Geschrieben am 5. November 2014 von für Kolumnen und Themen, Litmag, Zellers Seh-Reise

Michael Zellers Seh-Reise (82): Bernd Klötzer

1 Kunstpostkarte, 1 Woche, 1 Kolumne: Michael Zellers SEH-REISE! Michael Zeller besitzt einen großen Stapel von Kunstkarten, die er bei seinen Galerie- und Museumsbesuchen angesammelt hat. Jede Woche fischt er eine Karte heraus und hängt sie sich in die Wohnung, wo der Blick immer wieder an ihr hängen bleibt. Was darauf zu sehen ist, welche Beziehung sich zwischen Werk und Autor entwickelt, darüber berichtet Michael Zeller wöchentlich in CULTurMAG. Heute: „Der verlängerte Arm des Diskuswerfers” von Bernd Klötzer.

klötzer

Eisen & Ton

Versuchen Sie sich mal an große Momente des Essens zu erinnern. Sind es wirklich die mehrgängigen Gelage bei irgendwelchen Festen, die uns bleiben? Oder nicht doch eher der Schluck Wasser aus einem Brunnen, während einer Wanderung im heißen Sommer, das selige Kauen auf einem Stück Brot, wenn man aus dem Takt der Mahlzeiten gefallen war? Karge Genüsse, ja, aber bleibende. Der Körper vergisst sie nicht so leicht.

Genauso ist es mir gegangen, als ich jetzt sieben Tage lang den „Verlängerten Arm des Diskuswerfers“ mit den Augen verkostet habe, den der Nürnberger Bildhauer Bernd Klötzer 1990 geschaffen hat. Schmale Kost in meiner Küchengalerie in dieser Woche, keine Völlerei der Sinne. Doch verhungert bin ich keineswegs.

Der schmale, lange Körper in Form eines zweiteiligen Bogens, in Lehmbraun und einem stumpfen Schwarz. Ein Ding für sich, das an nichts anderes erinnert. Da lenkt nichts ab. Der anthrazitgraue Beton, auf dem die Plastik liegt, schafft einen neutralen Hintergrund. Erst beim zweiten Hinsehen entdecke ich die Lücke – ein Riss im Schwung der flachen Kurve. Das Schwarze am Ende ist eingekerbt, gibt dem Auge eine Richtung vor, nach links, auf ein Ziel hin. Dort, am gegenüberliegenden Ende, bricht der Bogen ungeformt ab. Hier ist ein Endpunkt formuliert.

Das ist es, was zu sehen ist: Eine weite, kaum erkennbar unterbrochene Kurve, die rechts beginnt und links endet, in drei eher blassen Farben. Eine Ahnung von Binnenraum und Außenraum mag sich beim Betrachten einstellen, das auch schon ein Nachdenken ist. Mehr nicht.

Hier mischt sich der Titel in das Spiel zwischen Bildhauer, Plastik und Zuschauer: „Der verlängerte Arm des Diskuswerfers“. Dazu werden, in Klammern, die beiden Materialien der Plastik benannt: „Fe/Ton“, Eisen und Ton. Dass bei einem bildenden Künstler, der sich wie Bernd Klötzer in seinem Werk strikt an die geometrischen Grundformen hält, dem Material eine herausragende Bedeutung zukommt, kann nicht überraschen. Material hat immer auch eine formale Funktion. Die Neugier, wie sich verschiedene Stoffe unter gleichen Bedingungen verhalten, auf welche Formen sie dabei hinaus wollen, ist ein entscheidender Impuls für seine Arbeit:

In den achtziger Jahren hatte Klötzer einen Kreis aus zwei Hälften arrangiert, der eine Halbkreis aus Stahlblech, der andere aus Ton. Durch das Trocknen und Brennen war die tönerne Hälfte natürlich in Gewicht und Volumen geschrumpft, und das ursprünglich Gleiche fiel auseinander in zwei Teile. Der Kreis war zerbrochen. Die Chemie hatte ihre eigenen Formen hervorgebracht. Ein ähnliches Verfahren vermute ich bei dem „Verlängerten Arm“. Die ungleiche Länge seiner beiden Teile könnte sich dem unterschiedlichen spezifischen Gewicht von Eisen und gebranntem Ton verdanken.

Wer also hat diese Plastik zu verantworten? Der Bildhauer, die Natur, beide? Der Arrangeur bedient sich der Kräfte der Natur, um sie seine/ihre Formen finden zu lassen.

Bloß eine alchemistische Spielerei? Wenn da nicht der Titel wäre. Mit dem Diskuswerfer kann ja nur der des Myron gemeint sein, die überlebensgroße Bronze aus der klassischen Hochzeit griechischer Skulptur. Ich habe mir daraufhin noch einmal diesen Diskuswerfer von 440 vor unserer Zeitrechnung angeschaut. Und war verblüfft. Sein ausholender rechter Wurfarm mit der Scheibe und der vor dem Körper herabhängende linke zusammen bilden annähernd die gleiche Kurve wie die Klötzersche Linie von 1990 – vom eisernen Diskus rechts und dem Bogen aus Terrakotta, in der Farbe menschlichen Fleischs.

Merkwürdige Wege sind es, die so ein Künstler geht. Das wenigste davon ist ihm bewusst. Natürlich ist er tief verankert in der Tradition seines Handwerks. Doch wenn es dann zur Sache geht, überlässt er sich den Elementen der Natur und folgt ihnen, wohin sie ihn haben wollen. Das hat sehr viel mehr mit Magie zu tun als mit Kalkül. Und nur deshalb werden wir satt, wenn wir uns von seinen Phantasien bewirten lassen. Von Verhungern kann keine Rede sein, auch nicht bei schmaler Kost.

Ein Gruß an den ehemaligen Nachbarn in der Nürnberger Nordstadt und den Freund Bernd Klötzer.

Michael Zeller

Bernd Klötzer: Der verlängerte Arm des Diskuswerfers. Eisen/Ton, 1990 .

Michael Zeller, Schriftsteller mit einem umfangreichen, mehrfach ausgezeichneten literarischen Werk (zuletzt, 2011, Andreas Gryphius-Preis). 2013 sind von ihm erschienen die Gedichte wie es „anfängt: wie es endet” und der Prosaband „ABHAUEN! Protokoll einer Flucht” bei CulturBooks. Im Herbst 2014 ist seine Erzählung BruderTod erschienen. Zur Homepage des Autors geht es hier. Copyright des Textes: Michael Zeller.

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