Geschrieben am 3. Dezember 2014 von für Kolumnen und Themen, Litmag, Zellers Seh-Reise

Michael Zellers Seh-Reise (86): Simon Bening

1 Kunstpostkarte, 1 Woche, 1 Kolumne: Michael Zellers SEH-REISE! Michael Zeller besitzt einen großen Stapel von Kunstkarten, die er bei seinen Galerie- und Museumsbesuchen angesammelt hat. Jede Woche fischt er eine Karte heraus und hängt sie sich in die Wohnung, wo der Blick immer wieder an ihr hängen bleibt. Was darauf zu sehen ist, welche Beziehung sich zwischen Werk und Autor entwickelt, darüber berichtet Michael Zeller wöchentlich in CULTurMAG. Heute: „MAI” von Simon Bening.

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Dünne Luft da oben

Weite Strecken sind zu überwinden zwischen der Szenerie dieses Bildes und einem heutigen Betrachter. So hübsch das alles anzusehen ist – das Boot der Musikanten vorn, der Teich, das Schloss, das frühlingsfrische Grün des Parks – warm geworden bin ich nicht damit unter der Woche, da die zierliche Miniatur in meiner Küche hing. Es fehlte mir die Geduld, mich neben irgendeiner Verrichtung des Alltags in eine der vielen kleinen Köstlichkeiten zu vertiefen, die da verschwenderisch ausgebreitet sind: Seht her, wie schön wir sind! Der Luxus einer Welt, zu der kaum eine lebendige Ader mehr in unsere Tage fließt, hat mich kalt gelassen. Ich habe das sogar bedauert beim täglichen Hinschauen, das eher ein Wegschauen war. Aber wehren konnte ich mich nicht dagegen.

Jetzt, da das Bildchen vor mir liegt, im Original mit seinen 172 X 125 Millimetern kaum größer als die Kunstpostkarte, ergötze ich mich (um ein altmodernes Wort zu verwenden) an all den Finessen, die da ein grandioser Maler auf engstem Raum zusammenträgt. Es ist das Blatt aus einem Stundenbuch, eine Art geistig-geistlichen Begleiter, das durch die zwölf Monate des Jahres führt. Unser Blatt illustriert den Monat Mai.

„Mai“: Der Frühling geht in den Sommer über. Die Tage sind warm geworden, die Menschen halten sich gern unter freiem Himmel auf und freuen sich an der Natur, endlich wieder ganz und gar in Grün. Eine Lustpartie im Kahn auf dem Wassergraben um das Schloss in schlanker, aufstrebender Renaissance-Architektur. Vier Personen sitzen im Boot, im kostbaren Feiertagsgewand. Laute und Flöte mischen sich in das Flüstern des stehenden Gewässers. Ruhe und eine ernste Konzentration über der kleinen Gruppe, etwas Zeremonielles. Selbst der Storch zeigt keinen Fluchtreflex. Das Boot, das gerade anlandet, ist gefüllt mit Zweigen, die vom anderen Ufer stammen, aus dem Wald. Auch die vier Reiter dort zu Pferde, ebenfalls festlich herausgeputzt, halten Zweige in ihren Händen. Pfingsten! Pfingsten steht vor der Tür, das Fest des Mais. Gleich werden Pfingstbäume geschmückt damit, Pfingstlauben aufgestellt.

In der ritterlich-höfischen Epoche war Pfingsten das beliebteste Fest im Jahr. Am Hof des legendären Königs Artus fanden an diesen Tagen die glänzendsten gesellschaftlichen Zusammenkünfte statt, mit Tanz und allerlei Turnieren. Gern wurde dann auch geheiratet. Denn im Freien konnte sich alle Pracht entfalten, die niemals in einen Saal gepasst hätte. An diesem Höhepunkt des Jahres sonnte der Adel sich im Glanz seiner Macht und seiner Lebenskultur. Man feierte sich selbst, vielleicht auch noch in Erinnerung an die christliche Wurzel von Pfingsten, die Gründung der Kirche nach der Ausgießung des Heiligen Geistes.

Erstaunlicherweise lässt sich die Herkunft des kostbar gestalteten Stundenbuchs genau bestimmen. Der flämische Maler Simon Bening hat den Monatszyklus um 1515 angefertigt, in Brüssel, für einen adeligen Kunden selbstverständlich, einen Herrn oder eine Dame vom Hof – wer hätte sich solch einen Prachtband (mit lateinischem Text) denn sonst leisten können? Die Formensprache der Renaissance ist aus Italien mittlerweile auch im nördlichen Europa angekommen und beherrscht die Künste. Jedem gemalten Detail ist anzusehen, wie der Maler Simon Bening, der zu den ersten flämischen Illustratoren seiner Zeit zählte, sich an der Beherrschung seines Handwerks freut. Die Spiegelung der Schlossfront im Graben mit dem Schwan, die kostbare Tasche, die über den Rand des Bootes hängt – das ist erlesenste Malerei.

Eine Kunst für wenige. Möglich, dass gerade diese Exklusivität es ist, die einen heutigen Menschen befremdet, weil er sich als davon ausgeschlossen empfindet. Dieses bis ins letzte Stilisierte – selbst die Bäume wirken dressiert –zieht eine Grenze durch die Gesellschaft, deren abkältende Wirkung bis in die Gegenwart hinein wirkt. Nicht nur der Text des Stundenbuchs, auch sein Maien-Bild spricht gleichermaßen Latein zu uns. Hochachtung mögen wir davor empfinden. Aber wohl fühlen wir uns nicht in dieser Welt. Vielleicht geht es uns Heutigen ein bisschen so wie früher der armen Verwandtschaft, die angesichts ihrer prächtig ausstaffierten Vettern und Basen erkennen muss, wie schäbig sie selbst gekleidet ist. Da vergeht einem doch wahrlich die Lust mitzufeiern.

Michael Zeller

Simon Bening: MAI (Da Costa-Stundenbuch). 172×125 Millimeter. Um 1515. Piermont Morgan Library in New York.

Michael Zeller, Schriftsteller mit einem umfangreichen, mehrfach ausgezeichneten literarischen Werk (zuletzt, 2011, Andreas Gryphius-Preis). 2013 sind von ihm erschienen die Gedichte wie es „anfängt: wie es endet” und der Prosaband „ABHAUEN! Protokoll einer Flucht” bei CulturBooks. Im Herbst 2014 ist seine Erzählung BruderTod erschienen. Zur Homepage des Autors geht es hier. Copyright des Textes: Michael Zeller.

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