Geschrieben am 19. November 2014 von für Kolumnen und Themen, Litmag, Zellers Seh-Reise

Michael Zellers Seh-Reise (84): Wojciech Kossak

1 Kunstpostkarte, 1 Woche, 1 Kolumne: Michael Zellers SEH-REISE! Michael Zeller besitzt einen großen Stapel von Kunstkarten, die er bei seinen Galerie- und Museumsbesuchen angesammelt hat. Jede Woche fischt er eine Karte heraus und hängt sie sich in die Wohnung, wo der Blick immer wieder an ihr hängen bleibt. Was darauf zu sehen ist, welche Beziehung sich zwischen Werk und Autor entwickelt, darüber berichtet Michael Zeller wöchentlich in CULTurMAG. Heute: „Menzel, Wilhelm II. und Kossak im Atelier des polnischen Malers” von Wojciech Kossak.

kossak

Schneidige Kerls

Wir schreiben das Jahr 1899 zu Berlin, Hauptstadt des deutschen Reiches: Staatsbesuch in einem Maler-Atelier. Der Kaiser selbst gibt sich die Ehre, Wilhelm II., bei „seinen“ Künstlern vorbeizuschauen und nach dem Rechten zu sehen. Die Komik dieser bizarren Situation ist mit Händen zu greifen, und gekonnt weiß der polnische Maler Wojciech Kossak sie auszukosten und zu steigern.

Je drei Männer stehen sich gegenüber, aufgereiht wie zwei Heere vor einer Schlacht. Rechts drei Soldaten, in den historischen Uniformen der friderizianischen Armee, jene „langen Kerls“, die Friedrich seine Kriege führten. Hundertfünfzig Jahre war das damals her, und das sieht man den Uniformen und dem Kriegsgerät, das die Soldaten tragen, auch an. Von dieser Maskerade geht keinerlei Schrecken mehr aus.

Gegenüber, in gerader Schlachtordnung, der Kaiser, eingerahmt von zwei Malern, Kossak selbst und Adolph von Menzel, der „Kleinen Exzellenz“, wie er in Berlin genannt wurde. Während die beiden Künstler in Zivil angetreten sind, erscheint Wilhelm II. auch bei diesem zivilen Ereignis in militärischem Kostüm: Mantel, Stiefel, und selbst die Pickelhaube, im Gold der Majestäten, darf hier natürlich nicht fehlen. Als müsse der Kaiser gleich höchstselbst das perfide Albion oder den frechen Franzmann in Grund und Boden stampfen. Und dabei lässt Wilhelm sich doch nur erklären, was hier gleich – ausgesprochen leise und friedlich – Sache sein soll:

Ein Bild wird gemalt. Ein Schlachtengemälde aus der Zeit des Alten Fritz, jener Legende, aus der der Nachkomme Wilhelm so gern seinen Honig saugte. Die riesengroße Leinwand ist schon aufgezogen und grundiert. Auch grobe Vorzeichnungen sind zu erkennen. Gleich werden die drei Kriegsbüttel ihre Positionen einnehmen, damit auch alles schön stimmt und das werte Publikum hernach und der Kaiser vor allem auch zufrieden sein können mit der Verherrlichung von Preußens Glanz und Gloria. Bevor der Maler Kossak Palette und Pinsel zur Hand nehmen wird, die im Vordergrund auf ihn warten, erklärt er, in Wort und Geste, seinem hohen Auftraggeber, wie er das Werk anzulegen gedenkt. Der Kaiser starrt so gebannt die weiße Leinwand an, als zeichne sich darauf schon das opferreiche Schlachtenglück seines Hauses ab.

Für sich, leicht abgerückt, steht der greise Adolph Menzel daneben und prüft eingehend den Helm in seinen Händen, oder die Attrappe. Sein halbes Künstlerleben hat Menzel damit zugebracht, die lang geschlagenen Schlachten von Friedrich dem Großen festzuhalten. Er ist die unbestrittene Autorität, wenn es um die Uniformen dieser Vorzeit geht. In seinem Werk „Die Armee Friedrichs des Großen in ihrer Uniformierung“ hat er in frühen Jahren allein 436 Steindrucke angefertigt, und deshalb kennt er so gut wie keiner sonst, was er da kritisch beäugt. Es ist zu vermuten, dass Kossak, ein halbes Jahrhundert jünger als Menzel, den erfahrenen Kollegen zu Rate ziehen wollte, bevor er an seine Arbeit geht (zumal der berühmte Maler auch beim Kaiser einen dicken Stein im Brett hat. Gerade ein Jahr zuvor war er geadelt worden).

Gesellschaftlich delikat ist die Rolle des Polen Wojciech Kossak. Sohn des Malers Juliusz Kossak, der in der Geschichte der polnischen Malerei eine sehr viel bedeutendere Rolle spielt als der Sohn, lebt er seit 1895 in Berlin und hat sich mit seinen Porträts und Historienbildern schnell die Gunst der führenden Kreise sichern können. Sogar Kaiser Wilhelm darf er zu seinen Freunden zählen, der ihn als einen „schneidigen Kerl“ schätzt – ein höheres Lob darf man sich aus dem Mund eines Hohenzollern nicht erhoffen. Ja, Wilhelm hat ihn gar zum Ritter geschlagen, und deshalb wird der ausländische Maler sich in seinen Berliner Jahren (bis 1902) in braver Eindeutschung Adalbert Ritter von Kossak nennen. Ein Zeichen immerhin auch für die Internationalität und eine gewisse Großzügigkeit, die im Berlin der vorletzten Jahrhundertwende geherrscht haben muss.

Was mich während der Woche, in der dieses Bild in meiner Küche hing, überrascht hat: Es war nicht die zutiefst komische Konstellation des Bildes, die mich beschäftigte (bei all dem hintersinnigen Humor, der viele Polen auszeichnet). Die unbenutzte Leinwand war‘s, die Nacktheit der Wände in diesem Raum, die meinen Blick anzog, ja ansaugte. Sie setzte sich über das bunt-pittoreske Völkchen hinweg und ließ es mich nahezu übersehen im Angesicht dieser künstlichen Leere – ein Momentum von Magie.

Jetzt meine ich fast: Das war die Absicht des Malers selbst (gewollt oder nicht), die tiefste Kritik an seiner Zeit, der er sonst hemmungslos zu Diensten stand.

Michael Zeller

Wojciech Kossak: Menzel, Wilhelm II. und Kossak im Atelier des polnischen Malers. Öl auf Leinwand. 1899. Museum Georg Schäfer, Schweinfurt.

Michael Zeller, Schriftsteller mit einem umfangreichen, mehrfach ausgezeichneten literarischen Werk (zuletzt, 2011, Andreas Gryphius-Preis). 2013 sind von ihm erschienen die Gedichte wie es „anfängt: wie es endet” und der Prosaband „ABHAUEN! Protokoll einer Flucht” bei CulturBooks. Im Herbst 2014 ist seine Erzählung BruderTod erschienen. Zur Homepage des Autors geht es hier. Copyright des Textes: Michael Zeller.

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