da ein Riss. Fein natürlich auch er, beherrscht, ohne Gewalt. Der Blick aus der Stadt als Bühne der Menschen, hinaus in die Natur. Nach oben versetzt, fern und luftig: Hügel, Berge, Landschaftsbögen, Zypressen, als Hain oder solitär, mit ondulierten Ästen, unter einem zarten Himmel, Wolken darin. Auch diese Natur wirkt höfisch domestiziert, ist Park und Garten, hohes Arrangement. Und doch: Dieser feine Riss genügt. Er weitet sich zur Bresche. Frische Luft dringt durch ihn ins Bild, gibt ihm Tiefe, Raum und Leben erst. Mich jedenfalls zieht es durch diesen Riss jedes Mal hinaus ins Freie, und ich mag gar nicht zurückkehren in die Enge des Bildes, das den Hunger nach Weite doch erst geweckt hat. Und lasse mich gleich wieder liebend gern einfangen vom nächsten Bild eines Renaissance-Meisters der Toskana.

Diese Gedanken kamen mir, als ich in der Basilika von Santa Trinità zu Florenz stand und mich ein Fresko des Domenico Ghirlandaio überflutete: Die Anbetung der Hirten. Was ist da alles hineingepackt um den kleinen nackten Heiland im Kuhstall von Bethlehem, wie er da auf seinem Strohbündel strampelt! Die gesamte Menschheit hat Ghirlandaio um den Gottessohn versammelt, so scheint es, um das Wunder seines Erscheinens zu mitzuerleben und zu bezeugen.

Gegenüber der dominanten Gruppe rechts, mit Maria und Joseph und den drei Hirten, zieht ein Strom von Menschen auf den Stall zu mit dem heiligen Säugling. Der Berghang, den sie herabkommen mit Pferd und Wagen und zu Fuß, weitet sich mit seinen Felsen oben und dem mächtigen Eichenwald zu einem Gebirge. Im Tal dahinter eine Stadt, mit Wehrtürmen und Kirchen, der nächste Berg, und abermals eine Stadt, ein Berg, darüber der bleich verschwebende Himmel …

Ghirlandaio fände wohl kein Ende, den ganzen bewohnten Erdkreis zu einem Besuch beim frisch geborenen Gottessohn einzuladen, wenn ihm nicht die Architektur dabei zu Hilfe käme. Schroff, fast schon gewaltsam, stellen sich vier Säulen horizontal in das Gewusel von Mensch und Tier und Wunder, zwingen sie in ein Korsett. Mit ihrer massigen Materialität (und sei sie in noch so kunstvollen Verzierungen versteckt) geben sie dem Leben, das sich jede Sekunde neu gebiert, Form und Halt. Am Ende schafft es Ghirlandaio, mit seiner gemalten Welt das Chaos der Gesellschaft und die geometrische Strenge von Architektur in ein Gleichgewicht zu bringen.

Alles strömt auf diesem Fresko – und nichts verfließt. Das Wunder von Kunst. Es ist Joseph, genau im Mittelpunkt des Geschehens (nicht etwa das Christkind), der sich vor diesem Wunder fassungslos an die Stirne greift. Warum ausgerechnet Joseph, dem in der christlichen Heilsgeschichte ja doch eher eine bescheidene, belächelte Rolle zugewiesen ist? Ob dem Klerus von Santa Trinità nicht doch auch seine Bedenken kamen, als er Ghirlandaios „Anbetung der Hirten“ im Jahr des Heils 1485 abnahm?

Dieser Maler sei es gewesen, behauptet jedenfalls Giorgio Vasari in seinem wunderbaren Buch „Künstler der Renaissance“ (von 1550!), der als erster in Italien seinen Bildern eine vergoldete Einfassung gegeben habe. Er sei nämlich, bevor er ans Malen kam, Goldschmied gewesen.

Als Domenico Ghirlandaio 1494 starb, mit gerade vierundvierzig Jahren, von der Pest binnen fünf Tagen aus dem Leben gerissen, ist er bereits zweimal verheiratet gewesen und hinterlässt der Welt sechs Kinder. In den Zeiten von Pest und Cholera vollzieht sich der Umsatz von menschlichem Leben wesentlich rascher.

Michael Zeller

Domenico Ghirlandaio: Die Anbetung der Hirten. 1485. Fresko in der Basilika Santa Trinità in Florenz.

Michael Zeller, Schriftsteller mit einem umfangreichen, mehrfach ausgezeichneten literarischen Werk (zuletzt, 2011, Andreas Gryphius-Preis). 2013 sind von ihm erschienen die Gedichte wie es „anfängt: wie es endet” und der Prosaband „ABHAUEN! Protokoll einer Flucht” bei CulturBooks. Im Herbst 2014 ist seine Erzählung BruderTod erschienen. Zur Homepage des Autors geht es hier. Copyright des Textes: Michael Zeller.

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