Geschrieben am 8. Oktober 2014 von für Kolumnen und Themen, Litmag, Zellers Seh-Reise

Michael Zellers Seh-Reise (78): Ilja Repin

1 Kunstpostkarte, 1 Woche, 1 Kolumne: Michael Zellers SEH-REISE! Michael Zeller besitzt einen großen Stapel von Kunstkarten, die er bei seinen Galerie- und Museumsbesuchen angesammelt hat. Jede Woche fischt er eine Karte heraus und hängt sie sich in die Wohnung, wo der Blick immer wieder an ihr hängen bleibt. Was darauf zu sehen ist, welche Beziehung sich zwischen Werk und Autor entwickelt, darüber berichtet Michael Zeller wöchentlich in CULTurMAG. Heute: „Die Saporoscher Kosaken schreiben einen Brief an den türkischen Sultan” von Ilja Repin.

Repin

Wär‘ doch gelacht!

Lachen steckt an – diese nicht eben umwerfende Erkenntnis habe ich während der Woche an diesem Bild wieder einmal als unwiderlegbar erfahren. Was soll man denn auch tun? Sich wehren dagegen, das Lachen verbeißen? Was wäre gewonnen, wem gedient? Also mutig nachgeben dem simplen Reflex und mit gelacht. Und sei’s bloß mit den Augen (ohne entblößtes Gebiss).

Weit reißen die Männer ihre Münder auf und lassen das Lachen herzhaft dem Körper entfahren, laut allemal, bis zum Brüllen. Auch sie stecken sich gegenseitig damit an, und wenn es in einem versiegen will, poltert der nächste los mit seinem kollernden Lachbass, oder ein fisteliges Bellen fährt dazwischen, und schon stimmt man wieder mit ein in den Chor, bis zur Atemlosigkeit will es kein Ende nehmen:

Eine Gesellschaft von zwanzig gestandenen Männern, eng aufeinander gedrängt, in wilder Aufmachung, und keiner ähnelt dem anderen. Jeder ein besonderer Einzelner, von Gesichtsausdruck her wie von der abenteuerlichen Kleidung, und doch eine verschworene Gemeinschaft, zusammengeschweißt von mehr als dem Lachen. Die gehören zusammen, kein Zweifel, und die sind alle gleich, da ist kein Unten und Oben zu sehen: sie lachen aus einer Seele. Auch der Schreiber in ihrer Mitte, um den sie sich eng scharen, dass sie auch keinen Schnörkel seiner ihnen fremden Kunst verpassen, wie er ein weißes Papierblatt füllt mit dem Federkiel: er ist nicht der Kopf der Gruppe, er ist bloß ihre Hand. Er hält fest, was sie ihm zurufen. Sie diktieren ihm, er schreibt. Ein Brief von zwanzig Absendern. Wer mag der Adressat sein?

„Die Saporoscher Kosaken schreiben einen Brief an den türkischen Sultan“ verrät das Bild in seinem Titel, das der russisch-ukrainische Maler Ilja Repin gemalt hat, 1880. Ein Historienbild, wie es damals in Europa in Mode war, über eine längst vergangene Geschichte. Bald zwei Jahrhunderte war es her, bevor Repin zum Pinsel griff, dass dieser Brief tatsächlich geschrieben wurde. Mittlerweile sind die übermütig lachenden Protagonisten des Bildes längst aus der Geschichte gefallen, aber ihre Legende lebt, und jeder Russe um 1880 wusste, was es mit diesem Brief auf sich hat. Das weiße Blatt hat sich sogar erhalten, Wort für Wort, wie es dem Schreiber da gerade zugerufen wird: „Du türkischer Sultan, Bruder und Genosse des verfluchten Teufels und leibhaftigen Luzifers Sekretär, du Babylonischer Küchenchef, du Alexandrinischer Ziegenmetzger, Erzsauhalter von Ägypten, du Armenisches Schwein, du Enkel des leibhaftigen Satans und Narr der ganzen Welt …“

Immer tollere Schmähungen fallen ihnen ein für den Erzfeind in Istanbul, dahinten, jenseits des Dnepr, wohin der eine Lacher verächtlich zeigt, und werfen sie ihrem Schreiber zu, steigern sich aneinander in neue, frechere Beleidigungen hinein. Der soll sich ordentlich ärgern in seinem Eunuchenpalast am Bosporus, wenn er ihren Fetzen Papier in Händen hält! Der hatte aber auch Ungeheuerliches von ihnen gefordert. Sie, die „freien Krieger“, wie sie sich stolz selbst nennen (die Übersetzung von ‚Kosaken‘), die keine Herrschaft über sich dulden, hatte dieser Ziegenmetzger bis aufs Blut gereizt, als er es wagte, ihnen – ihnen! – die Unterwerfung unter sein Regiment abzufordern. Mit ihren flinken Schiffen waren sie oft genug im Hafen von Istanbul aufgetaucht und hatten im Herzen des osmanischen Imperiums Angst und Schrecken verbreitet, wenn ihnen danach war, auf Raubzug zu gehen. Das Kriegen war Lebenselixier, ja der tiefere Sinn ihres ganzen Daseins. Nur dafür lebten und starben sie. An einer Staatsgründung waren sie so wenig interessiert wie an Lesen und Schreiben. Am Rand der Zivilisation lebend, an der Grenze zur Steppe, in den Flusswäldern und Sümpfen am unteren Lauf von Dnepr und Don, „jenseits der Stromschnellen“ (das ist die Übersetzung von ‚saporosche‘), waren sie unangreifbar, für den Zaren in Moskau so gut wie für den türkischen Sultan.

Als Ilja Repin sich 1880 daran machte, dieses legendäre Kriegervolk im Bild festzuhalten, waren sie längst von der „modernen Zeit“ aufgesaugt worden. Aber ihr Mythos wirkte nach, romantisch verklärt. Repin, selbst in der Ukraine geboren, reiste in ihr ehemaliges Herrschaftsgebiet und nahm zeichnend alles auf, was er von ihnen noch vorfand: Waffen, die Trachten, ihre Gesichter vor allem. Allen zwanzig Köpfen sieht man an, dass Repin ein großartiger, seinerzeit viel gefragter Porträtist in Russland war. Er hat sich um ein authentisches Abbild dieses wilden Völkchens bemüht, Kopf für Kopf. Deshalb gibt es auch zahlreiche Vorstudien und Skizzen dieses Themas, unser Bild ist eine davon, von eher kleinem Format (70 x 90 cm), so wie ich es 2005 in der großen Repin-Ausstellung im Von der Heydt-Museum von Wuppertal gesehen habe. (Die beiden monumentalen Endfassungen hängen heute in St. Petersburg und im ukrainischen Charkiv/Charkow. Riesenschinken gehen nicht gern auf Reisen.)

Wie so oft ist es auch hier der erste spontane Aufriss einer bildnerischen Idee, mit dem einem Maler das Beste geschenkt wird. Den zwei Gemälden gegenüber ist diese Vorstudie geschlossener und lebendiger. Das wesentlich schlankere Format hat den Maler zu einer stärkeren Konzentration der Gruppe um den Briefschreiber genötigt. Frisch steigt aus dieser verschworenen Kosakenbande das enorme Gelächter der Steppe und reißt einen Betrachter bezwingend mit hinein.

Michael Zeller

Ilja Repin: Die Saporoscher Kosaken schreiben einen Brief an den türkischen Sultan. Öl aufLeinwand. 70 x 90 cm. Studie, 1880. Tretjakow-Galerie, St. Petersburg.

Michael Zeller, Schriftsteller mit einem umfangreichen, mehrfach ausgezeichneten literarischen Werk (zuletzt, 2011, Andreas Gryphius-Preis). 2013 sind von ihm erschienen die Gedichte wie es „anfängt : wie es endet” und der Prosaband „ABHAUEN! Protokoll einer Flucht” bei CulturBooks. Im Herbst 2014 ist seine Erzählung BruderTod erschienen. Zur Homepage des Autors geht es hier. Copyright des Textes: Michael Zeller.

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